Elias Hirschl zeichnet eine zeitgemäße Betrachtung der politischen Welt.

Foto: Leonhard Hilzensauer / Zsolnay

Eigentlich könnte sein Leben perfekt sein: Er ist jung, dynamisch, hat eben eine Karriere bei der Wiener Partei "Junge Mitte" begonnen – und auch der stets dampfgereinigte Slim-Fit-Anzug tut permanent seine Wirkung! So begibt sich der Ich-Erzähler zu politischen Sitzungen, Punk-Konzerten und verbringt Zeit mit seiner Freundin Moni. Nach außen hin ein gelungenes Leben, oder?

Aber hinter dieser Konstruktion lauert der Abgrund. Und das von Anfang an: Denn ausgerechnet ein Albtraum ist es, mit dem Elias Hirschl seinen neuen, überaus gelungenen Roman, der eben bei Zsolnay erschienen ist, beginnt: "Ich habe geträumt, dass mich Ärzte aufschneiden", heißt es da gleich auf der ersten Seite. Und damit nicht genug.

Auch das Verlassenwerden als Schiffbrüchiger, in einem Boot, sucht den Ich-Erzähler immer wieder in seinen Träumen heim. Wie gut, dass die Therapeutin Abhilfe weiß! Genau wie die Rhetoriktrainerin, die die Hauptfigur des Romans Salonfähig immer wieder aufsucht, hat sie stets den richtigen Ratschlag parat.

So weiß unser Protagonist Bescheid: "Jeder glaubt, Erfolg hat mit Talent zu tun", erklärt er, "aber das stimmt nicht. Talent existiert nicht." Worauf es ankomme, sei in Wahrheit ein sicheres Auftreten. Oder? Und zugegeben: Das hat unser Ich-Erzähler. Zumindest nach außen hin. Wie viel Arbeit dahintersteckt, erfahren jedoch seine Kollegen in der Politik nicht. Nur wir als Leser und Leserinnen dürfen diesen inneren Zweifeln und Ängsten folgen, die mit permanenten Zwangshandlungen einhergehen.

Eine Art Traummann

Da wird alle paar Minuten der schwarz gefärbte Haaransatz im Spiegel kontrolliert, die neue Freundin darf freilich nicht zehn Minuten zu früh zum Date erscheinen und muss vor verschlossener Wohnungstüre warten, und auch das Gießen der Blumen, das unsere Hauptfigur für den Kollegen Julius übernimmt, ist streng getaktet: Womit wir schon beim Hauptthema wären: Denn die Beziehung des Erzählers zu "seinem" Julius ist eines der wichtigsten Elemente in diesem Buch.

Julius ist eine Art "Traummann" – er leistet alles, woran der Erzähler, selbst aus einem Wiener Arbeiterbezirk stammend und an Panikattacken leidend, seit Ewigkeiten hart arbeiten muss: Julius gewinnt immer. Bei politischen Debatten weist er charmant auf Unstimmigkeiten hin, entschuldigt sich höflich und doch bestimmt, hält den Blicken der anderen stand, wird nie zu emotional und zeichnet sich durch logische Argumentation aus.

Ja: Genau so will unser Erzähler werden! Und er ist bemüht, die Kluft, die in seinem Inneren herrscht, zu überwinden. Das Motiv der "Kluft" zieht sich im Übrigen durch den gesamten Roman: Nicht nur besteht sie zwischen dem nach außen hin perfekten Image der Hauptfigur und seiner einfachen Herkunft, nein: Auch in der Art, wie mit Tradition und Geschichte umgegangen wird, ist sie zu finden.

Zwischen Innovation und Tradition

Während die Vertreter der Partei "Junge Mitte" auf Punk-Konzerte gehen, Netflix- Serien schauen und auf amerikanische French Fries stehen, wahren sie nach außen hin den Schein, essen Sachertorte und besuchen Konzerte semispannender regionaler Bands wie der "Franz Fuexe". Doch damit nicht genug: Zwar hat unser Protagonist ein Patenkind in Afrika, dem er jeden Monat Geld spendet, doch der Bettler auf der Straße wird an schlechten Tagen bestenfalls ignoriert.

Dass die Freundin auch nach langer Zeit noch jeden Sonntag einen Blumenstrauß qualitativ hochwertiger roter Rosen, gespickt mit zwei weißen Lilien, bekommt, ist selbstverständlich; der Satz "Ich liebe dich" jedoch überfordert unseren Ich-Erzähler radikal!

Der Autor Elias Hirschl schafft es in diesem Roman, ein herrliches Porträt der Generation Slim Fit zu zeichnen, das die Abgründe zwischen Innovation und Tradition in unserer Gesellschaft auf wahnwitzige Art und Weise spürbar macht. Nicht zuletzt besticht Salonfähig durch seine Sprache, die humorvoll und überaus reflektiert daherkommt und vom ersten bis zum letzten Moment packend bleibt.

Elias Hirschl hat eine großartige neue Betrachtung der politischen Welt geschaffen, in und hinter der der Abgrund lauert! Also: Auf zu Julius! (Sophie Reyer, ALBUM, 28.8.2021)