Rhythmische Gymnastik ist zwar in Österreich nicht der Publikumsmagnet schlechthin, dennoch eine olympische Disziplin, wie hier das bulgarische Team bei den Spielen in Tokio. Der Weg an die Spitze des Sports ist hart, die Trainerin eines Kindes soll es übertrieben haben.

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Wien – "Eine Schlangengrube ist dieser Sport", zischt Verteidiger Klaus Ainedter während der Verhandlung gegen Frau V. bei einer Gelegenheit. Es geht um rhythmische Gymnastik, die die Frau Kinder gelehrt hat. Auch eine damals Achtjährige, die sich bei einem Trainingslager in Slowenien eine Fußverletzung zugezogen haben soll, was Frau V. ignorierte. Weshalb sich V. vor Richter Gerald Wagner wegen Quälens und Vernachlässigens einer Unmündigen verantworten muss.

Der Prozess bietet auch am zweiten Verhandlungstag interessante Einblicke. V. bekennt sich nicht schuldig: "Ich kann mir nur vorwerfen, dass ich die Verletzung nicht bemerkt habe, aber ich habe das Kind nicht trainiert", sagt die Angeklagte, die das Trainingslager im Jahr 2019 geleitet hat – bei dem sich das Mädchen laut Anklage einen Stressbruch des rechten Knöchelkopfes und ein Knochenmarködem zugezogen hat.

Kein Bruch, sondern Ödem

Die Staatsanwältin hält diesen Vorwurf aufrecht, obwohl bereits am ersten Verhandlungstag ein Sachverständiger ausgesagt hat, dass es keine Fraktur, sondern nur das Ödem gegeben habe. "Diese Schmerzen ondulieren, kommen also in Wellen, wie der Name schon sagt", demonstriert der Richter seine fremdsprachliche Expertise. Das ist auch die Verteidigungslinie von Ainedter und seiner Mandantin V.: Die Angeklagte habe gar nicht wissen können, dass dem Kind etwas wehtut.

Dem widerspricht das Mädchen bei ihrer Einvernahme durch Wagner. Bei dem dreiwöchigen Trainingslager habe sie Anfang der zweiten Woche erstmals Schmerzen im Fuß gespürt. Sie habe bei ihren Ausbildnerinnen darüber geklagt und darauf hingewiesen, dass sich die verletzte Stelle blau verfärbe. Der Angeklagten "war es egal", die unmittelbare Trainerin sagte laut dem Kind: "Geh weg!" – "Das ist ja gemein", stellt der Richter korrekt fest. "Sie glaubten mir nicht", bekräftigt das Kind, das auf nationaler Ebene sehr erfolgreich ist.

Mobiltelefone eingesammelt

Drei bis fünf von zehn Übungen habe sie nicht machen können, sie habe da aber nicht mehr extra auf ihre Schmerzen hingewiesen. "Warum nicht?", fragt der Richter. "Weil ich ..." – das Mädchen überlegt mehrere Sekunden – "... ich dachte, sie glauben mir nicht, daher habe ich nichts gesagt." Auch ihrer Mutter habe sie nichts verraten. Mit der habe sie über das Mobiltelefon der Angeklagten, die daneben stand, telefonieren müssen, da ihr eigenes Handy wie das der anderen Teilnehmerinnen am Beginn des Camps eingesammelt worden war. "Warum hast du der Mutter nichts gesagt?", fragt der Richter nach. "Da ich Angst hatte, dann härter trainieren zu müssen."

Eine weitere Zeugin, die das Kind nach einem Vereinswechsel betreute, sieht besonders die Mutter in der Pflicht. "Sind die Eltern besonders ehrgeizig? Oder durchschnittlich?", interessiert den Richter. "Ich würde die Eltern als besonders ambitioniert bezeichnen", lässt die Ukrainerin übersetzen. Generell seien die Kinder "kleine Sternchen", sie ist überzeugt, dass es auch Mobbing von Eltern gegen Trainerinnen gebe.

Verteidiger soll Zeugin Dokument geschickt haben

Für Überraschung sorgt, dass sie eine auf Deutsch verfasste Stellungnahme vorlegen kann, obwohl sie bei der Aussage eine Dolmetscherin benötigt. Noch misstrauischer macht die Staatsanwältin, dass in dieser Stellungnahme auf Zeugenaussagen des ersten Prozesstages Bezug genommen wird. "Woher wissen Sie davon?", fragt die Anklägerin daher die Zeugin. "Ich habe die Unterlagen vom Verteidiger bekommen. Die eine Seite, auf der mein Name stand." – "Ich bin schon überrascht, dass Sie Teile von Einvernahmen an Zeugen verschicken", rügt der Richter den Verteidiger. "Ich kann es weder verifizieren noch falsifizieren", antwortet Ainedter ausweichend. Nach Rückfrage in seiner Kanzlei, kann Ainedter aber bestätigen, dass weder er noch Mitarbeiter Kontakt mit der Zeugin hatten. Ihre Stellungnahme habe aber eine Deutsch sprechende Freundin verfasst, erklärt die Zeugin.

Eine aus Graz angereiste Mutter einer weiteren Elevin berichtet, ihr seien bei der Verletzten keine Schmerzen aufgefallen, als sie die Nachmittagseinheiten beobachtete. Sie habe im selben Hotel wie die Kinder und die Trainerinnen gewohnt, auch dort habe das Mädchen nie geklagt. Einen weiteren Anklagevorwurf, dass V. das Kind vom Buffet ferngehalten und hungern lassen habe, kann diese Zeugin auch nicht bestätigen.

"Sehr resolut, sehr bestimmt, aber ehrlich"

Nachdem Privatbeteiligtenvertreterin Monika Ohmann 3.000 Euro für die körperlichen und psychischen Schmerzen des Kindes fordert, folgen die Schlussplädoyers. Während die Staatsanwältin eine anklagekonforme Verurteilung verlangt, fordert der Verteidiger einen Freispruch. Seine Mandantin sei "sehr resolut, sehr bestimmt, aber ehrlich", argumentiert Ainedter. Sie habe die Verletzung nicht bemerkt, ist er überzeugt und ortet gleichzeitig "massiven Druck der Eltern" auf das Kind, das "manipuliert" werde.

V. macht von ihrer Möglichkeit des letzten Wortes Gebrauch und behauptet, sie wisse, dass die Mutter das Mädchen regelmäßig schlage. "Sie hat nicht vor mir Angst gehabt, sondern vor ihrer Mutter", sagt die Angeklagte. Drei Jahre habe das Kind bei ihr gewohnt, "sie war wie meine Tochter", beteuert sie.

720 Euro Geldstrafe

Im Endeffekt erfüllt Wagner nur das Begehren der Privatbeteiligtenvertreterin und spricht die 3.000 Euro Schmerzensgeld zu. Die mittlerweile arbeitslose V. verurteilt er zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen à vier Euro, insgesamt also 720 Euro. Allerdings nicht wegen Quälens und Vernachlässigens Unmündiger, sondern wegen fahrlässiger Körperverletzung mit schweren Verletzungsfolgen.

Beim Training für Leistungssport könnten sich auch Kinder verletzen, argumentiert er. Würde man das aber immer als Quälen verurteilen, wäre beispielsweise der Skisport unmöglich, begründet der Richter seine Entscheidung. Aus der Einvernahme des Kindes hat sich für ihn ergeben, dass das Mädchen der Angeklagten nur einmal von Schmerzen berichtet habe. Während sich V. und Ainedter drei Tage Bedenkzeit nehmen, meldet die Staatsanwältin Nichtigkeit und Berufung an, das Urteil ist daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 26.8.2021)