Der Erstautor der Analysestudie selbst erstellte eine grobe Darstellung, wie der Saurier ausgesehen haben könnte.
Bild: Victor Beccari

Eher ungewöhnliches Diebesgut konnte die Polizei in Brasilien sicherstellen: Im Hafen der Stadt Santos – der wohl bedeutendste maritime Umschlagplatz Lateinamerikas – stießen die Beamten auf die fossilen Knochen eines Pterosauriers. Dabei handelt es sich nicht um irgendein Saurierskelett: Es ist offenbar der besterhaltene Flugsaurier des Landes.

Dass Fossilien illegal außer Landes gebracht werden sollen, kommt immer wieder vor – der Handel verspricht den Schmugglern Millionengewinne. Erst im April dieses Jahres wurde veranlasst, dass etwa 1.000 illegal verschiffte Objekte aus dem brasilianischen Bundesstaat Ceará, die in Frankreich gelandet sind, zurückgegeben werden müssen. Auch im Naturhistorischen Museum im deutschen Karlsruhe befinden sich anscheinend geschmuggelte Fossilien des Flugsauriers Tupandactylus navians – ein Individuum der gleichen Art, die nun bei einer Razzia neben etwa 3000 weiteren Fossilien beschlagnahmt wurde.

Beim Polizeifund im Hafen von Santos handelt es sich um das nahezu vollständige – zu mehr als 90 Prozent erhaltene – Skelett eines solchen Pterosauriers, das in sechs Kalksteinplatten eingebettet ist. An den Knochen sind sogar Spuren von Weichteilen auszumachen, wie der Paläontologe Victor Beccari und sein Team von der Universität São Paulo im Fachjournal "Plos One" schreiben: Sie konnten das Urzeittier nun genau analysieren. "Wir hätten dieses Exemplar beinahe an die Museen des Globalen Nordens oder – noch schlimmer – an private Sammler verloren", schreibt Beccari.

Gelegenheitsflieger

Dafür setzte das Team die Steinplatten zusammen und unterzog sie einer Computertomografie (CT), um die verborgenen Knochen sichtbar zu machen. Erstmals steht der Paläontologie mit diesem Fund mehr als der Schädel dieser Saurierart zur Verfügung. Beccari visualisiert auch auf seinem Instagram-Account, wie sich das Knochenpuzzle aus den gescannten Platten zusammensetzt. "Dieses Exemplar liefert neue Einblicke in die Anatomie dieses Tieres und seine eingeschränkten Flugfähigkeiten, was dafür spricht, dass es sich am Boden auf Nahrungssuche machte", heißt es vom Autorenteam.

Foto und 3D-Modelle des nahezu vollständig erhaltenen Flugsauriers.
Bild: Victor Beccari

Dass der Flugsaurier eher wenig Zeit in den Lüften verbrachte, folgern die Forschenden aus dem langen Hals, den Proportionen der Gliedmaßen und dem massiven Kopfkamm. Damit seien Langstreckenflüge schwierig. Andererseits sprechen andere Aspekte gegen eine Flugunfähigkeit: die Armknochen etwa, an denen Ansatzpunkte für die notwendige Muskulatur vorhanden sind, und das sogenannte Notarium, das verschmolzene Brustwirbel bezeichnet und verschiedenen Vögeln und Flugsauriern gemein ist. "T. navigans wäre in der Lage gewesen, kurzzeitig zu fliegen, vermutlich, um Raubtieren zu entkommen", nimmt Beccari an.

Eine künstlerische Interpretation des Flugsauriers.

Wie genau diese Konstellation Flugverhalten und Leben des Tieres beeinflusst hat, werden künftige Forschungsarbeiten herauszufinden versuchen. Womöglich wird dabei auch aufgeklärt, welche Rolle der Kamm am Kinn spielte, der bei diesem Individuum besonders stark ausgeprägt ist. Dazu könnten auch andere Funde aus Brasilien beitragen: Hier werden immer wieder versteinerte Flugsaurier entdeckt. Dieser Pterosaurier wurde im Araripe-Becken im Nordosten des Landes gefunden, aber auch im südlichen Bundesstaat Paraná werden Paläontologinnen und Paläontologen häufig fündig. (sic, 26.8.2021)