Im Saal 203 hat die Vorsitzende ein Film- und Fotoverbot erlassen, um den psychisch kranken Betroffenen, gegen den wegen eines Mordversuchs verhandelt wird, nicht zusätzlich aufzuregen.

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Wien – Wie viele Menschen an Schizophrenie erkranken, können die Wissenschafter nicht mit Sicherheit sagen. Eine Studie geht davon aus, dass nur 0,12 Prozent der Bevölkerung einmal im Leben von dieser psychischen Erkrankung betroffen sind, findet sich im 13 Jahre alten Schizophrenie-Bericht des Gesundheitsministeriums. Eine andere kommt zu einem mehr als zehnmal höheren Wert und geht von 1,6 Prozent aus. Von diesen Patienten wird ein sehr kleiner Teil für ihre Mitmenschen gefährlich. Wie Daniel F., der von Justizwachebeamten vor den Geschworenensenat unter Vorsitz von Christina Salzborn geführt wird.

Der bullige 32-Jährige ist kein Angeklagter, sondern ein Betroffener. Denn er soll zwar am 12. April 2020 versucht haben, in London einen 35 Jahre alten Spaziergänger mit einer abgebrochenen Glasflasche zu töten. Was ein Mordversuch wäre. Da er aber an einer Erkrankung aus dem paranoid-schizophrenen Formenkreis leidet, beantragt die Staatsanwältin keine Strafe für F., sondern seine Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher.

"Alien-Boss" statt "Reptilienkönigin"

In ihrem Eröffnungsplädoyer spricht die Anklägerin noch davon, der Betroffene wollte mit seiner Tat erreichen, zur "Reptilienkönigin" vorgelassen zu werden. F. unterbricht mehrmals und betont, es gehe um Aliens. Als er selbst am Wort ist, führt er das aus: "Alien-Hater-Verräter", die er irrigerweise für Echsen in Menschengestalt gehalten habe, würden ihn mit Nano-Drohnen foltern. Sein Ziel sei gewesen, eine Audienz beim "Alien-Boss" zu bekommen, damit dieser die Hater-Verräter ihrer gerechten Strafe zuführe, wie F. auf Nachfrage eines Geschworenen klarstellt. Mit dem Mord wollte er die Aufmerksamkeit des "Bosses" erregen. Als Motiv für die Drohnenfolter ortet der Betroffene, dass ihm die Zentralbanken seine milliardenschwere Geschäftsidee neidisch seien.

"Ich habe sicher 20-mal in den drei Monaten davor in Kameras an unterschiedlichen Locations gesagt, dass ich jemand töten werde", erzählt F. dem Gericht. Irgendwann habe er sich aus dem Müll eine kleine Wodkaflasche geholt. Am Tattag habe er dann seine "Uniform" angezogen – ein T-Shirt, auf dem er selbst in Code Beweise für die Alien-Verschwörung notiert hat, und kurze Hosen, damit auch die auf seinen Oberschenkeln tätowierten Codes sichtbar seien.

Der MI5 und seine Vogeldrohnen

"Und auf dem Arm haben Sie auch diese Nachricht?", fragt die Vorsitzende. "Nein", korrigiert der Betroffene sie. Bei dieser Tätowierung ging es um den 19. März 2017. Damals sei er zum Hauptquartier des britischen Inlandsgeheimdienstes MI5 gegangen, da die Agenten ihn mit Vogeldrohnen ausspioniert hätten. "Ich habe dem MI5 gesagt, ich werde ihnen ihre Vogeldrohnen in den Hintern schieben."

Eine Verschwörung gegen ihn bestehe bereits seit 2012, ist der unbescholtene F. überzeugt. Damals sei er in einen AMS-Kurs geschickt worden, der sei aber eine "Black Op" gewesen, also eine verdeckte militärische Aktion. Dann habe der Sohn eines Wissenschafters, der selbst zwei Jahre Englisch und Wirtschaftsrecht studiert hatte, in Wien kein richtiges Marihuana, sondern nur noch "Fake-Weed" bekommen, weshalb er nach Amsterdam gefahren sei. Doch in den dortigen Coffeeshops habe es nur "Fake-Gras" gegeben, weshalb er auf Alkohol umgestiegen sei. Von Amsterdam wechselte er dann nach London, wo es zur Anlasstat kam.

Zufälligen Spaziergänger angesprochen

Nach dem Anlegen der "Uniform" habe er die Glasflasche zerbrochen. Als Opfer suchte er sich einen ihm Unbekannten auf der Straße und sprach ihn an. Zunächst mit harmlosen Fragen, wie der Brite bei einer Befragung via Zoom berichtet. F. erkundigte sich nach dem Weg zu einem Bahnhof und dem Fluss, wohl der Themse. Als F. ihm immer näher gekommen sei, habe er angesichts der Covid-19-Pandemie um Abstand gebeten, erinnert sich der Zeuge, worauf sich das Verhalten des Mannes geändert habe.

Das Opfer ging sogar Umwege nach Hause, bemerkte aber, dass F. sich an seine Fersen geheftet hatte. Für seine eigene Sicherheit lenkte das Opfer seine Schritte auf eine normalerweise stark befahrene Brücke – wegen des Lockdowns war sie jedoch menschenleer. F. holte ihn ein und sprach ihn nochmals an.

"I need to kill someone today"

"I need to kill someone today", habe F. noch gesagt, ehe er das Opfer zu Boden stieß, es schlug und schließlich mit dem scharfen Flaschenhals auf sein Gesicht einstach. Er habe geschrien, irgendwann habe F. mit dem Angriff aufgehört. Mit rund hundert Stichen mussten die Schnittwunden auf seiner linken Gesichtshälfte genäht werden, von der Augenbraue bis über die linke Wange ist eine Narbe zurückgeblieben.

Der Betroffene sagt, er habe gedacht, das Opfer blute so stark, dass er bereits genügend Aufmerksamkeit erlangt habe. Sein Verteidiger Klaus Perl argumentiert daher, es habe sich nicht um einen Mordversuch gehandelt, sondern lediglich um eine absichtliche schwere Körperverletzung.

"Final move" sei nötig

F. kam in London in ein psychiatrisches Krankenhaus, wurde aus diesem aber wieder entlassen. Danach, sagt er, habe er versucht, in einem Park mit Spiritus eine Statue anzuzünden, um eine Audienz beim "Alien-Boss" zu erzwingen. Es folgte ein weiterer Spitalsaufenthalt, ehe er Ende 2020 nach Österreich zu seinen Eltern zurückkehrte. Denen erzählte er irgendwann von dem Angriff in der britischen Hauptstadt und sprach davon, dass noch immer ein "final move" nötig wäre.

Möglicherweise wurde der Fall nie von der britischen Justiz behandelt: In Österreich begannen Ermittlungen, nachdem das Außenministerium die Staatsanwaltschaft informiert hatte, dass sich ein Mann in London in einem Spital befinde, der ein Gewaltdelikt gesetzt haben soll. Die Kooperationsbereitschaft der britischen Behörden war enden wollend: Aus Datenschutzgründen wurde nicht einmal der Krankenakt des Verletzten übermittelt.

"Ich war nicht verrückt und bin nicht verrückt"

Beisitzer Stefan Apostol hat noch eine Frage an den Betroffenen: "Jetzt haben Sie ja einen Mordprozess. Was machen Sie, wenn sich der Alien-Boss danach trotzdem nicht meldet?" F. gibt zu, diesbezüglich keinen Plan zu haben. Von einem Punkt ist er aber überzeugt: "Ich war nicht verrückt und bin nicht verrückt." Auch als der psychiatrische Sachverständige Peter Hofmann in seinem Gutachten berichtet, dass selbst der Einsatz starker Medikamente bisher keine Besserung bei F. gebracht habe, unterbricht ihn der Betroffene und stellt klar: "Weil ich nicht krank bin!"

Die Geschworenen sehen das anders und entscheiden sich, wie von Hofmann empfohlen, einstimmig für die Einweisung F.s in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher, da er als Zurechnungsunfähiger einen Mordversuch begangen hat. (Michael Möseneder, 25.8.2021)