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Das Arbeiten in den eigenen vier Wänden bringt große Verschiebungen in der Arbeitswelt – wer profitiert, wer zahlt, wer spart?

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Herbst 2021, und wir befinden uns am Anfang von Phase 2 der Entwicklung in Sachen Homeoffice. Phase 1, das war 2020 der über Nacht angeordnete und oft ungeordnete Rückzug in die eigenen vier Wände, der in vielen Bürotürmen zum fast völligen Leerstand führte und Büromenschen in "Zoombies" verwandelte, stundenlang mit ihren Bildschirmen verschweißt.

Der Sommer zog ins Land und brachte vorübergehend eine dünne Besiedlung von Büros, Firmen (und Schulen) begannen die technischen und administrativen Provisorien der Arbeit zu Hause zu ordnen, soweit sie nicht schon vor dem Ausbruch der Pandemie dafür Grundregeln und Grundausstattungen für ihre Belegschaft hatten. Gerade rechtzeitig für Spätherbst und Winter, in dem Corona erneut Arbeit im Homeoffice verordnete.

Jetzt also Phase 2: Die Sozialpartner haben eine Vereinbarung für die neue Heimarbeit geschlossen, das Arbeitsministerium Eckpunkte gesetzlich definiert, das Steuerrecht bescheidene Freibeträge festgelegt. Die Rückkehr in die Büros hat begonnen, jedoch auch die Einsicht, dass Homeoffice in noch unbekanntem Ausmaß die bleibende Zukunft von Unternehmen ist. Und nachdem in Phase 1 überraschenderweise alles so gut geklappt hat, beginnen viele Vorstände, Homeoffice als Motor ihrer immerwährenden Kostenreduktionsprogramme zu erkennen.

"Gier lohnt sich", sieht der Experte für Facility und Immobilien-Management Peter Prischl, der unter anderem an der FH Kufstein, der Uni Regensburg und dem MIT lehrt, die Fortsetzung eines lange bestehenden Trends: In den letzten 25 Jahren stagnierten Masseneinkommen, Firmen sparten, wo sie konnten, "und es funktionierte Jahr für Jahr. Jetzt haben die Chefs gesehen, es funktioniert auch, wenn die Leute nicht da sind – die Firma läuft trotzdem prima."

Anhand seiner Erfahrungen mit dem Wiener Immobilienmarkt und Büroprojekten rechnet Prischl vor, dass ein "moderner Arbeitsplatz" Kosten von rund 10.000 Euro im Jahr verursacht: Miete oder Immobilienabschreibung, Betriebskosten, Strom, Heizung, Reinigung, anteilige allgemeine Flächen, IT-Infrastruktur, Garagenplätze. Teurer würde es bei repräsentativen Büros in Innenstadtlagen, deutlich billiger bei "durchrationalisierten" Bürogebäuden auf Werksgeländen.

Rechnen bringt’s

Die Kalkulation kann auch "schlanker" angestellt werden, ohne den durch die Gesamtzahl der Mitarbeiter verursachten anteiligen Platzbedarf an Gängen, Küchen, Konferenzräumen, Nasszellen und Garagen oder Stellplätzen für – zumindest das leitende – Personal. Der Manager einer Wiener Konzernzentrale, der nicht genannt werden will, rechnet pro Quadratmeter mit 18 bis 20 Euro Miet- und Betriebskosten, fünf Euro für Strom, Heizung und Reinigung, macht bei acht Quadratmetern rund 2400 Euro pro Arbeitsplatz.

Thomas Rebernig-Auersperg, für das Büro- und Facility-Management der Raiffeisenbank International (RBI) verantwortlich, hält jedoch diese knappe Kalkulation für "eine romantische Vorstellung" und beziffert die jährlichen Kosten pro Arbeitsplatz ähnlich wie Prischl mit "10.000 bis 12.000 Euro".

Egal ob man das Einsparungspotenzial am unteren Ende von 2400 Euro oder im oberen Bereich von 10.000 Euro pro Büroarbeitsplatz sieht – dem steht derzeit eine sehr magere Entschädigung für den privaten Büroaufwand auf der Arbeitnehmerseite gegenüber. Gerade mal drei Euro pro Arbeitstag daheim, für maximal 100 Tage im Jahr, sind derzeit steuer- und sozialversicherungsfrei, dazu können bis zu 300 Euro für "ergonomisches Mobiliar" abgesetzt werden.

So wird es schließlich zu Phase 3 von Homeoffice kommen, in der es um nicht weniger als die Neudefinition des Büros geht. Wo werden die Arbeitsplätze der Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft beheimatet sein, weiterhin in Bürosilos, als "Workspaces" bei Bürobetreiber, oder im privaten Arbeitszimmer oder am Küchentisch?

Naturgemäß kann diese neue Arbeitswelt derzeit erst in Probeaufführungen erforscht werden. Noch hängt die Möglichkeit neuer Infektionswellen wie ein Damoklesschwert über der Gesellschaft, und neuerliche Restriktionen wie in Israel, einem Spitzenreiter der Durchimpfung, zeigen, dass die Pandemie den Wunsch nach "Normalität" weiterhin durchkreuzt.

Wo wirst du arbeiten?

Der Schlüssel für Phase 3 wird die zeitliche Aufteilung von Arbeit im Büro und daheim sein. Nur wenige glauben an eine vollständige Virtualisierung der Bürowelt. Befragungen und individuelle Einschätzungen pendeln sich auf Mittelwerte zwischen 60 Prozent Büro und 40 Prozent Homeoffice oder vice versa ein. Mittelfristig werde der Arbeitsplatz im Büro bleiben, auch "weil das Unternehmen verpflichtet ist, einen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen", sagt Rebernig-Auersperg. "Langfristig muss sich erst die Unternehmenskultur für mehr Homeoffice entwickeln." Dennoch werden große Unternehmen in einigen Jahren auf zehntausenden Quadratmeter Bürofläche sitzen bleiben, schätzt der Facility-Manager.

In einem Callcenter, das mit Beginn des ersten Lockdowns im März 2020 seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach Hause schickte, setzt man trotz guten Funktionierens auf die Rückkehr ins Büro. Personal mit geringerem Einkommen und kürzerer Verbleibdauer müssten "enger geführt werden" als Mitarbeiter in anderen Bereichen, erklärt der Leiter des Callcenters, der gleichfalls lieber nicht genannt werden will.

Teilweise waren diese neuen Arbeitswelten schon vor Corona in Betriebsvereinbarungen definiert, wenn auch nicht gelebt: Bei Siemens Österreich sieht die Betriebsvereinbarung die Möglichkeit vor, mehrere Tage in der Woche daheim zu arbeiten – aus Sicherheitsgründen und des Datenschutzes wegen in einem zum Arbeiten geeigneten Raum und "nicht auf der Donauinsel oder im Kaffeehaus", erklärt Siemens-Kommunikationschefin Katharina Swoboda. Jetzt, mit Corona, würde diese Regelung auch tatsächlich wahrgenommen und stünden viele Büros leer. Dennoch glaubt Siemens an die bleibende Funktion von Büros, sagt Swoboda. Für ein gutes Teamgefüge sei dies wichtig, und es gebe auch den Stolz, für das Unternehmen zu arbeiten, eine letztlich mit den Gebäuden verbundene Identität.

Reduktion um die Hälfte

Fragt man bei den großen Unternehmen zu Kostenreduktionen an, erhält man keine oder nur zurückhaltende Antworten, etwa dass die Frage nach benötigten Flächen ohnehin ein ständiges Thema in der Planung sei. Tatsächlich ist die Entwicklung schwer einzuschätzen und hängt nicht nur von technischen Voraussetzungen, sondern auch von persönlichen Bedürfnissen ab, ist auch eine Frage der Generationen. Jedoch ist kaum anzunehmen, dass fünf und mehr Jahre vorausplanende Konzerne nicht bereits fleißig am Rechnen sind.

Bis zu 50 Prozent Reduktion werden bei sehr ambitionierten Firmen angepeilt, realistischer scheinen Werte bis zu 30 Prozent. Keine finanzielle Lappalie: Bei einer Unternehmensgröße von 500 Mitarbeitern ergibt dies Einsparungen von weit über einer Million Euro jährlich. Dem gegenüber sind einige hundert Euro Zulage pro Mitarbeiter fast vernachlässigbar, möglicherweise ein Nullsummenspiel, weil Essenszuschüsse für die Tage der Heimarbeit entfallen.

Dennoch seien die vorerst bis 2023 befristeten steuerlichen Regelungen mit einem Tagessatz von drei Euro ein wichtiger Fortschritt, sagt ÖGB-Arbeitsrechtler Martin Müller. "Das ist ein Fuß in der Tür, denn damit ist erstmals klargestellt, dass es einen nicht abdingbaren zivilrechtlichen Anspruch für Arbeit von Zuhause aus gibt", sagt Müller. "Und es heißt nicht, dass man nur drei Euro bekommt, wenn der Aufwand darüber hinausgeht." Höhere Entschädigungen seien eine Frage des "betrieblichen Gestaltungsspielraums", also eine Sache von Betriebsvereinbarungen und Kollektivverträgen. Und wenn die Kostenreduktionen zu höheren Unternehmensgewinnen führen, sei dies die Basis entsprechender Lohnverhandlungen, sagt Müller.

Für Christoph Badelt, (noch) Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts und früher Professor für Wirtschafts- und Sozialpolitik an der WU Wien, ist die Entgeltdiskussion nur das Symptom einer großen Verschiebung der Arbeitswelt, die durch Corona beschleunigt wird. "Die Zulagenwelt ist stark krisengetrieben. Aber irgendwann wird das Arbeiten zu Hause für bestimmte Berufe ein Normalzustand sein. Es findet eine Privatisierung von Dingen statt, die bisher ganz eindeutig den Unternehmen zugerechnet werden. "Wenn Unternehmen von ihren Mitarbeitern künftig die Möglichkeit zum Homeoffice erwarten, sollte dies durch ein entsprechend höheres Gehaltsniveau abgegolten werden", sagt Badelt.

Schwierige Abgrenzung

Seine Sorge gelte neuen gesellschaftlichen Problem aufgrund dieser Verschiebung: "Bei vielen Angestelltenjobs wird man davon ausgehen, dass sie sich den Arbeitsplatz selbst organisieren. Das Arbeitsrecht geht jedoch davon aus, dass der Arbeitsplatz im Unternehmen ist. Das berührt viele Aspekte, etwa ob es eine ausreichend große Wohnung gibt, wie Arbeitsmedizin und Sicherheit am Arbeitsplatz garantiert werden, bis zur Betreuung von Kindern." Die steuerliche Abgrenzung von privater und beruflicher Nutzung werde schwierig sein. Und es gibt nicht nur materielle Aufwendungen, sondern auch mögliche Ersparnisse, etwa reduzierte Wegkosten, die dem privaten Bereich zugerechnet werden.

Noch ein Problem sieht Badelt auf die Arbeitswelt zukommen, wenn bisher rein private Wohnverhältnisse jobrelevant werden: "Es wird Leute geben, die für eine bestimmte Stelle zwar Spitzenqualifikationen haben, deren private Umstände jedoch Homeoffice nicht zulassen. Damit ergeben sich völlig andere Lebensentscheidungen für den Karriereweg."

Vor allem Personalmanager sollten beim "Wettstreit um die Talente" diesem Aspekt ihre ungeteilte Aufmerksamkeit widmen: Zwar wird Millennials nachgesagt, dass sie Heimarbeit einen hohen Stellenwert geben – vielleicht entdecken sie jedoch beim ersten Kind, dass ein ruhiger Platz im Büro mindestens genauso wichtig ist. (Helmut Spudich, 28.8.2021)