Sebastian Kurz' ÖVP und das Finanzministerium unter Gernot Blümel werden von den Experten nicht als treibende Kräfte im Klimaschutz gesehen.

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Österreich ist im Klimaschutz im EU-weiten Vergleich eines der Schlusslichter. Während die Treibhausgasemissionen in der gesamten Union seit 1990 um mehr als 23 Prozent gesunken sind, liegen in sie in Österreich beinahe auf dem gleichen Niveau wie damals. Warum geht so wenig weiter? Dieser Frage sind das Institut für Höhere Studien (IHS) und die Meinungsforscherin und ehemalige Familienministerin Sophie Karmasin nachgegangen. In einer am Mittwoch präsentierten Studie haben sie eine "Klimawandel-Landkarte" für Österreich präsentiert. Diese zeigt auf, wer im Klimaschutz etwas voranbringen will und welche Akteure dabei wie viel Macht haben.

Für die Studie wurden 89 Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft, Behörden und NGOs befragt. Sie beurteilten, welche Interessen und Möglichkeiten Parteien, Institutionen, Vereine, Organisationen und Unternehmen im Klimaschutz haben. "Stakeholder bewerten Stakeholder", erklärt Karmasin das Prinzip. Die Studie solle erstmals eine "Vogelperspektive auf das System" bieten.

Die "Klimawandel-Landkarte" (zum Vergrößern anklicken): Die Y-Achse zeigt, wer welches Interesse am Ausbau der Öffis hat. Die X-Achse zeigt, über wie viel Macht der jeweilige Akteur verfügt.
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Das Ergebnis? In Österreich gebe es einige bremsende, aber auch treibende Kräfte im Klimaschutz, heißt es bei der Präsentation. Als größte Herausforderungen nannten die Experten die Mobilitätswende sowie den Umstieg auf erneuerbare Energien. In beiden Bereichen sei das Interesse verbunden mit Macht beim Klimaschutzministerium und bei der EU am höchsten. Beim Öffi-Ausbau sprachen die Experten auch den ÖBB viel Macht zu.

Kein großer Wille bei ÖVP

In Richtung der Kanzlerpartei sagte Katharina Gangl vom IHS: Der Wille sei "nicht so groß, wie man vermuten würde". Sowohl beim Öffi-Ausbau wie auch bei den Erneuerbaren werden die ÖVP, das Bundeskanzleramt sowie das türkise Finanz- und Wirtschaftsministerium als "Zweifelnde mit Macht" verortet. Die Wirtschaftskammer, Mineralölfirmen wie die OMV und Autoproduzenten wurden als machtvolle Bremser deklariert.

Die Studie zeigt, wie weit die Koalitionspartner aus Sicht der Experten auseinanderliegen: Die Grünen haben demnach mit 4,67 beziehungsweise 4,71 von fünf möglichen Punkten großes Interesse am Ausbau der Öffis sowie der Erneuerbaren. Ihre Macht bei den Themen wurde von den Experten hingegen nur mit 3,44 und 3,29 Punkten bewertet. Gänzlich anders sieht es bei der ÖVP aus: Die Türkisen haben mit 2,31 und 2,61 Punkten eher wenig Interesse an den Themen; ihre Macht ist mit 4,16 und 4,26 Punkten jedoch groß.

Konsumenten befinden sich sowohl beim Öffi-Ausbau als auch beim Umstieg auf Erneuerbare im Mittelfeld.

So sieht die "Landkarte" beim Thema Ausbau der Erneuerbaren aus.
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Ernst der Lage verkannt

Neben den rund 90 Experten wurden für die Studie auch 1.000 Menschen befragt, die repräsentativ für die österreichische Bevölkerung stehen. Sie wurden gebeten einzuschätzen, warum der Klimaschutz in Österreich nur so schleppend vorangeht (siehe Grafik). Am häufigsten wurde der verkannte Ernst der Lage genannt, gefolgt vom fehlenden politischen Willen. Aus Sicht der Bevölkerung mangelt es jedenfalls nicht am notwendigen Geld – und auch um ihre Arbeitsplätze fürchten sie sich nicht.

Auch die Experten wurden gefragt, wen oder was sie als Barriere in der Debatte wahrnehmen. Als größten Hemmer von Klimaschutzmaßnahmen betrachteten sie die Intervention von Lobbyisten. Fehlende Technologien oder der geringe Beitrag zum internationalen CO2-Ausstoß wurden von den Experten hingegen am seltensten genannt.

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Insgesamt würden sich in der Klimadebatte "die Lager aufteilen", erklärte IHS-Expertin Gangl. Aus ihrer Sicht basiere die Debatte zu sehr auf ideologischen Grundwerten und gegenseitigen Schuldzuschiebungen anstatt auf einer faktenbasierten Diskussion. Eine Meinung, die auch Karmasin teilt: Trotz der wissenschaftlich eindeutigen Faktenlage zur Klimakrise seien die mächtigsten Akteure immer noch nicht überzeugt, "ernsthaft anzupacken". (Nora Laufer, 25.8.2021)