Herbert Kickl reibt sich wahrscheinlich schon die Hände. Egal, ob es mehr Glück als eine tatsächliche Vorsehung war, aber der FPÖ-Chef und blaue Stratege arbeitet seit längerem an der Erzählung, dass die türkis-grüne Bundesregierung langsam, aber sicher die Gesellschaft mit einem "Impfzwang" unterjochen wird. Das haben der Kanzler und seine Gesundheitsminister bisher mehr oder minder elegant vom Tisch gewischt. Eine Impfpflicht werde es nicht geben, hieß es. Damit war die Sache erledigt – bis jetzt.

Denn die Infektionszahlen steigen immer weiter an, auch die Corona-Infizierten in den Intensivstationen werden stetig mehr. Der saisonale Bonus des Sommers geht zur Neige – die kältere Jahreszeit, in der das Virus stärker floriert, steht uns erst bevor. Dem gegenüber befindet sich eine ausgebrannte Impfkampagne. Nur rund 58 Prozent in Österreich sind vollimmunisiert. Das reicht nicht aus, um die nächsten Wochen auf die leichte Schulter zu nehmen.

Nur rund 58 Prozent in Österreich sind vollimmunisiert.
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Dass in dieser Situation etwas getan werden muss, liegt auf der Hand. Die Regierungsspitze deutete zumindest an, was sie im Herbst vielleicht zu tun gedenkt, sollten die Infektionszahlen weiter ansteigen. Künftig könnten Bereiche wie die Nachtgastronomie nur für Geimpfte zugänglich sein und wohl auch für Genesene nur mit einmaliger Auffrischungsimpfung, das ist die 1G-Regel. Ungeimpfte mit negativem Testergebnis müssten draußen bleiben, sollte es tatsächlich so kommen. Das kommt einer Impflicht recht nahe – zumindest für Bereiche.

Das Problem ist aber, dass es nur bei der vagen Ankündigung blieb. Doch beim wahrscheinlich "heiligsten Gral" dieser Pandemie, der Impfung, die die Gesellschaft so sehr spaltet, bräuchte es eine aktivere Rolle der Politik. Sie muss deutlich artikulieren, dass wir wohl zwangsläufig auf so etwas wie eine partielle Impfpflicht zusteuern, erklären, warum das notwendig ist, und dass die viel gelobten Tests schon in ein paar Wochen weniger wert sein könnten.

Steigendes Infektionsgeschehen

Es wird nicht reichen, diesen Eingriff allein mit einem steigenden Infektionsgeschehen zu argumentieren. Ebenso genügt es nicht, Ungeimpften bloß auszurichten, dass sie die Voraussetzungen für gewisse Dinge dann eben nicht erfüllen. Das muss tiefer gehen, um die Spaltung nicht weiter anzuheizen.

Es gibt ja prinzipiell gute Gründe, der türkis-grünen Linie zu folgen. Jüngsten Studien zufolge infizieren sich Geimpfte seltener mit Corona – und wenn, dann sind sie weniger und kürzer ansteckend. Der Infektiologe Herwig Kollaritsch erläuterte auch, dass Getestete weit stärkere Infektionstreiber sind als Geimpfte. Im Sukkus heißt das, dass die Impfung nicht nur einen Schutz vor schweren Verläufen bietet, sondern auch für die Menschen um sich darstellt.

Abgesehen davon geht es darum, das Land am Laufen zu halten und nicht gezwungen zu sein, einige Bereiche auf Zeit zuzusperren. Das sollte man auch in der Gastronomie verstehen.

Die Regierung kann Ungeimpfte mit 1G vor vollendete Tatsachen stellen. Mit Zwang erreicht man da und dort auch sein Ziel. Aufwendiger und sinnvoller wäre es aber, offen zu kommunizieren und die Diskussion – und nicht die Konfrontation – mit den Impfunwilligen zu suchen. Die Regierung muss sich klar positionieren und dazu stehen, auch wenn es ein paar Wählerstimmen kosten mag. Wenn das alles nichts hilft, bleibt immer noch der Zwang – sanft und weniger sanft. (Jan Michael Marchart, 26.8.2021)