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Sicherheitspersonal vor dem Institut für Virologie in Wuhan Anfang Februar 2021, unmittelbar vor dem Besuch der WHO-Expertendelegation.

REUTERS / THOMAS PETER

Sars-CoV-2 hat für die schwerste globale Gesundheitskrise seit über 100 Jahren gesorgt. Zwar ist es der Wissenschaft in Rekordtempo gelungen, wirksame Impfungen gegen das neue Virus zu entwickeln, durch die wir die Pandemie langsam in den Griff bekommen. Doch mehr als 20 Monate nach den ersten dokumentierten Ansteckungsfällen tappt die Wissenschaft weiterhin im Dunkeln darüber, wie das verheerende Virus in die (Menschen-)Welt kam.

Auch US-Geheimdienstbericht, der US-Präsident Joe Biden seit Dienstag vorliegt und nach wie vor unter Verschluss ist, dürfte laut US-Medien nur wenige neue Erkenntnisse liefern, zumal der Bericht eilig in nur 90 Tagen erstellt wurde. Fast zeitgleich mahnten am Mittwoch elf internationale Experten im Wissenschaftsmagazin "Nature" umgekehrt zur Eile: Es werde mit jedem Tag schwieriger, konkrete Beweise für den Ursprung des Virus zu finden.

Doch alles noch einmal der Reihe nach: Zu Beginn der Pandemie hatten viele Forschende – auch in Opposition zum damaligen US-Präsidenten Donald Trump – die These eines Laborlecks quasi als quasi unmöglich abgetan. Stattdessen favorisierten sie ganz klar die These eines natürlichen Überspringens ("Spillover") von einem Wirtstier (vermutlich einer Hufeisennase) direkt oder über einen tierischen Zwischenwirt auf den Menschen.

Die Laborhypothese wird salonfähig

Im Laufe des ersten Halbjahrs 2021 haben sich die Meinungsverhältnisse in der Wissenschaft und den Medien allerdings ein wenig verschoben. Dazu trug paradoxerweise auch der Bericht einer WHO-Expertenkommission bei, die im Jänner und Februar in Wuhan und Umland auf Spurensuche ging. Im Endbericht im März hieß es nämlich, dass die Laborhypothese höchst unwahrscheinlich sei. Offensichtlich war aber, dass diese Formulierung auf massiven Druck der Chinesen zustande kam, was WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus so sehr verärgerte, dass er prompt ganz explizit weitere Untersuchungen zur Laborhypothese verlangte.

Im Laufe des Frühjahrs erschienen dann in mehreren Ländern etliche mehr oder weniger gut recherchierte Texte, die eine Reihe von Hinweisen zusammentrugen, die für ein Laborleck sprachen. (Der STANDARD berichtete unter anderem hier und hier darüber.) Konkrete Beweise blieben freilich alle diese Recherchen schuldig. Dennoch – oder gerade deshalb – urgierten Forschende im Fachblatt "Science" im Mai weitere Untersuchungen. Parallel dazu machten in den USA die Republikaner gemeinsam mit konservativen Medien Druck auf die Regierung und deren obersten medizinischen Berater Anthony Fauci, weil die USA sogenannte Gain-of-Function-Forschung an Coronaviren in Wuhan unterstützt hätten, die zu dem fatalen Virus geführt haben könnte.

Uneinigkeit der Geheimdienste

US-Präsident Biden ordnete deshalb Ende Mai eine Geheimdienstuntersuchung an, deren Endbericht seit Dienstag dem Weißen Haus vorliegt, aber womöglich noch im Laufe der Woche veröffentlicht werden soll. Avril Haines, die neue Direktorin der nationalen Nachrichtendienste, hatte mit ihrem Team dafür allerdings nur drei Monate Zeit.

Die in dieser Frage gut informierte "Washington Post" vermeldete in ihrem ausführlichen Vorabbericht am Mittwoch, dass sich die Geheimdienstmitarbeiter in der Ursprungsfrage aber anscheinend weiterhin nicht einig werden konnten und wohl auch keine "smoking gun" gefunden haben dürften. Zuvor war immer wieder über wiederentdeckte chinesische Serverdaten oder die Erkrankungen von Labormitarbeitern des Instituts für Virologie Wuhan im November 2019 spekuliert worden, die konkrete Aufschlüsse liefern könnten.

Chinas totale Informationsblockade

Das Hauptproblem nicht nur für die US-Geheimdienste ist der völlige Unwillen Chinas, in der Frage zusammenzuarbeiten und etwa Laboraufzeichnungen zugänglich zu machen. Das haben auch die Mitglieder der WHO-Delegation erlebt. Die Chinesen verweigerten freilich nicht nur jeden Zugang zu Labordaten, sie taten auch alles, um einen natürlichen Ursprung in China unwahrscheinlich zu machen.

So dementierte man, dass am Fisch- und Wildtiermarkt lebende Tiere verkauft worden seien. Eine im Juni in "Scientific Reports" veröffentlichte Studie kam dagegen zu dem Schluss, dass in Wuhan nicht weniger als 38 Tierarten (darunter 18 Säugetierspezies) unter katastrophalen hygienischen Bedingungen feilgeboten wurden. 31 davon sind geschützt, und von 33 ist bekannt, dass sie Parasiten aufweisen, die auch Menschen infizieren können – womöglich eben auch Sars-CoV-2.

Was für ein Überspringen spricht

Das britische Magazin "Economist" wiederum thematisierte zuletzt einen weiteren Aspekt, der eher für ein Spillover-Ereignis spricht: So kam es in China ausgerechnet 2019 zu einer Verknappung des Schweinefleischangebots als Folge der Schweinepest. 150 Millionen Schweine mussten gekeult werden, und diese Knappheit führte im Herbst zu einem Rekordhoch bei den Schweinefleischpreisen. Davon war vor allem das ärmere Südchina betroffen, wo man auch sonst gerne eher exotische Tiere verspeist.

Aber auch eine Wildtierzucht in China könnte der Ort des Übersprungs gewesen sein: Dort arbeiteten laut chinesischen Angaben 2016 vermutlich rund 14 Millionen Menschen. Viele dieser Farmen sind mittlerweile geschlossen und die Tiere getötet worden. Das erschwere die Spurensuche nach den Sars-CoV-2-Ursprüngen weiter, monieren Mitglieder der WHO-Kommission (auffälligerweise ohne ihren damaligen Leiter, den dänischen Forscher Peter Ben Embarek) in ihrem aktuellen Kommentar im Fachblatt "Nature".

Ben Embarek hat in der Zwischenzeit im vielbeachteten dänischen Dokumentarfilm "The Virus Mystery", der am 12. August ausgestrahlt wurde, seine eigene Version der Dinge dargestellt und dabei auch noch einmal auf den Druck der Chinesen verwiesen. Im Film formulierte er en passant auch eine weitere möglich Hypothese, die quasi zwischen "Spillover" und "Lableak" liegt: Ein Labormitarbeiter könnte sich beim Einsammeln von Proben in einer Fledermaushöhle infiziert haben.

Das Zeitfenster schließt sich

Die elf Forschenden ohne Ben Embarek betonen in ihrem "Nature"- Kommentar wiederum sehr viel deutlicher als im Originalbericht, dass sie die Laborhypothese nicht für ausgeschlossen halten. Sie hätten auch öffentlich um Hinweise gebeten, die diese Hypothese untermauern. Das sei bisher aber nicht geschehen.

Die Hauptbotschaft des Teams: eine möglichst baldige Fortsetzung der wissenschaftlichen Untersuchungen. Denn das Fenster, in dem es noch möglich sei, frühe Spuren des Virus in Menschen und Tieren zu finden, schließe sich rapide. So werden etwa Antikörper, die Hinweise geben könnten, bei Infizierten mit der Zeit weniger. Und zugleich schwindet damit auch die Möglichkeit, endlich zu klären, wie, wann und wo Sars-CoV-2 erstmals einen Menschen infizierte und von da an zur Pandemie werden konnte. (Klaus Taschwer, 26.8.2021)