Wien – Von Bäumen haben sie wirklich wenig Ahnung." Gabriel Paun mustert mitleidig Birken und Kiefern entlang der Fassade des Möbelhauses Ikea. "In diesen Trögen werden sie nicht lange überleben." Doch um grüne Architektur sorgt sich der Präsident der rumänischen Umwelt-NGO Agent Green nur bedingt.

"Hainburg-Feeling" kam am Donnerstag für manch Beobachter vor den Toren des neuen Ikea auf.
Foto: Andy Urban

Paun kämpft in seinem Land gegen die illegale Abholzung von Urwäldern, und Ikea steht auf seiner schwarzen Liste weit oben. Ein Jahr lang hat er dokumentiert, wie der Konzern als größter privater rumänischer Waldbesitzer systematisch Umweltstandards verletze. Neben Kahlschlag in den eigenen Forsten wirft Paun den Schweden vor, Löhne in ihren Möbelfabriken auf ein Minimum zu drücken. "Hier aber wird versucht, Probleme des Systems Ikea hinter ein paar Büschen zu verstecken", seufzt er mit Blick auf mächtige Blumentröge.

Vor den gläsernen Toren des neuen Ikea am Wiener Westbahnhof prallen harte Widersprüche aufeinander. Im gestern, Donnerstag, eröffneten Einkaufsreich des Möbelgiganten lockt schwedisches Design Konsumenten erstmals in die Innenstadt. Noch nie gab sich Ikea einen grüneren Anstrich. Noch nie war die Eröffnung einer seiner Filialen in Österreich umstrittener.

Bienen fürs gute Gewissen

Von Bienenstöcken, Vogelnestern und Insektenhäusern bis hin zu den Photovoltaikanlagen und mit Stahlseilen befestigten Bäumen ist in der Inszenierung nichts dem Zufall überlassen. Bis zur Dachterrasse hinauf in 31 Meter Höhe mit weitem Blick über Wien will Ikea einem urbanen, weltoffenen und umweltbewusstem Publikum gutes Gewissen beim Shoppen machen.

Doch auf dem Weg in die durchgestylte Welt erzählen Aktivisten von Landraub, Menschenrechtsverletzungen und illegal gerodetem Holz für kurzlebige Möbel. "Wer 160 Topfpflanzen vor die Fenster stellt, ist noch lang nicht nachhaltig", sagt Veronika Bohrn Mena, Sprecherin der Bürgerinitiative für ein Lieferkettengesetz. Ikea sei der weltgrößte Holzverbraucher. Ein Prozent aller gehandelten Holzmengen fließe in die Werke der Schweden. Rumänien liefere Rohstoff für sechs Prozent ihrer Möbel und setze damit die letzten Urwälder Europas aufs Spiel.

Ikea selbst will sich Anfang September mit der Kritik befassen und lädt NGO-Vertreter zu Gesprächen. "Man macht auf Öko und Kreislaufwirtschaft", ärgert sich Bohrn Mena, "doch allein rund ums Holz reißen die Skandale nicht ab."

"Bringt doch eh nix"

Den Zulauf in das 140 Millionen Euro teure Gebäude bremst ihre Protestaktion nicht. "Die Jungen haben einfach zu viel Zeit", schimpft ein älteres Ehepaar, das auf Einlass wartet. "Sollen sie besser studieren als demonstrieren. Bringt doch eh nix."

Sie selbst hoffen auf günstige Angebote. "Sonst gehen wir woanders hin. Möbelhäuser gibt es ja eh mehr als genug." Fast "Hainburg-Feeling" kommt hingegen bei einem Fotografen auf, der sich an die einstige Besetzung der Au erinnert fühlt. Um Menschenschlangen in Zeiten von Corona zu verhindern, soll in den ersten Wochen nur Zutritt erhalten, wer sich ein elektronisches Ticket sichert – eine Reminiszenz an die Anfänge des Unternehmens, als Kunden in Schweden noch bei der Rezeption vorstellig werden mussten und um Termine für den Einkauf ersuchten. In Wien geht es am Donnerstag auch ohne sie. "Bei den wenigen Leuten?", fragt ein Security-Mitarbeiter und winkt dieselben mit einem Schwung durch.

Wachsender Druck

Zehn Jahre nahmen sich die Schweden Zeit, um ihr neuntes österreichisches Möbelhaus zu kreieren, zwei Jahre dauerte der vom Architekturbüro Querkraft geplante Bau. Ziel ist es, näher am Kunden zu sein und Onlinekonkurrenz in die Schranken zu weisen. Denn der Konzern ist trotz hoher Gewinne ein Getriebener. Weit mehr als die Hälfte seines Sortiments lässt sich gut übers Internet verkaufen, das macht ihn verletzlich für Rivalen aus dem Web. Stationäre Händler wiederum expandieren mit kleinen Häusern in Bezirksstädte, was sein Einzugsgebiet an der Peripherie beschneidet.

Ikeas Stärke liegt neben ausgeklügelter Steuervermeidung in unvergleichbarem Sortiment, das nach oben hin offene Kalkulation erlaubt. Von den Gewinnmargen des Möbelgiganten können Konkurrenten nur träumen. Die gesamte Produktionskette selbst in der Hand zu haben erleichtert zudem Digitalisierung – bei der Vernetzung des stationären mit dem Onlinehandel sind die Schweden Mitstreitern weit voraus."

40 Millionen Euro Umsatz

A gmahde Wiesn" ist der neue City-Ikea in Wien, der auf Autostellplätze verzichtet, dennoch nicht. Das Projekt soll von Nervosität begleitet sein, berichten Konzernkenner. 40 Millionen Euro Umsatz peile das Unternehmen am Westbahnhof jährlich an. Für Ikea-Verhältnisse sei das nicht gerade hoch. Österreichweit lag der Umsatz 2919/2020 bei gut 847 Millionen Euro.

Vieles ist nicht nur für Ikea, sondern auch für Kunden Neuland. Wer am Westbahnhof Sperriges abseits von Kleinkram will, für den führt an Internet, einem Lieferservice oder dem Verteilerzentrum im 21. Bezirk kein Weg vorbei. Auch an Bezahlen via App und an Self-Service-Kassen werden sich etliche erst gewöhnen müssen. Mit Spannung beobachtet die Branche, wie viele Wiener künftig weniger zum Einkaufen als nur zum Essen einkehren werden.

Erfahrungen mit City-Lagen sammelte Ikea in Städten wie Hamburg. Auch dort fürchteten Anrainer verstopfte Straßen und Parkplätze. In Wien hat die Frage der Verkehrsberuhigung dieser Tage gar zu Duellen eines SP-Bezirkschefs mit der ebenfalls rot regierten Stadt geführt.

Mitbewerber wie Lutz sehen die Trommelwirbel rund um den Neuzugang pragmatisch. "Er belebt den Markt", sagt Konzernsprecher Thomas Saliger und geht fix davon aus, dass sich Ikea mit dem neuen Standort vor allem selbst kannibalisiert.

Magnet für den Handel

Wirtschaftlich profitieren dürfte trotz des Gürtels als Barriere die Mariahilfer Straße, ist Wolfgang Richter, Chef des Marktforschers Regiodata, überzeugt. Österreichs längste Einkaufsmeile schwächle an beiden Enden. Auch entlang ihrer Hauptader häuften sich nicht erst seit Corona die Leerstände. Mit Ikea auf der einen Seite und dem geplanten Luxuskaufhaus des Investors René Benko auf der anderen entstünden nach dem "Knochenprinzip" neue starke Ankerbetriebe.

Was die innovative ökologische Aufmachung des neuen Einrichtungshauses betrifft, so diene diese weniger dem Klima als dem Image, sagt Richter.

Dem Aufruf, zu Fuß oder mit Öffis zur Eröffnung zu kommen, nicht gefolgt ist die Polizei: Ein Dutzend Einsatzfahrzeuge flankieren die Straße. Übers Kreuz geraten die Demonstranten mit den Einkäufern nicht. (Verena Kainrath, 26.8.2021)