Das Jahr war 2014, der Monat März, und zwar der 18. Tag desselben, als Google vor die Presse trat, um eine neue Softwareplattform zu verkünden. Unter dem Namen Android Wear hatte man ein Betriebssystem für Smartwatches und andere Wearables entwickelt, mit Samsung, LG, Motorola, HTC und Asus auch gleich die wichtigsten Hardwarehersteller dafür gewonnen. Ein Jahr vor der Präsentation der ersten Apple Watch schien Google also bestens aufgestellt, um den Erfolg von Android im Smartphone-Umfeld zu wiederholen.

Eine vertrackte Geschichte

Doch es kam anders, und zwar ganz anders. Das Interesse an Geräten mit Android Wear erfüllte bei weitem nicht die Erwartungen, vor allem aber glänzte Google in den kommenden Jahren mit einer Entwicklungsrichtung, die jeglichen Fokus vermissen ließ. Dass die von Qualcomm gelieferten Chips nicht annähernd das Leistungsniveau der von Apple bei seiner Watch genutzten SoCs erreichten, trug weiter zum schlechten Ansehen von Android Wear bei. Eine im Jahr 2018 vorgenommene Umbenennung der Plattform zu Wear OS änderte daran auch nichts mehr.

Während sich die meisten Smartphone-Hersteller rasch wieder vom Smartwatch-Markt abwendeten, setzte Samsung auf einen anderen Weg: Statt Wear OS nutzte man lieber die Linux-basierte Eigenentwicklung Tizen. In Kombination mit ebenfalls selbst entworfener Hardware konnte man damit durchaus positive Kritiken einheimsen – etwas, das bei Wear-OS-Uhren nur selten der Fall war. Allerdings hatte dieser Weg auch einen entscheidenden Nachteil: Der App-Support für Tizen-Uhren blieb vergleichsweise dünn.

Alles wird gut?

Nun soll aber alles anders werden: Mitte Mai verkündeten Samsung und Google gemeinsam die große Kehrtwende. Künftig wolle man wieder an einem gemeinsamen Strang ziehen, das kurz zuvor von Google übernommene Fitbit solle ebenfalls dabei helfen, eine Plattform zu kreieren, die eine ernsthafte Konkurrenz zu Apples Watch OS werden kann. Nun sind Ankündigungen natürlich leichter als die Umsetzung der dabei getätigten Versprechen, insofern durfte mit Spannung auf die ersten auf dieser Kooperation basierenden Geräte gewartet werden. Mit der Galaxy Watch 4 (Classic) kommt diese Rolle Samsung selbst zu. Die Smartwatch ist seit kurzem käuflich erhältlich, DER STANDARD konnte sie in den vergangenen Wochen aber bereits ausführlich unter die Lupe nehmen.

Galaxy Watch 4 Classic auf Katzenfell.
Foto: Proschofsky / STANDARD

Galaxy Watch 4 (Classic)

Die Galaxy Watch 4 gibt es zunächst einmal in zwei unterschiedlichen Ausführungen: einer regulären Version, die ganz auf die Touchscreen-Nutzung ausgerichtet ist und äußerlich eher sportlich daherkommt, sowie einer "klassischen" Variante. Letztere sticht vor allem durch einen drehbaren Rahmen – also die sogenannte Lünette – hervor, der auch zur Steuerung genutzt werden kann. Beide Modelle gibt es dann jeweils noch in zwei unterschiedlichen Größen, die reguläre mit 40 und 44 Millimeter, die "Classic" mit 42 und 46 Millimeter. Von diesem zahlenmäßigen Unterschied sollte man sich nicht in die Irre führen lassen, ergibt er sich doch aus dem zusätzlichen Platzverbrauch der erwähnten drehbaren Lünette. Das Display selbst ist zwischen normaler und "Classic"-Version dann wieder gleich groß. Konkret bedeutet das: Die kleineren Modelle haben jeweils ein 1,19-Zoll-Display mit 396 x 396 Pixel, die größeren kommen auf 450 x 450 Pixel, die resultierende Pixeldichte liegt immer bei 330 PPI. Deutliche Unterschiede gibt es dann wieder beim Gewicht, heißt vor allem: Die Classic-Ausführung ist mit 46,5 bzw. 52 Gramm signifikant schwerer als die Basisvariante. Diese kommt nämlich nur auf 25,9 bzw. 30,3 Gramm.

Ersteindruck

Doch was heißt das alles nun in der Praxis? Vorab: All die folgenden Aussagen beziehen sich auf die größere Ausführung der Galaxy Watch 4 Classic, die als Testgerät zur Verfügung stand. Dies gilt es also zu beachten. Allerdings konnten die anderen Varianten ebenfalls kurz ausprobiert werden, womit sich versichern lässt: Der allergrößte Teil der folgenden Aussagen trifft auf sämtliche Varianten der Uhr zu.

Zunächst: Ob man eine Smartwatch lieber rund oder rechteckig haben will, ist sicher Geschmackssache. Was man Samsung aber auch hier einmal mehr zugestehen muss: Die Verarbeitung ist wirklich top. Das beginnt bei den Knöpfen und der erwähnten Lünette und reicht bis zum Armband, das sich nicht nur gut trägt, sondern auch einfach ausgewechselt werden kann. Wie bereits erwähnt, ist der Classic-Ausgabe eine drehbare Lünette vorbehalten, mit dem durch die Inhalte "gescrollt" werden kann. Von Haus aus wechselt dieser zunächst einmal zwischen den einzelnen Widgets, die die einzelnen Funktionalitäten der Uhr zum Schnellzugriff bieten. Zudem kann darüber innerhalb von Apps navigiert werden. Zwar kann natürlich auch der Touchscreen für all diese Aufgaben verwendet werden, aber ganz ehrlich: Die Lünette ist wirklich ein hervorragendes Extra der Classic-Variante, das die Steuerung erleichtert. Ein Nachteil ist natürlich, dass er ein paar Millimeter heraussteht und so manchmal etwas im Weg herumsteht – auch bei der Touchscreen-Nutzung.

Druck machen

Ansonsten gibt es noch zwei Knöpfe, die seitlich angebracht sind und für die Navigation ebenfalls eine Rolle spielen. Während der untere davon immer einen Schritt zurückgeht, führt der obere zum "Homescreen" – also zur Zeitanzeige. Beim oberen Button kommen aber noch zwei weitere Möglichkeiten hinzu: Ein doppelter Druck auf diesen springt zur zuletzt genutzten App, während ein Langdruck den digitalen Assistenten zur Hilfe ruft. Wer das auch wirklich tut, für den gibt es die erste Überraschung, findet sich an dieser Stelle doch jetzt Samsungs Bixby statt des Google Assistant, wie es bisher bei Wear-OS-Uhren immer der Fall war.

Auf der Unterseite befindet sich eine ganze Menge Sensoren.
Foto: Proschofsky / STANDARD

Der restliche Aufbau des Systems im Schnelldurchlauf: Links vom Startbildschirm finden sich die aktuellen Benachrichtigungen, also etwa Mitteilungen, die vom verbundenen Smartphone geschickt werden, oder auch von der Uhr selbst gelieferte Informationen. Rechts vom Homescreen sind all die Widgets – hier genaugenommen "Tiles" genannt – versammelt, die von den installierten Apps angeboten werden. Das reicht von einer Wetteranzeige über den Start von Fitnessaktivitäten bis zur Anzeige zahlreicher Gesundheitsinformationen. Was hier dargestellt wird und in welcher Reihenfolge, lässt sich natürlich nach Belieben anpassen.

Unterhalb des Startbildschirms findet sich dann die Übersicht sämtlicher installierten Apps, die sehr Apple-mäßig in einer Art App-Wolke als Icons nebeneinander präsentiert werden. Vor allem aber gibt es hier dann auch Zugriff auf das, was bei früheren Samsung-Uhren gefehlt hat: den Play Store. Über diesen lassen sich also zahlreiche Apps nachinstallieren. Bliebe noch ein Swipe vom oberen Bildschirmrand, der die wichtigsten Schnelleinstellungen aufruft – von der Lautstärke bis zur Deaktivierung des Displays.

Softwareauswahl

Das App-Angebot von Wear OS mag noch einige Luft nach oben haben, besser als das unter Tizen ist es aber allemal. Allein schon, weil es hier eben einige Google-Apps gibt, die man auf dem anderen System vermisst hat. All das ist grafisch wirklich gut gemacht, überhaupt ist Wear OS 3 in der Mischvariante aus Google-Konzepten und Samsung-Oberflächlichkeiten durchaus gut zu nutzen. Weniger gefällt hingegen, wie viel Samsung selbst auf einer Smartwatch fix vorinstalliert. Eine Outlook-App von Haus aus auf der Uhr mag der finanziellen Zuwendung von Microsoft zuträglich sein, im Sinne der Nutzer ist es aber nicht. Wenn das wirklich wer braucht, kann er es schon selbst installieren, ohne dass es bei der breiten Masse sinnlos Platz verbraucht. Bei anderen Komponenten wie Kompass, Timer, Wecker oder Wetter-App werden solche Zweifel hingegen deutlich seltener vorkommen.

Companion-App

Zu Einrichtung aber noch einmal ein Wort: Die Verbindung mit dem Smartphone erfolgt nämlich nicht mithilfe von Googles "Wear OS"-App, sondern direkt mit Samsungs eigener "Galaxy Wearable"-Software. Dort können dann auch diverse Einstellungen – etwa für die Wahl unterschiedlicher Watchfaces – vorgenommen werden. Auch die erwähnten Tiles können an dieser Stelle verwaltet werden, wenn einem das lieber ist, als diese organisatorischen Aufgaben direkt auf der Uhr abzuwickeln.

All das verweist aber auch auf ein größeres Thema: nämlich dass die Software durch und durch von Samsung dominiert wird. Und zwar in einem Ausmaß, das auf einem Smartphone so nicht möglich wäre. Jenseits des Play Store sind eigentlich nur Google Maps und Android Messages als – sichtbare – Google-Anwendungen auf der Uhr vorinstalliert – und selbst letzterem ist noch Samsungs eigener SMS-Client zur Seite gestellt. Ansonsten gibt es eine Fülle von Samsung-Apps, von Samsung Health über Samsung Pay bis zu den bereits erwähnten Bixby, Wetter, Galerie und sogar der "Samsung Global Goals"-Anwendung ist die Liste lang.

Strategiewechsel

Stress will die Uhr messen, Stress macht sie damit.
Foto: Proschofsky / STANDARD

Das erklärt dann auch, wie Google Samsung für den Wechsel gewinnen konnte. Man hat "einfach" einen radikalen Richtungswechsel vollzogen. Hatte Google in der Vergangenheit eine strikte Kontrolle über die Software bei Wear OS ausgeübt – und zwar wesentlich strikter als bei Smartphones –, liefert man hier nur mehr das Basissystem samt Play Store. Den Rest überlässt man dem Hersteller, und dabei geht es eben nicht nur um den optischen Auftritt, sondern auch die App- und Services-Zusammenstellung.

Das bringt fraglos neuen Schwung in die Wear-OS-Welt, hat aber auch spezifische Nachteile. Die Verzahnung mit Samsung-Diensten ist hier dermaßen groß, dass der Einsatz der Galaxy Watch 4 für die Nutzer anderer Android-Smartphones eine relativ unerfreuliche Angelegenheit ist. Statt einer zentralen, herstellerunabhängigen App muss man jetzt eine Fülle von Samsung-Apps auf dem Smartphone installieren, wenn man sämtliche Funktionen der Uhr auskosten will. Zudem werden auch all die eigenen Gesundheits- und Fitnessdaten exklusiv bei Samsung gespeichert, eine Anbindung an übergreifende Dienste wie Google Fit gibt es bisher nicht. Heißt: Wer sich auf die Galaxy Watch 4 einlässt, lässt sich – zumindest derzeit – auch voll und ganz auf Samsung, dessen Dienste und Privacy-Versprechen ein. Das mag für viele, die ohnehin schon ein Smartphone desselben Herstellers haben, kein Problem sein, für andere ist so ein Silo ohne Verbindung nach außen aber eher abschreckend.

Ankündigung vs. Realität

All das wirft unweigerlich die folgende Frage auf: Was ist da eigentlich passiert? Mit jener gemeinsamen Plattform, die da vor einigen Monaten präsentiert wurde, hat das nämlich herzlich wenig zu tun. Da die betroffenen Unternehmen dazu schweigen, lässt sich darüber nur spekulieren. Zumindest gibt es aber gewisse Hinweise. So findet sich in den Einstellungen der Uhr die Möglichkeit, einen anderen "Health Provider" einzustellen. Bislang ist aber Samsung Health die einzige Option, selbst wenn man Google Fit manuell nachinstalliert, steht es an dieser Stelle nicht zur Verfügung. Das legt nahe, dass Google schlicht mit seinem Teil der Arbeit nicht fertig geworden sein könnte – und nährt auch die Hoffnung, dass das noch folgen könnte. Dazu passt auch, dass vom erwähnten Fitbit-Teil in der Wear-OS-Partnerschaft bisher keinerlei Spur zu sehen ist, und selbst so einfache Dinge wie die neue Youtube-Music-App mit Offline-Speicherung wurden erst in letzter Minute vor dem Marktstart fertig.

Top-Hardware

Doch kommen wir zu anderen Dingen, und zwar welchen, die ganz und gar unumstritten positiv sind: Im Inneren der Galaxy Watch 4 arbeitet ein Exynos-W920-Chip von Samsung selbst. Im Vergleich zur Galaxy Watch 3 wurde vor allem bei der Grafikleistung gehörig nachgebessert, die diesbezügliche Leistungsfähigkeit um den Faktor acht bis zehn gesteigert. Dazu gibt es 1,5 GB an RAM, der lokale Speicherplatz liegt bei 16 GB. Das hört sich alles nicht nur recht beeindruckend an, es ist es auch. Im Vergleich zu bisherigen Wear-OS-Uhren ist der Unterschied wie Tag und Nacht. Alles läuft hier wirklich flüssig ab, die gewohnten Ruckler sind Geschichte. Bleibt zu hoffen, dass auch andere Wear-OS-Uhren bald mit ähnlich guter Hardware ausgestattet werden.

Geladen wird die Uhr drahtlos, ein eigenes Kabel ist mit dabei. Ebenfalls gut zu sehen: Die drehbare Lünette der Classic-Ausgabe sowie die zwei seitlichen Knöpfe.
Foto: Proschofsky / STANDARD

Praktisch alle aktuellen Smartwatches legen einen Schwerpunkt auf die Bereiche Fitness und Gesundheit. Das ist bei Samsung nicht anders, und so gibt es eine beeindruckende Zahl an Sensoren und darauf basierenden Fähigkeiten. Den Anfang macht dabei ein BIA-Sensor – also einer zur "Bioelektrischen Impedanzanalyse", wie es ausgeschrieben heißt. Damit wird die Körperzusammensetzung gemessen, also wie hoch der Fettanteil ist, wie es um Muskel und Knochenmasse bestellt ist.

Die damit einhergehende Messung ist etwas umständlich, so müssen dabei zwei Finger der anderen Hand auf die Knöpfe der Uhr gelegt werden, ohne den darunter liegenden Arm zu berühren, die Ergebnisse sind aber halbwegs nachvollziehbar. Wer etwa Waagen mit solchen Sensoren kennt, aber auch schon einmal eine echte Körperfettmessung gemacht hat, weiß natürlich, dass solche BIA-Messungen immer mit einer gewissen Vorsicht zu genießen sind. Ihr Wert liegt eher darin, dass man Veränderungen über die Zeit beobachten kann, und das geht auch dann sehr gut, wenn die konkreten Werte nicht hundertprozentig mit der Realität übereinstimmen. Zu dem BIA-Sensor gesellen sich dann noch Sensoren zur elektronischen sowie der optischen Herzfrequenzmessung, also ECG und PPG.

EKG

In der Kombination all dieser Sensoren lassen sich dann allerlei Daten erfassen. So ist es etwa möglich, ein EKG aufzuzeichnen, um etwaige Unregelmäßigkeiten beim Herzschlag zu entdecken. Wie auch zuvor gilt: Das ist nützlich, medizinische Entscheidungen sollte man allein anhand dessen aber nicht treffen. Davor warnt allerdings auch Samsung eindringlich. Für diese Funktion ist übrigens die Installation einer weiteren App am Smartphone nötig, dem Samsung Health Monitor. Diese gibt es passenderweise nur im Galaxy Store von Samsung und nicht im Play Store.

Als Nächstes wäre die Blutdruckmessung zu erwähnen. Damit das Ganze klappt, muss zunächst eine Kalibrierung vorgenommen werden. Das sieht dann so aus, dass zeitgleich mit der Uhr und einem klassischen Blutdruckmessgerät am anderen Arm Messungen vorgenommen werden. Anschließend werden die Werte vom echten Messgerät bei der Uhr eingetragen, um hier also eine Orientierung zu bieten. Später klappen die Messungen dann über einen Tile direkt auf der Uhr – und damit auch recht unkompliziert. Die Genauigkeit ist aber auch hier in einem überschaubaren Bereich. Im direkten Vergleich lag die Abweichung hier dann doch regelmäßig im Rahmen von +/- 10 mmHg. Das reicht zur ungefähren Orientierung, aber für exakte Werte, an denen etwa eine Medikation ausgerichtet wird, ist das nicht tauglich. Darauf weist allerdings auch hier Samsung selbst wieder deutlich hin.

Neben der Galaxy Watch 4 Classic gibt es auch die reguläre Variante (im Bild), die auf ein sportliches Äußeres setzt.

Schlechte Werte sind schädlich

Während das bisher Genannte zumindest eine gewisse relative Orientierung erlaubt und so unzweifelhaft seinen Wert hat, kann das über die Messung des Blutsauerstoffs nicht gesagt werden. Im Testverlauf waren die Werte konsistent weit von einem zum Vergleich herangezogenen Pulsoximeter entfernt. Also so weit, dass die Uhr regelmäßig Warnungen liefert, obwohl der reale Wert sehr gut ist. Wenn das Pulsoximeter einen Blutsauerstoffwert von 98 ausgibt, die Uhr hingegen von 85 – was medizinisch an der Grenze zu einer kritischen Unterversorgung liegt –, dann wird dieses Feature halt komplett sinnlos bis schädlich. Nun mag diese Diskrepanz von Person zu Person variieren, trotzdem sei dringend angeraten, die von der Galaxy Watch gelieferten Werte zumindest regelmäßig mit anderen Geräten abzugleichen – oder sie einfach ganz zu ignorieren.

Weitere Funktionen, die man auch von anderen Trackern kennt: Die Galaxy Watch 4 kann die Schlafqualität analysieren, die gelieferten Werte wirken dabei halbwegs korrekt. Wer will, kann parallel dazu auch das eigene Schnarchverhalten analysieren, dafür muss man aber ein verbundenes Smartphone verwenden.

Eine Stressmessung, die Stress macht

All das ist übrigens durchaus hübsch optisch aufbereitet und auch sonst gut gemacht. Also wenn man mal von einem absurden Highlight absieht: der Stressmessung. Nicht nur, dass diese in der Praxis – subjektiv natürlich – kaum nachvollziehbare Werte zu liefern scheint, fragt man sich schnell, was den Designern dabei eigentlich eingefallen ist. Im Zentrum des zugehörigen Tiles steht nämlich groß das Wort Stress, das auch immer wieder mal zu pulsieren beginnt. Wenn es die Aufgabe dieser Funktion sein soll, Stress auszulösen, dann ist das gut gelungen. Ansonsten aber nicht. Dazu passt dann, das darunter der Hinweis "Atmen" zu finden ist, der bei näherer Betrachtung in Wirklichkeit eine Weiterleitung auf Atemübungen ist. Was hingegen die folgende Textpassage mit dem Inhalt "Den Geist" bedeutet, bleibt rätselhaft. Wenn der Autor tippen müsste: Das heißt vor allem, dass man bei der deutschen Lokalisierung nicht ganz so viel Wert auf die Qualitätssicherung gelegt hat. Im Englischen steht da nämlich "Relax your mind", was zwar auch weitgehend sinnfrei, aber wenigstens ein vollständiger Satz ist.

Puls ist da

Bleiben noch zwei Kernfunktionen: Die Ermittlung der Herzfrequenz erwies sich im Vergleich mit einem Pulsgurt generell als erfreulich genau, die Werte stimmten also praktisch überein, was über Messungen am Arm nicht immer gesagt werden kann. Das allerdings mit einem kleinen Schönheitsfehler: Bei starken Änderungen der Pulsfrequenz ist die Uhr immer ein paar Sekunden hinter dem Gurt her, bemerkt sie also später. Die GPS-Qualität lag hingegen etwa dort, wo man sie von anderen Smartwatches schon kennt. Also durchaus brauchbar, aber auch nicht wirklich hundertprozentig exakt. Gerade bei Laufrouten im städtischen Bereich kann es schon mal passieren, dass die Aufzeichnung Ecken abschneidet oder die falsche Straßenseite verzeichnet. Dazu passend sei noch darüber informiert, dass es all diese Uhren auch in einer Version mit LTE-Unterstützung gibt, dazu wird eine interne eSIM genutzt. Ansonsten ist man für die Datenverbindung von einer Verbindung zum Smartphone oder einem WLAN in der Umgebung abhängig. Es wird Bluetooth 5.0 unterstützt, NFC ist ebenfalls zu finden.

Zum Bezahlen wird wie gesagt derzeit nur Samsung Pay unterstützt, Google Pay sucht man hingegen bisher vergeblich – und ist in Österreich derzeit ohnehin erst in einem rudimentären Ausmaß vorhanden. Vor Beschädigungen schützt kratzfestes Gorilla Glass DX, doch auch sonst ist die Uhr robust genug, um eine MIL-STD-810G-Zertifizierung bekommen zu haben. Natürlich gibt es auch einen Schutz vor Wasser und Staub nach IP68.

Die Laufzeit ...

Bleibt noch eine nicht ganz unwichtige Frage: Wie lange hält der Akku der Uhr durch? Je nach Größe der Uhr ist die Kapazität mit 247 beziehungsweise 361 mAh angegeben. Samsung verspricht daraus eine Nutzungszeit von 40 Stunden. Im Test erweist sich das als etwas großzügig geschätzt. Aktiviert man sämtliche kontinuierlich laufenden Sensoren und auch das Always-On-Display, lag der reale Wert eher zwischen 30 und 35 Stunden. Das reicht in der Praxis, um durch den Tag zu kommen, dann die ganze Nacht über die eigenen Werte erfassen zu lassen und am nächsten Tag die Uhr wieder zu laden. Für viel mehr aber nicht.

Natürlich kann man diese Laufzeit durch gezielte Einstellungen verlängern. Wer auf das Always-On-Display verzichtet und keine kontinuierlichen Messungen vornimmt beziehungsweise nur selten Benachrichtigungen vom Smartphone bekommt, der wird sicher auch zwei Tage und mehr über die Runden kommen. Freilich muss betont werden, dass all diese Funktionen auch irgendwie der Sinn dieser Uhr sind. Denn das mit weniger Funktionalität sich auch erheblich längere Akkulaufzeit erzielen lässt, zeigen bereits viele andere Hersteller. Auch Samsung selbst bietet einen reinen Uhrenmodus an, wo der Akku dann rund zwei Wochen lang reicht. Aber wie gesagt: Sinn der Sache ist das nicht, weil dann kann man gleich woanders billiger zuschlagen.

Aufladung

Geladen wird die Uhr übrigens drahtlos. Samsung liefert dazu ein passendes Kabel mit, das auf der anderen Seite via USB-A angeschlossen werden kann. Ein eigenes Ladegerät gibt es hingegen nicht. Prinzipiell unterstützt die Uhr aber den verbreiteten Qi-Standard, es können also auch andere drahtlose Ladegeräte verwendet werden. Für welchen Weg man sich auch entscheidet, leider geht nichts davon flott. Im Test dauerte es mehr als 90 Minuten, bis die Uhr voll geladen war.

Eine wichtige Anmerkung noch für Interessenten aus der Apple-Welt. Diese können die Galaxy Watch 4 nämlich getrost abhaken. Funktioniert sie doch – zumindest derzeit – nicht mehr mit dem iPhone zusammen.

Die Galaxy Watch (Classic) läuft übrigens auf Wear OS 3, was wiederum auf Android 11 aufsetzt.
Foto: Proschofsky / STANDARD

Apropos: Der Preis der Galaxy Watch 4 startet bei 269 Euro, jener der Galaxy Watch 4 Classic bei 369 Euro. Das ist insofern erfreulich, weil das doch signifikant unter der Vorgängergeneration liegt. Die mit der Classic-Variante vergleichbare Galaxy Watch 3 wurde zum Marktstart um 429 Euro beworben.

Fazit

Mit einer Kombination aus starker Hardware und gelungener Software liefert Samsung mit der Galaxy Watch 4 (Classic) derzeit die ganz klar beste Smartwatch mit Wear OS ab. Auch der Neustart von Googles Betriebssystem, das hier erstmals in neuer Generation enthalten ist, ist durchaus vielversprechend. Und doch stellt sich die paradoxe Situation dar, dass die neue Smartwatch eigentlich nur einer Nutzergruppe uneingeschränkt empfohlen werden kann: jenen, die auch sonst immer Samsung-Geräte verwenden, also tief im Ökosystem des Unternehmens verankert sind. Zu stark – und vor allem: derzeit alternativlos – ist die Kombination mit einer Fülle von Samsung-Apps und -Diensten.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Wer sich nicht davon abschrecken lässt, einen Haufen zusätzlicher Samsung-Programme auf seinem Smartphones zu installieren und sämtliche Daten exklusiv den Diensten des Unternehmens zu überlassen, der mag auch hier glücklich werden. Für alle anderen heißt es hingegen weiter abwarten und darauf hoffen, dass bald auch andere Hersteller mit stärkerer Hardware und der neuen Wear-OS-Generation nachziehen. So mischt sich dann in die generelle Begeisterung über die Galaxy Watch 4 auch eine gewisse Enttäuschung über eine verpasste Chance. (Andreas Proschofsky, 30.8.2021)