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Edward Snowden, definitiv kein Fan von Apples neuem System zur Bekämpfung von CSAM.

Foto: Brendan McDermid / REUTERS

Mit dieser Reaktion scheint man bei Apple nicht gerechnet zu haben: Ausgerechnet Pläne zur Bekämpfung der Verbreitung von Darstellungen sexualisierter Gewalt gegen Kinder – oder, wie es im Englischen heißt, "Child Sexual Abuse Material (CSAM)" – haben dem Unternehmen massive Kritik eingebracht. Seit Wochen befindet sich der iPhone-Hersteller im Schadensbegrenzungsmodus. In einer kaum mehr überschaubaren Zahl an Hintergrundgesprächen versuchte das Unternehmen zu erklären, warum der gewählte Weg eigentlich komplett unproblematisch sei und nur missverstanden werde. Allein: Die Kritiker beeindruckt das nicht sehr, und so meldet sich nun einer ausführlich zu Wort, dem in der Diskussion zu Überwachungsmaßnahmen eine gewisse Expertise nicht abgesprochen werden kann.

Gefahr

In seinem Newsletter übt NSA-Whistleblower Edward Snowden harsche Kritik an Apple. Das Unternehmen habe mit seinen Plänen, auf iPhones lokal nach einschlägigen Materialien zu suchen, der Privatsphäre den Krieg erklärt – schaffe doch ausgerechnet jenes Unternehmen, das sonst so offensiv mit Privacy wirbt, damit einen gefährlichen Präzedenzfall. Mit dieser Maßnahme werde die Grenze davon, was den Nutzern gehört und was dem Gerätehersteller, neu gezogen.

Damit bezieht sich Snowden auf ein Argument, das von Apple seit Wochen immer wieder zu hören ist – nämlich dass der gewählte Ansatz, also direkt am Smartphone der Nutzer nach entsprechenden Bildern zu suchen, aus einer Privatsphärenperspektive deutlich weniger invasiv sei, als einen entsprechenden Scan in der Cloud vorzunehmen, wie es viele andere Unternehmen wie Facebook, Google oder Microsoft seit Jahren machen. Genau das hält der Whistleblower aber für eine fatale Fehleinschätzung. Denn während bei den Cloud-Systemen klar sei, dass es sich um Rechner der jeweiligen Firmen handelt, betrachten die Nutzer das Smartphone als ihres. Der Einbruch in die Privatsphäre sei also ein wesentlich tieferer. Apple verwische damit die Grenze, welche Geräte für sie arbeiten und welche für die Nutzer.

Perspektiven

Insofern habe diese Maßnahme eine Signalwirkung, die weit über den betreffenden Fall hinausgeht. Wenn es einmal möglich sei, dass das Smartphone seine eigenen Nutzer verrät, dann werde dies rasch andere Interessen anziehen. Regierungen würden früher oder später Druck machen, damit dieses System auch nach anderen Inhalten sucht. Doch was passiere, wenn etwa die indische Regierung plötzlich nach von Separatisten verwendeten Memes suchen will? Was, wenn andere Regierungen nach von ihnen als "extremistisch" angesehenen Inhalten suchen lassen wollen, nach Aufnahmen von zivilem Ungehorsam?

Auch Apples Verweis darauf, dass die Bilder nur gescannt werden, wenn die iCloud-Backup-Funktion aktiviert ist, sei bei weitem nicht so beruhigend, wie das Unternehmen glaube. Immerhin sei dies auch jenen bewusst, die solche Materialien im großen Stil auf ihren Geräten haben, sie könnten Apples Überprüfung also leicht umschiffen. Dieser Umstand führe nicht nur das gesamte System ad absurdum, er zeige auch, dass es Apple gar nicht um den Schutz von Kindern gehe, sondern um den des eigenen Ansehens, wirft Snowden dem Unternehmen vor. Vor allem aber übersehe man auch hier die Konsequenzen – werde doch schnell der politische Druck folgen, die Möglichkeit der Deaktivierung zu unterbinden.

Eine Frage des Vertrauens

Apple liefert auf diese Fragen bisher immer dieselbe Antwort: Man werde dem Druck nicht nachgeben, das System soll auch langfristig ausschließlich auf die Suche nach Darstellungen von Kindesmissbrauch beschränkt bleiben. Dabei verweist man nicht zuletzt auf frühere Ereignisse, wo sich Apple öffentlich – und vieldiskutiert – gegen den staatlichen Druck für Hintertüren gewehrt habe. Für Kritiker sind solche Aussagen allerdings nicht viel mehr als wenig beruhigendes "Vertraut uns!", das an der rechtlichen Realität vorbeigehe. In diese Kerbe schlägt auch Snowden: Wenn Apple zeige, dass man in einem spezifischen Fall nach Verbrechen auf dem iPhone suchen könne, dann zeige man damit, dass das bei allen gehe. Damit würde man wiederum die schlimmsten Gesetzgeber der schlimmsten Regierungen anziehen.

Verschlüsselung: Technisch effektiv, im Gedanken unwirksam

Immer wieder wurde in den vergangenen Wochen spekuliert, dass die technische Umsetzung dieser Prüfung mit einem anderen von Apple anvisierten Schritt zu tun haben könnte: einer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung der in der iCloud gespeicherten Daten. In solch einem Fall könnte Apple dann tatsächlich nicht mehr auf den eigenen Servern nach solchen Inhalten scannen. Insofern ergibt diese Theorie zwar einen gewissen Sinn, Apple will dies bisher aber nicht bestätigen.

Doch selbst wenn das kommen sollte, kann Snowden dem wenig abgewinnen. In dem Moment, wo man ohnehin schon direkt am Smartphone Inhalte überprüfe, sei damit die ganze Idee von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung grundlegend untergraben – nämlich dafür zu sorgen, dass wirklich die Nutzer selbst Zugriff auf die Daten haben. Das Smartphone verrate die Nutzer dann nämlich schon, bevor die Verschlüsselung überhaupt greifen kann. Apple eröffne damit ein neues Zeitalter, und zwar eines, das mit dem Blut der Opposition in hunderten Ländern geschrieben werden wird, findet Snowden reichlich drastische Worte. (apo, 27.8.2021)