Raimunda Gomes da Silva: "Ich mag die Nacht sehr, ich finde, sie ist ruhig, still, sehr weise, sie inspiriert mich ..."

Foto: Lilo Clareto

Gomes da Silva wurde 1959 als Tochter von Nachfahr*innen afrikanischer Versklavter väterlicherseits und eines inzwischen beinahe ausgestorbenen indigenen Stamms mütterlicherseits geboren. Schon im Alter von zehn Jahren lernte sie, als Putzkraft geräuschlos durch fremde Wohnungen reicher Menschen zu schleichen.

Armut und Wurzellosigkeit prägten die ersten dreißig Jahre ihres Lebens, bis sie 1988 mit ihrem Mann João Pereira da Silva und ihren gemeinsamen Töchtern auf ein kleines Paradies im Regenwald stieß.

Auf einer der hundert Inseln des Rio Xingu lernte Gomes da Silva, aus dem Wald zu ernten, Gemüse anzubauen, zu fischen und auf dem Fluss zu navigieren. "Draußen" in der Stadt, zweieinhalb Stunden flussabwärts, verkaufte sie ihre Waren am Markt, schickte ihre Töchter zur Schule, kümmerte sich um bürokratische Angelegenheiten und ließ ernste Krankheiten behandeln.

Fluss als Freund

Am Fluss, auf der Insel, erwirtschaftete sie im Einklang mit der Natur ihr Einkommen und lebte frei. Fluss und Wald waren ihre Bank, ihre Kreditkarte, Supermarkt, Apotheke und vor allem – ihr Freund. 2015 wurden Gomes da Silva und ihre Familie aufgrund des Dammbaus von der Insel vertrieben, das Haus wurde abgebrannt, das Land geflutet:

Guten Tag! Ich möchte gerne über eine Ameise sprechen, eine besondere Ameise, die Tapiba-Ameise. Hier in meiner Umgebung gibt es viele Tapiba. Sie ist nicht opportunistisch, sondern viel eher bequem. Ihr Haus baut sie weder hoch noch niedrig. Das Haus, das sie bewohnt, lässt sie eigentlich für sich errichten. Die Marimbondo-Wespe baut das Haus, das die Tapiba hütet. Ob verrückt oder weise, ich weiß es nicht genau. Doch sie passen gut zusammen, die Tapiba-Ameise und die Marimbondo-Wespe.

Es gibt verschiedene Marimbondo-Arten, aber diese hier, die Weißflügelwespe, ganz schwarz mit weißen Flügeln, bildet gemeinsam mit der Tapiba eine freundschaftliche Familie. Keine benachteiligt die andere. Und sog elingt es der Tapiba-Ameise ganz unauffällig, mit der weiß geflügelten Marimbondo-Wespe zusammenzuleben.

Wenn ich sehe, wie die Leute über die Natur und über die Haut, über ihre Farbe sprechen, dann bekomme ich den Eindruck, dass die Haut etwas sehr Wichtiges ist. Ich mag Schwarz sehr, denn im Dschungel ist Schwarz eine Tarnung. Schwarz tarnt und flößt Respekt ein. Wenn ich zum Beispiel in den Wald gehe und einem Quati, einem Nasenbär, begegne – einem Einzelgänger, der nicht sehr ängstlich ist, sondern eher frech –, und wenn er mich in Schwarz sieht, weiß er, dass ich den Mut habe, ihm zu begegnen. Er macht einen Buckel, umkreist mich, aber er greift mich nicht an. Er nähert sich nicht, denn er weiß, ich bin perfekt gekleidet. Für ein Fest, auf das man geht, bereitet man sich vor und zieht das Beste an, was man hat. So ist es auch im Urwald. Dort trage ich Schwarz, damit ich respektiert werde.

Wenn wir über Haut und Farbe sprechen, so stehe ich für die Farbe der Nacht, denn ich bin Buiúna, die große Wasserschlange der Nacht. Ich mag die Nacht sehr, ich finde, sie ist ruhig, still, sehr weise, sie inspiriert mich, sie lässt mich spüren. Die Nacht und die dunkle Haut – meine Haut – hängen also absolut zusammen.

Es beginnt etwas zu fließen

Ich glaube, dass jeder und jede von uns eine Aura hat, die in unserem Unterbewusstsein und in unseren Gedanken verborgen ist. Wenn wir uns etwas vorstellen, dann beginnt etwas zu fließen, und die Fantasie bekommt Flügel: Wir fliegen, wir schwimmen, wir machen alles mit der Vorstellungskraft. Das ist für mich wunderbar. Nachts, wenn ich schlafe, reise ich, ich fliege, ich komme an Orte, an denen ich noch nie war. Ich denke tagsüber an sie und besuche sie in der Nacht.

Viele sagen, es sei leicht ... es ist nicht leicht, es ist ziemlich schwierig zu verstehen, wovon ich spreche. Ich spreche von Geist, Vorstellungskraft und Vorfahr*innen, den Wurzeln meiner Großeltern, meines Urgroßvaters. Ich fühle mich wie ein Adler, können Sie sich das vorstellen? Ich, Raimunda, mit beiden Beinen auf dem Boden, fühle mich wie ein fliegender Adler. Ich fliege auf den Flügeln der Fantasie, und von diesen Flügeln aus sehe ich viele schöne Dinge, die ich in meinem Leben tagsüber gerne sehen würde, aber nicht kann. Nur nachts, wenn ich schlafe, weil ich dann fliege. Wenn wir also von Dschungel sprechen, von Wald, von Indigenen, die ihre Körper bemalen: Meine Seele ist bemalt, sie ist schwarz und weiß angemalt. Mit Schwarz tarne ich mich, mit Weiß finde ich Frieden.

(ALBUM, 28.8.2021)