Türkische Sicherheitskräfte gehen in der Grenzregion gegen Menschenschmuggler vor und stellen dabei vor allem Geflüchtete aus Afghanistan.

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"Wir haben keinen Platz mehr für Flüchtlinge. Die Türkei wird auf keinen Fall zum Auffanglager europäischer Länder für Flüchtlinge aus Afghanistan werden": Mit diesem Statement reagierte der Sprecher der regierenden AKP, Ömer Çelik, auf Gerüchte, wonach angeblich Großbritannien ein Flüchtlingslager in der Türkei einrichten will. Das hatten zuvor mehrere Medien berichtet und den britischen Verteidigungsminister Ben Wallace mit der Ankündigung von Lagern in Ägypten und der Türkei zitiert.

Die Opposition in der Türkei hatte Präsident Recep Tayyip Erdoğan dafür massiv kritisiert, obwohl es offiziell überhaupt noch keine Anfrage aus Großbritannien gegeben hatte. Der Vorfall zeigt aber, wie nervös die türkische Regierung angesichts einer möglichen Fluchtbewegung aus Afghanistan ist. In der Türkei leben bereits geschätzt 500.000 zumeist illegale Einwanderer aus dem Land. Zusammen mit den knapp vier Millionen syrischen Flüchtlingen und weiteren tausenden Flüchtlingen aus dem Irak und dem Iran hat die Türkei nach Ansicht der großen Mehrheit der Bevölkerung ihre Aufnahmekapazität längst überschritten.

Vor allem seit die Türkei in eine schwere Wirtschaftskrise geraten ist, ist die Toleranz gegenüber Einwanderern stark zurückgegangen. Erst vor einem Monat kam es in Ankara zu tagelangen Ausschreitungen gegen syrische Flüchtlinge, nachdem bei einer Auseinandersetzung ein türkischer Jugendlicher von einem syrischen Mann erstochen worden war. Nach Umfragen sind neun von zehn Befragten dagegen, weitere Menschen aufzunehmen.

Mauerbau an der Grenze

Entsprechend allergisch reagiert Erdoğan auf die Vorschläge europäischer Politiker – allen voran Kanzler Sebastian Kurz –, die zu erwartenden Flüchtlinge aus Afghanistan unbedingt in den direkten Nachbarländern und in der Türkei unterzubringen. Sie dürften keinesfalls nach Europa kommen. "Wir sind nicht das Auffanglager für Europa", heißt es einhellig aus der Opposition und der Regierungspartei, nachdem Griechenland angekündigt hat, keine Asylanträge von Afghanen anzunehmen, weil die Türkei ja ein sicheres Drittland sei.

Diesen Ball passt Erdoğan jetzt an den Iran weiter. Der schon vor Jahren begonnene Bau einer Mauer entlang der türkisch-iranischen Grenze wird nun forciert. Dennoch kommen nach Angaben von Menschenrechtlern täglich rund 1.000 afghanische Flüchtlinge über die iranische Grenze in die Osttürkei. Um das künftig zu verhindern, hat Erdoğan 30.000 Soldaten an die Grenze geschickt.

Allerdings mutmaßen die Opposition und oppositionelle Medien, dass Erdoğan in Absprache mit den Taliban vielleicht doch noch einmal ein größeres Kontingent afghanischer Flüchtlinge ins Land lassen könnte. Warum sonst, fragt das Oppositionsblatt "Sözcü", verhandelt der Staatschef nach wie vor mit den Taliban darüber, dass türkisches Militär nach dem Abzug der US-Soldaten den Schutz des zivilen Teils des Kabuler Flughafens übernehmen könnte?

Angst vor mehr Islam

Ursprünglich hatten die USA den türkischen Präsidenten gebeten, nach Abzug ihrer Soldaten die Kontrolle des Flughafens zu übernehmen, allerdings ging man zu der Zeit noch davon aus, dass es noch Monate dauern würde, bis die Taliban Kabul erobern würden. Obwohl die Türkei am Mittwochabend ebenfalls begonnen hat, ihre Soldaten abzuziehen, ist die Sicherung des Flughafens durch die Türkei noch nicht vom Tisch. "Nachdem unsere Soldaten abgezogen sind, können wir den zivilen Betrieb des Flughafens dennoch übernehmen. Die Gespräche laufen weiter", sagte Präsidentensprecher İbrahim Kalın am Donnerstag.

Der säkulare, oppositionelle Teil des Landes befürchtet eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit Erdoğans mit den Taliban. Der Präsident will die Türkei noch stärker im islamischen Osten verorten, vermutet ein Kommentator auf dem Nachrichtenportal T24, nachdem Erdoğan davon gesprochen hat, dass man den gläubigen Taliban ja durchaus nahe sei. (Jürgen Gottschlich aus Istanbul, 27.8.2021)