Er liebt es, Kontroversen anzustoßen: Mit seinem neuen Roman bietet Maxim Biller einige Steilvorlagen.

Foto: Wolfgang Stahr

Das französische Restaurant Trois Minutes in der Torstraße in Berlin-Mitte war einmal ein bisschen berühmt, weil man sich davon erzählte, dass Brad Pitt sich dort gelegentlich mit Architekten traf, um mit ihnen seine Visionen einer coolen Stadt zu diskutieren. In Maxim Billers neuem Roman Der falsche Gruß spielt das Trois Minutes nun auch eine zentrale Rolle als sozialer Ort, an dem es um ein Haar zu einem der größten literaturpolitischen Skandale seit der Wende gekommen wäre.

Denn den ehrgeizigen jungen Schriftsteller Erck Dessauer zuckt es in der rechten Hand und das ausgerechnet in Gegenwart des bereits bestens etablierten Hans Ulrich Barsilay. Ob und wie und wie ernsthaft und mit welchen Folgen es zum Hitlergruß kommt, das ist für Biller dann aber auch nur so etwas wie ein Anlass, an dem er eine Geschichte festmacht, die man als bloße Satire auf den Berliner Literaturbetrieb unterschätzen würde.

Aufgeblähtes Ich

Der wichtigste jüdische Schriftsteller Deutschlands zielt in spielerischer Form auf das Ganze der Debatten über Geschichte und Gegenwart in diesem Deutschland. Und er tut dies mit einer Dramaturgie, die man fast als dialektisch bezeichnen könnte. Denn Erck Dessauer ist in nahezu jeder Hinsicht eine Antithese zu Biller selbst: Enkel eines Nazis, Sohn eines Ossis, sozialisiert mit einem Fotografen aus Sabra und Schatila, wo Israel 1982 ein Massaker verantwortete; ein "moderner Heide", der auf eine "Gegenwende" hofft und der im "Land der einstudierten Bewältigungsgesten" nicht besonders heimisch ist, weil er das "Land von Breker und Becher" vermisst, also eine seltsame, NS-klassizistische DDR.

Er fremdelt stark, bis es ihm gelingt, in einem Verlag, dessen Schilderung deutlich an Suhrkamp erinnert, ein Buch über einen fiktiven Mann zu veröffentlichen, der "als erster industrieller Massenmörder der Geschichte" de facto die verpönte These vom Weltbürgerkrieg bestätigt, mit der Ernst Nolte seinerzeit den Historikerstreit der 80er-Jahre auslöste. So zumindest die nicht eben bescheidene Darstellung in Billers Roman, der auch stark von einem aufgeblähten Ich handelt, von einem Charakter, der unter anderen Bedingungen wohl noch stärker ins Ressentiment rutschen könnte.

Kein Schlüssel passt

Dessauer bleibt auch deswegen harmlos oder lächerlich, weil er für sich eigentlich nur einen richtigen Feind sieht: den Starautor Hans Ulrich Barsilay, von dem es an einer Stelle heißt, er könne "so klar schreiben und denken, wie sie es oft können". Sie, das sind die Juden, die gar nicht heimliche Obsession von Dessauer, der gern auch die russische Freundin von Barsilay übernehmen würde, was in einem sehr komischen Kapitel aber deutlich scheitert.

Biller macht die Sache auf einer oberflächlichen Ebene ein bisschen spannend, indem er diesem Barsilay auch den einen oder anderen Zug von sich selbst gibt (als Autor eines verbotenen "Sexromans", bei dem man unwillkürlich an den Fall seines Buches Esra denken muss). Zugleich wird an diesem Punkt aber auch deutlich, dass Der falsche Gruß eben kein Schlüsselroman ist oder, wenn, dann einer, bei dem kein Schlüssel wirklich passt.

System- und Identitätskonkurrenz

Es geht vielmehr auf eine hintersinnige und dabei sehr gründliche Weise um Formen und Energien des Gegensätzlichen und der Aufrechnung grundsätzlich: Dessauer und Barsilay sind ein Paar, das durch viele komplementäre oder antagonistische Motive konstituiert wird. Biller weitet diese an sich natürlich belanglose literarische Affäre aber deutlich ins Große, indem er die Konstellation Dessauer/ Barsilay zu einem Spezialfall des Prinzips von System- und Identitätskonkurrenz insgesamt macht. Der Roman wimmelt geradezu von Spuren dessen, was man heute oft als Whataboutism abtut: Es gibt zu jeder Perspektive immer weitere, über deren Berechtigung und Gewicht dann eben zu streiten ist. Das kann in ein "Bürgerkriegsland" führen oder in eine neue Aufklärung.

Der falsche Gruß ist ein Beispiel für mögliche Formen dieses Streits. Biller entäußert sich in die Figur eines unsympathischen Strebers, bestreitet dabei sich selbst als den jüdischen Hans-Ulrich Treichel Walser Barsilay und findet als reichhaltigerer Autor zu sich selbst zurück. (Bert Rebhandl, 27.8.2021)