Florian Höllwarth bereitet sich schon auf seinen nächsten Kampf vor. Der Rechtsanwalt, der auch gerne in den Boxring steigt, will diesen Schlag vor dem Verfassungsgerichtshof gegen die Bundesregierung setzen. Das ist noch davon abhängig, ob sich Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) tatsächlich dazu entschließen, im Herbst nur noch Geimpften (ein G) per Verordnung Zugang für gewisse Bereiche wie die Nachtgastronomie zu gewähren.

Das zeichnet sich ab, denn die hiesige Politik spielt bereits mit dem Gedanken. Und sie bekommt Unterstützung auf Expertenebene. Der Infektiologe Herwig Kollaritsch sieht angesichts der gebremsten Impfbereitschaft und steigender Corona-Infektionszahlen "zunehmend weniger Spielraum", da und dort nicht auf die Ein-G-Regel umzusteigen.

Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) denken für Herbst eine Ein-G-Regel für Bereiche mit hohem Ansteckungsrisiko an, sollten die Infektionszahlen weiter ansteigen.
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Höllwarth, auch Anwalt der Familie im Fall Leonie, will gegen die Regelung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof einbringen, sobald Bund und Länder entsprechende Verordnungen erlassen. Die Vorbereitungen dafür trifft er mit seinem Kollegen Alexander Scheer. Dieser war einmal beim BZÖ und zuletzt im FPÖ-TV-Format "Corona & Recht" zu sehen. Auf Facebook schreibt Scheer von einer "Impf-Apartheids-Verordnung". Aus Sicht der beiden Juristen sei die Ein-G-Regel "definitiv ein Einschnitt in die Grundrechte", weil sie Menschen von Teilen des gesellschaftlichen Lebens ausschließe, um die Impfquote zu steigern.

Als Grund, warum das ungerechtfertigt ist, führt Scheer an, dass Geimpfte zwar vor einem schweren Corona-Krankheitsverlauf geschützt seien, aber sich und damit auch andere – also auch Ungeimpfte – weiterhin mit dem Coronavirus anstecken können. Deren (niedrigere) Infektiosität werde allerdings nicht mittels Tests kontrolliert. Wenn es in der Pandemie aber darum gehe, das Infektionsgeschehen einzudämmen, stelle die Ein-G-Regel eine "unsachliche Differenzierung" dar. Problematisch sei obendrein, dass ein solches Ansinnen Genesene ebenso ausschließen könne wie jene, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können. Zumindest ist noch völlig unklar, ob es hier Ausnahmen geben wird. Auch dass die Wirtschaft damit einen Teil ihrer Kundschaft verlieren könnte, halten die beiden Rechtsanwälte für nicht argumentierbar.

Doch hätte die Beschwerde eine Chance?

Eine "heikle" Frage

Der Verfassungsjurist Peter Bußjäger glaubt an das Gegenteil, nämlich daran, dass eine Ein-G-Regelung vor dem Verfassungsgerichtshof durchaus halten könnte. Das hänge vor allem einmal mehr von der medizinischen Begründung des Gesundheitsministers ab. Als "heikler" sieht er einzig die Frage, ob Genesene Nachteile erfahren können.

Das hält der Infektiologe Kollaritsch für die falsche Ausgangsfrage. Diese müsse lauten: Sind Genesene so gut geschützt wie Geimpfte? Seine Antwort lautet: nein. Die Immunantwort der Genesenen sei nämlich sehr stark abhängig von der Schwere des klinischen Verlaufs. Daher habe das Nationale Impfgremium auch die Empfehlung abgegeben, Genesene zumindest einmal mit einer Impfung auffrischen zu lassen. Davon würden sie exorbitant profitieren. Das sei auch ein Argument für die Ein-G-Regelung, sagt Kollaritsch, weil gerade an einer Formulierung gearbeitet werde, die Genesene mit einmaliger Impfung im grünen Pass abbildet. Kollaritsch erklärte zuletzt auch, dass Getestete wesentlich höhere Infektionstreiber seien als Geimpfte.

"Das Ungleichgewicht gibt es nicht mehr"

Bußjäger hat aber auch ein eigenes Gegenargument für seinen Einwand. "Wenn man rein Genesene ausnimmt, kann das dazu führen, dass etwa Junge eine Infektion in Kauf nehmen und das Ziel unterlaufen wird." Einen "faktischen Impfzwang" in Form von Ein-G hält Bußjäger auch deshalb für möglich, weil es derzeit auch ohne weiteres möglich sei, eine Impfpflicht einzuführen. So weit wollte die Regierung aber bisher nicht gehen. Für jene, die sich nicht impfen lassen können, müsse es in jedem Fall Ausnahmen geben, sagt Bußjäger.

An sich stört es Kollaritsch, dass in der Debatte um die Ein-G-Regel so getan werde, als würden Geimpfte bevorzugt. "In Wahrheit werden nur ihre Persönlichkeitsrechte restauriert, die sie durch die Pandemie eingebüßt haben", sagt der Experte. "Die anderen, die noch nicht geimpft sind, haben jetzt die Chance. Das Ungleichgewicht wie vor einem halben Jahr, als die Impfung noch nicht für alle verfügbar war, gibt es nicht mehr."

Etwas anders sieht das der Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk. Er argumentierte unlängst im STANDARD, dass eine Besserstellung von Geimpften unverhältnismäßig sei. Die bisherige unbestrittene Regel, wonach ein negativer Test mit der Impfung auf einer Stufe stehe, könne nicht einfach so aufgegeben werden. Die Folge wäre wohl Diskriminierung, befindet Funk. Mit dem bloßen Umstand, dass die Infektionszahlen steigen, werde sich die Ein-G-Regel laut Funk wohl nicht argumentieren lassen, gibt er noch zu bedenken. (Jan Michael Marchart, 26.8.2021)