Ikea wagt sich in Österreich auf Neuland vor. Doch es gibt Proteste.

STANDARD/Urban

Wien – Vor den Toren des neuen Ikea am Wiener Westbahnhof prallen harte Widersprüche aufeinander. Im dem Donnerstagmorgen frisch eröffneten Einkaufsreich des Möbelgiganten lockt schwedisches Design Konsumenten erstmals in die Innenstadt. Noch nie gab sich Ikea einen grüneren Anstrich. Noch nie war die Eröffnung einer seiner Filialen in Österreich umstrittener.

Von Bienenstöcken, Insektenhäusern und Vogelnestern bis hin zu Photovoltaikanlagen und mit Stahlseilen befestigten Bäumen in Hightech-Blumentöpfen ist nichts dem Zufall überlassen. Bis zur Dachterrasse hinauf, 31 Meter über dem Boden, will Ikea einem urbanen, weltoffenen und umweltbewussten Publikum ein gutes Gewissen beim Einkaufen verschaffen.

"Illegales Holz für kurzlebige Möbel"

Doch vor seinen Toren zeichnen Aktivisten eine andere Welt. Sie erzählen von Landraub, Menschenrechtsverletzungen und illegal gerodetem Holz für kurzlebige Möbel. "Wer 160 Topfpflanzen vor seine Fenster stellt, ist noch lange nicht nachhaltig", sagt Veronika Bohrn Mena, Sprecherin der Bürgerinitiative für ein Lieferkettengesetz, im Gespräch mit dem STANDARD.

Ein Jahr lang hat die rumänische Partnerorganisation Agent Green die Forstwirtschaft der Einrichtungskette in ihrem Land analysiert. Der Bericht dokumentiert auf 30 Seiten die illegale Rodung von geschützten Baumriesen in Urwäldern.

Weltweit größter Holzverbraucher

Ikea ist Rumäniens größter Waldbesitzer und der weltweit größte Holzverbraucher, sagt Bohrn Mena. Ein Prozent der global gehandelten Holzmengen fließe in die Möbelwerke der Schweden. "Wir können belegen, dass Ikea gegen Beforstungspläne verstößt."

Die Handelsgruppe selbst will sich Anfang September mit der Kritik befassen und lädt zu Gesprächen. "Man macht auf ökologisch und Kreislaufwirtschaft", ärgert sich Bohrn Mena, "doch allein rund ums Holz reißen die Skandale seit Jahren nicht ab." Sie fordert ein Ende der freiwilligen Gütesiegel zugunsten eines Lieferkettengesetzes.

Einlass nur mit Ticket

Den Zulauf auf das 140 Millionen Euro teure Gebäude bremst ihre Protestaktion nicht. Um ungesunde Menschenschlangen in Zeiten von Corona zu verhindern, erhält in den ersten Wochen nur Zutritt, wer sich vorab ein elektronisches Ticket gesichert hat – eine Reminiszenz an die Anfänge des Unternehmens, als Kunden noch bei der Rezeption vorstellig werden und um Termine für den Einkauf ersuchen mussten. In Wien sind diese am Donnerstag jedenfalls bis in den Nachmittag hinein ausgebucht. An Ort und Stelle geht es am Donnerstag dann ohne Anmeldung lockerer zu. Der Massenandrang bleibt aus.

Zehn Jahre nahmen sich die Schweden Zeit, um ihr neuntes österreichisches Möbelhaus zu kreieren, zwei Jahre dauerte der Bau. Das Tamtam der Schweden darum zeugt von ebenso gutem Marketing wie das lichtdurchflutete Gebäude an sich. Verwöhnt von wirtschaftlichen Erfolgen, soll die Investition aber erstmals von leiser Nervosität begleitet sein, erzählen Konzernkenner.

Angst vor verstopften Straßen

Erfahrung mit City-Lagen hat Ikea zwar bereits in der Hamburger Innenstadt gesammelt, unter anderem auch mit Protesten der Anrainer, die verstopfte Straßen und Parkplätze befürchteten. In Wien hat die offene Frage der Verkehrsberuhigung dieser Tage gar zu einem Duell eines SP-Bezirkschefs mit der ebenfalls rot regierten Stadt geführt.

Neuland ist die enge Verzahnung zwischen stationärem und Onlinegeschäft. Denn wer Sperriges abseits von Kleinkram will, für den führt am Internet, einem Lieferservice oder dem Verteilerzentrum im 21. Bezirk kein Weg vorbei. Auch an das alternativlose Bezahlen via App oder Self-Service-Kassen werden sich viele Kunden erst gewöhnen müssen.

Essen statt einkaufen?

Zur Eröffnung der 9.000 Quadratmeter großen Verkaufsfläche auf fünf Stockwerken scheinen jedenfalls die wenigsten Kunden mit dem Auto angereist zu sein – von der Polizei einmal abgesehen, deren gutes Dutzend Einsatzfahrzeuge das Möbelhaus umstellt. Dass das so bleibt, wagen viele Grätzlbewohner noch nicht zu hoffen. Mit Spannung beobachten Handelsexperten, wie viele Kunden weniger zum Einkaufen denn zum Essen in die drei Gastrobetriebe des Möbelgiganten kommen werden. Ikea selbst hat seine Umsatzerwartungen für die City-Lage nicht allzu hoch geschraubt. (Verena Kainrath, 26.8.2021)