Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler (links) und der Vorarlberger Landesrat Johannes Rauch kritisieren den ÖVP-Kurs zu Afghanistan. Es handelt sich um ein Archivbild, es wurde am 19. Oktober 2019 aufgenommen.

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Der grüne Protest gegen den aktuellen Regierungskurs in Sachen Afghanistan wird immer lauter. Die Wiener Grünen unterstützten am Dienstagabend eine Demonstration, die die Absetzung von Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) forderte. Zumindest beteiligte man sich mit dem Parteilogo am Demosujet, zur Veranstaltung "aufgerufen" haben wollte man dann auf STANDARD-Nachfrage doch nicht. Jedenfalls hielt die grüne Wiener Gemeinderätin Berîvan Aslan eine Rede vor Ort. Auch die außenpolitische Sprecherin Ewa Ernst-Dziedzic sprach sich bereits für die Aufnahme von besonders gefährdeten Personen aus.

Nun findet auch Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler deutlichere Worte der Kritik an der ÖVP: Österreich sei international immer ein verlässlicher Partner gewesen, wenn es um Menschenrechte und humanitäre Hilfe ging, teilte er am Mittwoch in einer Aussendung mit. Er vermisse beim Koalitionspartner die Menschlichkeit.

Kogler: Schadet Österreichs Ansehen

Jetzt "aus offenbar taktischen Gründen" einen anderen Weg einzuschlagen "lässt angesichts der dramatischen Bedrohung gerade von Frauen und Kindern nicht nur die notwendige Menschlichkeit vermissen, sondern schadet auch massiv dem internationalen Ansehen Österreichs und unserer Rolle als verlässlicher Partner in Europa", sagte Kogler in Richtung ÖVP. "Es ist wichtig, dass der Innen- und der Außenminister auf dem festen Boden der Verfassung und Menschenrechtskonvention wieder aktiv an einer Lösung arbeiten, die dieser Rolle Österreichs in Europa gerecht wird und Österreich nicht noch weiter in der europäischen Gemeinschaft isoliert", richtete Kogler seinen türkisen Kollegen in den jeweiligen Ressorts aus. Jetzt müsse auf europäischer Ebene alles Mögliche getan werden, anstatt "fortwährend über rechtlich Unmögliches" zu diskutieren.

Zuvor hatte Vorarlbergs Grünen-Landesrat Johannes Rauch im Ö1-"Morgenjournal" heftige Kritik am aktuellen Regierungskurs geübt. Er bezeichnete die Haltung der ÖVP zu Afghanistan als "Schande". Auch Rauch selbst befindet sich in Vorarlberg in einer Koalition mit den Türkisen.

Hitzebeständigkeit im Test

Er habe "ein gewisses Verständnis", wenn man vor Parteitagen und Landtagswahlen – eine Anspielung auf die anstehende Wahl in Oberösterreich – "Geräusche macht", sagte Rauch. "Aber die Art und Weise, wie das jetzt bei Afghanistan passiert, ist jenseitig, zurückzuweisen und eine Schande."

Intern werde das auch "in aller Deutlichkeit" ausgesprochen. Er sei zwar auch ein Verfechter davon, dass zum Schluss das Ergebnis stimmen müsse, aber nun müssten auch die Auseinandersetzungen härter werden.

Auf die Frage, wie sehr es parteiintern schon brodle, antwortete Rauch: "Man braucht eine gewisse Hitzebeständigkeit, wenn man in der Küche ist. Wir haben gewusst, mit wem wir uns in eine Koalition begeben. Was wir tun, ist, bestmöglich dagegenzuhalten." Es gehe darum, Menschen in einem gemeinsamen solidarischen europäischen Akt aktiv dort herauszuholen, und zwar vor allem besonders gefährdete Gruppen wie Journalistinnen und Journalisten, Frauenrechtlerinnen oder Personen, die sich für eine faire Gerichtsbarkeit eingesetzt haben.

Warnung vor Isolierung in Europa

Erst Dienstagabend hatte sich Bundespräsident Alexander Van der Bellen ebenfalls deutlich für die Aufnahme von Flüchtlingen ausgesprochen: Es gebe eine rechtliche, moralische und politische Verpflichtung für die EU, jenen Menschen Schutz zu bieten, die ihr Land verlassen müssen. An der Spitze sollten Frauen und Mädchen stehen.

Innenminister Nehammer kritisierte kürzlich das Vorgehen der EU-Kommission in dieser Frage: Es seien "verwaschene Botschaften" ausgesendet worden, die zu einem Anstieg der organisierten Kriminalität und der Schlepperei aus Afghanistan führen würden. Die Aufnahme von Flüchtlingen schloss er neuerlich aus. Innenkommissarin Ylva Johansson hatte die EU-Länder zuvor aufgefordert, über das Umsiedlungsprogramm des Uno-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) mehr Schutzsuchende aus Afghanistan aufzunehmen. "Die Zurufe des Innenministers sind entbehrlich. Wir sind die, die säumig sind, nicht die Kommission", kommentierte Rauch die Äußerungen. Man solle sich in Europa nicht weiter isolieren.

Klimawandel "keine Schlagzeile"

Auch in Sachen Klimapolitik ließ Rauch kein gutes Haar am Zugang der ÖVP: Manche in der ÖVP würden wohl glauben, der Klimawandel sei nur eine vorübergehende Schlagzeile, die wieder verschwinde. Aber es gehe darum, jene zu entlasten, die am wenigsten an der Ursache, dem CO2-Ausstoß, beteiligt sind: Geringverdiener.

Seinem direkten Koalitionspartner in Vorarlberg richtet Rauch aus, dass es "natürlich notwendig ist, Straßenbauprojekte auf ihre Klimaschädlichkeit zu überprüfen". Dabei geht es um die von Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) angekündigte Prüfung der Schnellstraße S18. Es werde einen Termin zwischen Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) und Gewessler geben.

Rauchs Kritik wies ÖVP-Klubobmann August Wöginger zurück: Rauch solle "seine Energie in Sacharbeit investieren und nicht in Streit", richtete Wöginger dem grünen Landesrat im Ö1-"Mittagsjournal" aus. Er halte auch wenig davon, "den politischen Mitbewerber herabzuwürdigen und ihm moralische Werte abzusprechen", sagte der ÖVP-Klubobmann.

Rückendeckung aus Wien und Graz

Die Wiener Grünen hingegen unterstrichen am Mittwoch die Aussagen ihres Vorarlberger Parteikollegen Rauch und auch das Angebot des grünen Innsbrucker Bürgermeisters Georg Willi, der die Aufnahme von Flüchtlingen aus Afghanistan angeboten hat. "Auch Wien ist Menschenrechtsstadt", heißt es im grünen Rathausklub in Wien. Mehrere Bezirke wie Neubau, die Josefstadt, Mariahilf, Penzing und Ottakring stünden bereits seit einiger Zeit als sogenannte Sichere Häfen der Initiative "Seebrücke Wien" zur Verfügung.

Mit deutlichen Worten in Richtung ÖVP reiht sich auch die Grazer Stadträtin Judith Schwentner in die Kritikerrunde der Grünen ein: "Ich habe große Sorge um die Menschen in Afghanistan. Ich begleite selbst eine junge Afghanin, die in Graz lebt, und bekomme unmittelbar mit, welchen Ängsten ihre Familie vor Ort und hier ausgesetzt ist. Meine Position als Politikerin und Mensch ist klar: Ich bin entsprechend der Flüchtlingskonvention selbstverständlich für die Aufnahme von Geflüchteten in Graz und Österreich. Gerade in einer Menschenrechtsstadt muss Platz sein. Wir hätten keine solche Debatte, wenn die einstmals christlich-soziale ÖVP in diesem Land ihre einstigen Werte nicht tagtäglich verraten würde." (van, simo, mue, red, 25.8.2021)