Die männlichen Weißnackenkolibris zeichnen sich durch blaue und strahlend weiße Federn aus. Ähnlich sieht aber auch das eine oder andere Weibchen aus.
Foto: Brian Sullivan / Macaulay Library, Cornell Lab of Ornithology

Warum sehen bei vielen Tierarten Männchen anders aus als Weibchen? Die Erklärung liefert eines der wichtigsten evolutionären Prinzipien, die sexuelle Selektion. Weil Weibchen sich zur Fortpflanzung für besonders fitte Partner entscheiden, stecken viele Männchen Energie in imposante Hörner oder farbenprächtige Federkleider, um diese Fitness auch auszustrahlen. Das beliebteste Beispiel für solche Fälle ist das blau und grün schillernde Pfauenrad – die dazugehörige Henne nimmt sich daneben in Brauntönen eher unauffällig aus.

Allerdings gibt es in der Biologie kaum eine Regel ohne Ausnahme: Es kommt auch vor, dass einige Weibchen einer Art es immer bunter treiben und sich ein farbiges Kleid zulegen. Bemerkenswert ist dies beim Weißnackenkolibri Florisuga mellivora, der auch als Jakobinerkolibri bezeichnet wird. Bei dem – frei übersetzten – Blütenzuzler haben rund 20 Prozent der erwachsenen Weibchen ein Federkleid, das dem der Männchen ähnelt, wie neue Forschungsergebnisse zeigen, die im Fachjournal "Current Biology" präsentiert wurden.

Jungvögel ähneln Männchen

"Das Interessante am Weißnackenkolibri ist, dass alle Jungvögel zu Beginn ein eher maskulines Gefieder haben", sagt Hauptautor Jay Falk, Verhaltensbiologe an der US-amerikanischen Universität von Washington, der für diese Arbeit viel Zeit am Smithsonian-Tropenforschungsinstitut (STRI) in Panama verbrachte. "Bei den meisten anderen Vogelarten ähnelt das Jungtiergefieder eher dem der Weibchen, vermutlich, um für Raubtiere weniger auffällig zu sein."

Die ausgewachsenen Weißnackenkolibri-Weibchen (links) sind für gewöhnlich unauffälliger gefärbt als erwachsene Männchen (Mitte) und Jungvögel (rechts), deren Bauch und Schwanz weiß leuchten und die noch dazu blaue Federn am Kopf haben.
Bild: Jillian Ditner, Cornell Lab of Ornithology

Beim Erwachsenwerden behalten die männlichen Kolibris das auffällige Gefieder. Das Gleiche gilt aber auch für knapp 20 Prozent der Weibchen – die übrigen 80 Prozent entwickeln zunehmend dunkleres grünes Gefieder, das sie unauffälliger macht. Entsprechend fragte sich das Forschungsteam, woran dies liegen könnte, und versuchte mithilfe von Vogelattrappen, seine Vermutungen zu bestätigen oder zu verwerfen. Die ausgestopften Präparate waren entweder erwachsene Männchen, typische erwachsene Weibchen oder erwachsene Weibchen, die optisch den Männchen ähnelten.

Vorteil am Futterplatz

Beim Beobachten, wie die Kolibris während der Brutzeit auf die Attrappen reagierten, wurde klar, dass es sich dabei nicht um sexuelle Selektion aufseiten der Weibchen handeln dürfte, die sich womöglich für die Männchen auffälliger hätten entwickeln können. "Wenn das den Männchen ähnliche Gefieder der Weibchen das Ergebnis sexueller Selektion ist, dann hätten die Männchen von den Weibchen mit männlichem Gefieder angezogen werden müssen", sagt Falk. "Das ist aber nicht passiert. Die männlichen Weißnackenkolibris zeigten immer noch eine klare Präferenz für die typisch gefiederten adulten Weibchen."

Auf der Suche nach dem wahren Vorteil dieser Gefiederentwicklung entwickelte die Forschungsgruppe eine ganz andere Erklärung. Dafür verfolgte sie das Verhalten der Vögel mit, die sie mit Identifikationsmarkern versehen haben – so konnte sie dokumentieren, welche Kolibris wie lange und wie häufig 28 Futterstellen besuchten.

Die auffälliger gefärbten Weibchen hatten laut Studie mehr Zeit zum Fressen und wurden seltener bedrängt.
Nature

"Unsere Tests ergaben, dass die typischen, weniger farbenfrohen Weibchen viel stärker belästigt wurden als Weibchen mit männchenähnlichem Gefieder", sagt Falk. "Da die Weibchen mit dem eher männlichen Gefieder weniger Aggressionen ausgesetzt waren, konnten sie häufiger fressen – ein klarer Vorteil."

Erfolgreiche Scharade

Ungefähr 35 Prozent länger konnten sie sich an den Futterstellen an süßem Nektar laben. Gerade unter Kolibris kann dieser Unterschied einen starken Effekt haben, sagt das Team: Diese Vögel haben unter allen Wirbeltieren die höchste Stoffwechselrate. Um zu überleben, müssen sie gewissermaßen die ganze Zeit fressen – oder besser gesagt: an Blüten saugen. Womöglich tritt das Prinzip auch bei anderen Arten auf: Laut Falk ergaben Untersuchungen, dass bei etwa einem Viertel der mehr als 350 Kolibri-Arten weltweit manche Weibchen wie Männchen aussehen.

Aus ihren Ergebnissen folgern die Forschenden, dass die Weißnackenkolibri-Weibchen ihr jugendliches Gefieder, das dem männlichen Federkleid ähnelt, aus sozialen Gründen behalten: Sie kleiden sich sozusagen wie die Aggressoren, um nicht von ihnen belästigt zu werden. Weitere Forschung wäre jedoch nötig, um herauszufinden, ob diese Weibchen selbst aggressiver sind – und welche physiologischen Mechanismen es ihnen ermöglichen, das auffälligere Gefieder zu behalten. (sic, 27.8.2021)