"Es ist Zeit für Verantwortlichkeit", findet Marsha Blackburn nur Stunden nach dem Anschlag von Kabul. Die republikanische Senatorin aus Tennessee, die Ex-US-Präsident Donald Trump politisch nahesteht, stellt sich darunter Folgendes vor: "Joe Biden, Kamala Harris, Antony Blinken, Lloyd Austin und Mark Milley sollten ihr Amt aufgeben." Mit der Forderung nach einem beispiellosen gemeinsamen Rücktritt von Präsident, Vizepräsidentin, Außenminister, Verteidigungsminister und Generalstabschef steht sie bisher alleine da – mit jener, dass Biden sein Amt zur Verfügung stellen solle, aber nicht. Da und dort ist auch von Impeachment die Rede – einem Vorhaben, das freilich an der demokratischen Mehrheit in beiden Kongresskammern scheiten würde.

Aber die Kritik der Republikaner an Biden, sie wächst bereits jetzt und kommt teils auch in schrillen Tönen. Auch bei den Demokraten stellen viele Fragen, die der US-Präsident nun beantworten müsse.

Joe Biden steht im Zentrum der Kritik.
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Die Kritik konzentriert sich vor allem auf die Art des Rückzugs vom Hindukusch. Biden habe diesen überhastet durchgezogen und damit nicht nur das Leben tausender Afghaninnen und Afghanen, sondern auch von US-Soldatinnen und -Soldaten riskiert, hatte es schon vor den Anschlägen geheißen. Nun, da tatsächlich mindestens 72 Zivilisten und 13 Mitglieder des US-Militärs getötet wurden, bekommen diese Vorwürfe neue Nahrung. Logisch stringent ist die Kritik der Republikaner dabei nicht immer – hatten doch führende Vertreter der Partei noch vor kurzem gefordert, den noch ambitionierteren Deal von Ex-Präsident Donald Trump mit den Taliban für den Rückzug zügig durchzuziehen. Dieser hätte ein Ende des Einsatzes Anfang Mai avisiert. Nun fordern viele, den Rückzug aus Kabul weiter zu verzögern.

Eindruck der Schwäche

Ohnehin ist es aber nicht immer die Logik, sondern vielmehr die Macht der Bilder, auf die die Republikaner nun setzen. Und da lieferten Biden und seine Regierung in den vergangenen Tagen dankbare Vorlagen. Schon bisher hatten die Republikaner den 78-Jährigen als zu alt und müde für das höchste Staatsamt gebrandmarkt, auch als zu schwach. Dass die USA nun mühsam den Flughafen in jenem Land verteidigen müssen, das sie bis vor kurzem maßgeblich kontrolliert haben – das kann in der Tat als ein Symbol für Schwäche durchgehen.

Bidens Auftritte vor der Presse tun ihr Übriges. Teils an Heftmappen oder sein Rednerpult geklammert, oft sichtlich emotional, tritt der Präsident auf. Nicht immer spricht er seine Sätze zu Ende. Das ist zwar der Stil des Politikers, der erst im Erwachsenenalter sein Stottern überwunden hatte und immer noch manchmal davon heimgesucht wird – in der aktuellen Situation stützt es aber auf für Biden bedrohliche Art das Bild seines Verfalls. "So sieht Schwäche aus", twitterte Trumps Sohn Donald Jr. nach der Pressekonferenz.

Sinkende Zustimmung

Biden selbst hat stets damit argumentiert, dass der Abzug der USA aus Afghanistan von einer großen Mehrheit der Menschen im Land unterstützt werde. Das ist auch tatsächlich so, Umfragen zeigen eine Zustimmung von rund 70 Prozent – im Prinzip. Denn auch hier geht es um die Art des Rückzugs und um den Eindruck, den die Regierung dabei hinterlässt. Fehleinschätzungen der Geheimdienste, Bilder von belagerten Flughafentoren und von verzweifelten Menschen in Afghanistan, zurückgelassene US-Amerikaner und das allgemeine Gefühl des Abstiegs der großen Weltmacht: Das kommt nicht gut an.

Bidens Zustimmungsraten, bisher rund zehn Prozentpunkte im Plus, sind in den letzten Wochen teils dramatisch gefallen. Ein Durchschnitt der Analysen- und Umfragenseite "Fivethirtyeight" sieht ihn nur noch um wenige Zehntelpunkte im positiven Bereich – und das war vor dem Anschlag vom Donnerstag. Seine Regierung muss nun darauf hoffen, dass das alles bald wieder vergessen ist und dann die Zustimmung zum Abzug wieder überwiegt. Denn von der Corona-Situation, bisher Ass im Ärmel der Biden-Regierung, ist aus politischer Sicht wenig Hilfe zu erwarten: Mehr als 100.000 Menschen sind derzeit wieder mit einer Covid-Infektion in US-Spitälern, so viele wie seit acht Monaten nicht mehr.

Demokratische Kritik

Und was sagen die US-Demokraten zu alldem? Mehrere Unterstützerinnen und Unterstützer des Präsidenten haben sich in den vergangenen Tagen mit Zustimmung dazu geäußert, dass der "ewige Krieg" nun ende – zu ihnen zählen der Senatskandidat in Pennsylvania, John Fetterman, und der Senatskandidat in Florida, Charlie Crist.

Die Nervosität aber steigt, immerhin sind die Midterm-Wahlen nur noch ein knappes Jahr entfernt. Andere, die zum rechen Flügel der Partei zählen, beginnen daher schon jetzt kritische Fragen zu stellen. Nun sei nicht der Moment, um politisches Kleingeld zu waschen, twitterte etwa der Armeeveteran und nunmehrige Abgeordnete zum Repräsentantenhaus, Conor Lamb, am Donnerstag – aber wenn all das ein wenig weiter in der Vergangenheit liege, werde man die Art des Rückzuges und das Versagen der Geheimdienste engagiert aufklären müssen.

Vertrauen in die Taliban

Bob Menendez, ein militärischer Falke, demokratischer Senator aus New Jersey und Chef des außenpolitischen Ausschusses im Senat, gab sich noch deutlicher: Man dürfe "den Taliban nicht amerikanische Leben anvertrauen", formulierte er und nahm damit Bezug auf eine Meldung vom Donnerstag.

Demnach haben die US-Truppen den Taliban einige Namen von Menschen gegeben, die bei Checkpoints in Kabul durchzulassen seien. Das hat laut dem US-Präsidenten – der den Bericht bei der Pressekonferenz im Wesentlichen bestätigte – zwar tatsächlich deren Evakuierung beschleunigt. Einmal mehr aber ist es das Bild, diesmal jenes der Kooperation und des blinden Vertrauens, das Schaden verursacht. Vermutlich bleibenden. (Manuel Escher, 27.8.2021)