Taliban-Kämpfer beim Flughafen Kabul.

Foto: imago / Bashir Darwish

Es dürfte eine der schwierigeren Regierungserklärungen in der langen Amtszeit von Deutschlands scheidender Bundeskanzlerin Angela Merkel gewesen sein. Was in Afghanistan geschehe, sagte sie am Mittwoch, sei bitter, doch müsse man nun mit dieser Realität zu leben lernen. Vor den Abgeordneten des Bundestags beharrte sie darauf, dass der Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch trotz der Rückkehr der Taliban keineswegs sinnlos gewesen sei.

Einerseits, so die Kanzlerin, habe seither kein größerer Terroranschlag im Westen mehr seinen Ausgang in Afghanistan genommen; zweitens habe man die Lage sehr vieler Menschen durch den 20-jährigen Einsatz erheblich verbessert. Nun gehe es darum, den Menschen vor Ort auch nach dem – von US-Präsident Joe Biden am Dienstag endgültig fixierten – Abzug am 31. August zu helfen. Vor allem den im Land verbleibenden Ortskräften, sagte Merkel. "Wir scheuen nicht davor zurück, dafür auch Gespräche mit den Taliban zu führen."

Erstes Ergebnis der Gespräche am Mittwochabend laut dem deutschen Verhandler Markus Potzel: Die Radikalislamisten sagten zu, Afghanen würden auch nach dem am 31. August geplanten endgültigen Abzug ausländischer Truppen vom Flughafen ausreisen dürfen. So ganz traut man den Worten aber nicht, angesichts der immer zahlreichender werdenden Meldungen über Hinrichtungen und die Schikane von Ausreisewilligen.

Daher bleibt für die deutschen Evakuierungsflüge nicht mehr viel Zeit. Einem neuen Bericht des "Spiegel" zufolge könnte Deutschland seine Flüge bereits am Donnerstag einstellen, weil die deutschen Truppen – Eliteeinheiten der Fallschirmjäger und das Kommando Spezialkräfte (KSK) – 48 Stunden vor Ende der US-Mission das Land verlassen sollen. Zuvor hatte das Medium noch von Freitag berichtet.

Zur Stunde sollen sich noch 300 deutsche Staatsangehörige in Kabul aufhalten, einige davon wurden nach Informationen des Blatts von KSK-Soldaten bereits aus der Stadt zum Flughafen eskortiert.

Am Mittwoch warnte die deutsche Botschaft in Kabul vor Schießereien und Terroranschlägen am Flughafen in Kabul: "Es kommt sehr häufig zu gefährlichen Situationen und bewaffneten Auseinandersetzungen an den Gates. Dazu kommen aktuelle Terrorwarnungen", heißt es in einem Schreiben an deutsche Staatsbürger. Der Zugang zum Flughafen sei kaum noch möglich.

Schallenberg: "Krisenteam auch in Kabul"

Insgesamt sind seit dem 14. August nach US-Angaben mehr als 82.300 Menschen ausgeflogen worden (Stand Mittwochabend), darunter befanden sich etwa 4.500 US-Amerikaner. 87 davon waren Menschen mit österreichischem Pass oder Aufenthaltstitel, wie Außenminister Alexander Schallenberg am Mittwoch in der Zib2 erklärte. Etwa zwei bis drei Dutzend würden noch auf die Ausreise warten. Die Situation sei etwas unübersichtlich, weil sich in den vergangenen Tagen und Stunden immer wieder neue Personen gemeldet hätten.

Das österreichische acht-köpfige Krisenteam sei vorwiegend in Taschkent in Usbekistan, aber war und ist auch immer wieder in Kabul, sagte der Außenminister. "Unser Krisenteam wird auch über den 31. August hinaus bleiben", gab er an. Das Ziel sei, jeden Österreicher und jede Österreicherin beziehungsweise Personen mit Aufenthaltstitel sobald wie möglich aus Afghanistan rauszubekommen.

Die zukünftigen Beziehungen zu den Taliban ließ Schallenberg offen: "Wir werden sie (die Taliban, Anmerkung) an den Taten messen. Wir bekommen momentan sehr unterschiedliche Signale", sagte er. Man wisse nicht, wie sich "dieser neuer Machtfaktor in Afghanistan" entwickeln werde. Ganz klar ist, dass Abschiebungen derzeit völlig ausgeschlossen seien. "Ich kann nicht die Zukunft voraussehen", fügte der Außenminister aber hinzu.

Kaum Chancen für Charter

Während das Ende der staatlichen Evakuierungsmissionen näher rückt, versucht auch die Zivilgesellschaft Menschen auszufliegen. Wenig konkret, aber doch optimistisch hatte etwa der deutsche Grünen-EU-Abgeordnete Erik Marquardt am Dienstag einen aus Spendengeldern finanzierten Charterflug nach Kabul angekündigt. Fachleute betrachten solche Pläne mit Skepsis. Denn nachdem der zivile Teil des Flughafens Kabul gesperrt ist, bräuchte ein solches Flugzeug eine Landegenehmigung der US- oder Nato-Truppen, wie ein Sprecher des Luftfahrtmagazins "Austrian Wings" dem STANDARD erklärte. "Einer der größten Knackpunkte wird außerdem die Versicherung des Flugs sein", sagt Luftfahrtexperte Thomas Friesacher. Findet sich keine, würde das Flugzeug seine Zulassung verlieren.

Frauen sollen zur Sicherheit zuhause bleiben

Die neuen Herren in Kabul feilen derweil an ihrem Kabinett. Nachdem am Dienstag bereits die Namen der künftigen Finanz- und Innenminister des Taliban-Regimes kursierten, meldete der Sender Al Jazeera am Mittwoch auch den Namen des Verteidigungsministers: Mullah Abdul Qayyum Zakir, der sechs Jahre lang in US-Haft in Guantánamo saß.

Was die Hoffnungen betrifft, dass Frauen nun besser als während der ersten Taliban-Herrschaft behandelt werden würden, so gibt es ernüchternde Zeichen. Am Mittwoch gab ein Sprecher der Taliban bekannt, dass Frauen einstweilen lieber nicht die Häuser verlassen sollten – zu ihrer eigenen Sicherheit. Denn einige Taliban-Kämpfer seien noch nicht richtig ausgebildet., so der Sprecher. (Florian Niederndorfer, Bianca Blei, red, 25.8.2021)