Die langgezogenen Bauten erinnern noch heute an die Baracken von früher.

Foto: fellner

Friedland (Niedersachsen) – Wenn in diesen Tagen Menschen aus Afghanistan von der Bundeswehr nach Deutschland gebracht werden, ist Friedland – nach dem Flughafen – der erste deutsche Ort, den sie dort sehen. Im Grenzlandlager Friedland bleiben Menschen, die in Deutschland ankommen, für ein paar Tage oder Wochen. Die kleine Gemeinde in Niedersachsen beheimatet ein Flüchtlingslager mit enormer historischer Bedeutung – doch noch heute ist es ein Brennpunkt für das Thema Flucht. Vier Millionen Menschen passierten Friedland in den vergangenen 76 Jahren.

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Kontrolle für das Chaos nach dem Krieg

Die früheren Baracken sind heute noch in ihrer geometrischen Form zu erkennen: Im frei zugänglichen Lager wohnen die Menschen hier in langgezogenen, meist zweistöckigen Neubauten. Hilfsorganisationen bieten hier Beratungen an, Kinder haben einen Spielplatz. Auch ein Kaffeewagen ist mobil im Lager unterwegs.

Seit 1945 wurde das Lager mehrmals erneuert, auch heute wird wieder gebaut.
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Entstanden ist das Lager 1945, im Chaos der Nachkriegszeit. Millionen von Menschen waren in Europa unterwegs, wollten vom Westen in den Osten oder umgekehrt. Und das quer durch die damals russisch, britisch, französisch oder amerikanisch kontrollierten Gebiete. "Diese sehr unkontrollierten Bewegungen über die Grenzen der Besatzungszonen hinweg mussten ab einem gewissen Punkt kontrolliert werden", sagt Anna Haut. Sie ist die wissenschaftliche Leiterin des Museums Friedland. Im historischen Bahnhofsgebäude wird die vielfältige Geschichte des Lagers dargestellt. Weil es genau im "Dreiländereck" zwischen der britischen, amerikanischen und russischen Zone und an einer Bahnstrecke liegt, hat sich Friedland perfekt als Durchgangslager geeignet.

Kriegsverbrechen ohne Konsequenzen für die Täter

Das Lager ist seit 1945 durchgehend in Betrieb, war aber nie für längere Aufenthalte geplant. Nach dem Krieg wurden die Menschen hier registriert, gesundheitlich versorgt, durchgecheckt. Es waren damals hauptsächlich entlassene Kriegsgefangene und Flüchtlinge aus sowjetischen Gebieten. Auch die allerletzten Heimkehrer aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft kamen hier Jahre nach Kriegsende an. Dabei waren das "Menschen, die explizit von der Sowjetunion nicht amnestiert worden waren", sagt Haut. Es waren deutsche Kriegsverbrecher. In gesonderten Transporten waren sie nach Deutschland zurückgeschickt worden "mit dem Hinweis: Das sind die harten Jungs". Strafrechtlich belangt wurden sie hier nicht.

Der Passierschein war das wichtigste Dokument, das Menschen in Friedland erhielten.
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Ab 1950 kamen auch Aussiedler ins Lager – das sind Menschen mit deutschen Wurzeln, die durch Krieg und Vertreibung in Osteuropa gelandet sind. Noch heute kommen sie über Friedland nach Deutschland. Genauso wie die Nachfahren vertriebener Jüdinnen und Juden aus Deutschland, die unter bestimmten Bedingungen Anspruch auf die deutsche Staatsbürgerschaft haben.

Antikommunisten willkommen, Antifaschisten nicht so sehr

Internationale Flüchtlinge kamen erst ab 1956 in Friedland an – und auch das nur sehr punktuell und gegen den Widerstand der Lagerleitung. "Friedland nahm sich als Camp von Deutschen für Deutsche wahr", erklärt Haut.

Ungarische Flüchtlinge wurden von der Politik aber ebenso herzlich empfangen wie die vietnamesischen "Boat People" in den 1970ern. Immerhin waren es Kämpfer gegen den Kommunismus. Bei den Widerstandskämpfern aus Chile, die sich gegen den faschistischen Diktator Augusto Pinochet aufgelehnt hatten und in weiterer Folge nach Deutschland flohen, schaute das ganz anders aus. Sie kamen auch in Friedland an – aber ohne Empfangskomitee.

Seit 2011 ist Friedland eine Erstaufnahmeeinrichtung für Asylsuchende. Die von Deutschland aufgenommen Kinder aus dem griechischen Lager Moria wurden etwa hier erstaufgenommen, genauso wie ganz aktuell fliehende Menschen aus Afghanistan.

Kein Ort des Elends

Konflikte mit der angesessenen Bevölkerung in Friedland sind selten, sagt Haut. "Die Gemeinde selbst sieht das Lager positiv, weil es diesem winzig kleinen Ort eine deutliche Wahrnehmung verschafft", sagt die Historikerin. "Man ist auf diese Weise im Gespräch, und das weiß man zu schätzen."

Der Ort habe es geschafft, "nicht als ein Ort des Elends wahrgenommen zu werden, wie viele andere Flüchtlingslager. Sondern als ein Ort, in dem Beistand geleistet wird, in dem Menschen Hoffnung gegeben wird." Und weil es eben nur ein Durchgangslager ist, "kommt es nicht zu Konflikten, wie sie entstehen, wenn Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen länger zusammenleben".

Anarbeiten gegen den migrationsfeindlichen Diskurs

Gegen den gesellschaftlichen Diskurs, "dass Migration ein Problem ist, das man doch bitte unterbinden solle und dass Menschen brav in ihren eigenen Nationalstaaten bleiben sollen", möchte sie anarbeiten, sagt Haut.

Deshalb soll die Kontinuität, die Friedland verkörpert, auch im Museum dargestellt werden. Aktuell endet die Ausstellung in ihrer Darstellung rund um das Jahr 2010. Aber "weil uns als Museum wichtig ist, dass Migration ja nicht aufgehört hat", ist ein Neubau geplant. Das Thema: Flucht und Vertreibung in Gegenwart und Zukunft. "Friedland ist nicht nur ein historischer Ort, sondern ein Ort, an dem jeden Tag und jede Woche Menschen ankommen, die Flucht und Vertreibung erlebt haben", sagt Haut. Menschen, "die ein neues Leben beginnen, die sich in einer ganz sensiblen, schwierigen Lebensphase befinden". (Sebastian Fellner aus Friedland, 25.8.2021)