Montag, 9. August 2021. Solar Orbiter, kurz Solo genannt, fliegt durch den Magnetschweif der Venus und nähert sich dem Planeten mit einer rasanten Geschwindigkeit von rund 43000 km/h. „Dieses Mal werde ich vor Bepi bei der Venus ankommen“, freut sich die Raumsonde. „Meine Instrumente werden die ersten Messergebnisse aus der Umgebung des Planeten liefern.“ Mit etwas mehr als einem Tag Rückstand rast auch BepiColombo, kurz Bepi genannt, mit 36000 km/h auf einer anderen Flugbahn der Venus entgegen. „Ich werde Solo zeigen, wie man bei der Venus die Kurve kratzt“, meldet die Raumsonde an die Mission Control. „Solo untersucht wieder die gleiche Gegend und fliegt geradeaus, ich hingegen werde tief in die Magnetosphäre eintauchen.“ … (Fortsetzung unten)

Trotz flüssigem Kern kein Magnetfeld

Venus, der zweite Planet im Sonnensystem, wird gerne als Schwester der Erde bezeichnet. Sie umkreist die Sonne in etwa 108 Millionen Kilometer Entfernung (oder 0,7 Astronomischen Einheiten) und ist ein höllisch heißer Ort mit einer Oberflächentemperatur von 450 Grad Celsius und einem Druck von 93 Bar. Weil die Atmosphäre hauptsächlich aus CO2 besteht, ist der Treibhauseffekt extrem aktiv.

Die Venus hat einen metallischen Kern, der von einem steinigen Mantel, einer Kruste und einer dicken Atmosphäre umgeben ist. Obwohl der Kern flüssig ist, hat die Venus kein internes Magnetfeld. Der Dynamo, wie bei der Erde, funktioniert nicht. Höchstwahrscheinlich liegt das daran, dass es keine Konvektion im Kern gibt. Der Temperaturunterschied zwischen Kern und Mantel/Oberfläche ist zu gering, um eine Zirkulation im flüssigen Kern entstehen zu lassen und damit den Dynamo anzutreiben. Nichtsdestotrotz fanden Raumsonden, die mit Magnetometern ausgestattet waren, bei der Venus Anzeichen für eine Magnetosphäre, ähnlich wie bei der Erde. Diese entsteht durch die Wechselwirkung des Sonnenwindes und des eingebetteten interplanetaren Magnetfelds (IMF) mit der Atmosphäre der Venus, ähnlich wie bei Kometen.

Innerer Aufbau der Venus.
Foto: Calvin J.Hamilton

Induzierte Magnetosphäre

Die Venus-Atmosphäre dehnt sich im interplanetaren Raum weit aus. Die neutralen Teilchen der Atmosphäre werden durch die UV-Strahlung der Sonne ionisiert. Die neu entstandenen Ionen und Elektronen werden vom Sonnenwind mitgerissen, der aus Plasma - einem Gas aus geladenen Teilchen - und einem eingebettetem Magnetfeld besteht. Dadurch wird er schwerer und langsamer. Der supersonische Sonnenwind wird auf subsonische Geschwindigkeit abgebremst, wodurch eine Bugstoßwelle entsteht. Nahe am Planeten drapiert sich das Magnetfeld um die Venus. Dadurch wird eine sogenannte induzierte Magnetosphäre erzeugt, inklusive Magnetschweif.

Anders als bei der Erdmagnetosphäre, hat die Venus kein internes Magnetfeld, das ihrer Magnetosphäre eine Hauptrichtung vorgibt. Die magnetische Umgebung der Venus ist völlig von der Richtung des IMF abhängig. Das macht die Wechselwirkung zwischen Planet und IMF hochdynamisch, was sich auch in Magnetfeldmessungen in der Nähe der Venus widerspiegelt.

Magnetosphäre der Venus.
Foto: MPS

Venus-Vorbeiflüge, Teil eins

Vergangenes Jahr sind zwei Raumsonden an der Venus vorbeigeflogen, um durch „gravitational assists“ ihre Umlaufbahnen zu ändern, ohne dafür Treibstoff zu „verschwenden“. BepiColombo (Bepi), eine europäisch-japanische Weltraummission unterwegs zum Merkur, und Solar Orbiter (Solo), eine ESA-Mission zur Untersuchung der Sonne und ihrer Umgebung, flogen am 15. Oktober und 27. Dezember 2020 an der Venus vorbei. Das bot den beiden Raumsonden die Gelegenheit, mit ihren Messgeräten die Plasma-Umgebung des Planeten zu erforschen. Bepi und Solo flogen in entgegengesetzter Richtung durch die induzierte Magnetosphäre.

Messergebnisse von Solar Orbiter beim ersten Venus-Vorbeiflug.
Foto: Johns Hopkins APL/Ben Smith

Magnetosphäre Erde versus Venus

Seit Mariner 10 im Jahr 1974 hat keine Raumsonde mehr so tief im Magnetschweif Messungen durchgeführt. Die Daten aus dem Vorbeiflug von Bepi und Solo ermöglichten völlig neue Einblicke in die Struktur und Dynamik der induzierten Magnetosphäre. Die wichtigsten Ergebnisse möchte ich in der Folge präsentieren.

Draping

Das IMF, das mit dem Sonnenwind mitgeführt wird, bleibt am Planeten hängen, drapiert sich also um ihn. Da das IMF (Bsw) üblicherweise schräg zur Sonnnenwindrichtung (Vsw) steht, ist diese Drapierung asymmetrisch. Damit muss sich die Magnetfeldrichtung auf einer Seite der Venus umkehren, was im roten Rahmen der Abbildung zu sehen ist. Bepi konnte dieses "draping" erfolgreich nachweisen.

Asymmetrische Drapierung des Magnetfeldes um die Venus.
Foto: Delva et al., JGR 2017

Over-Draping

Wenn das Magnetfeld an der Venus hängenbleibt, könnte man vermuten, dass der Raum auf der sonnenabgewandten Seite des Planeten feldfrei ist. Das Magnetfeld dringt aber in diesen Raum ein; es wickelt sich also um den Planeten, was man als "over-draping" bezeichnet und von Solo tatsächlich im Vorbeiflug gemessen wurde. Die Feldlinien, die sich um den Planeten drapiert haben, bewegen sich langsam in Richtung Nachtseite der Venus und werden dann durch den Schweif abtransportiert.

Vereinfachte Darstellung von "over-draping" im Magnetschweif der Venus.
Foto: Zhang et al., GRL 2010

Flapping

Bepi konnte zeigen, dass der Magnetschweif der Venus wie eine Fahne im Wind flattert. Im Abstand von elf bis 15 Venusradien hinter dem Planeten findet dieses „flapping“ mit einer Periode von sieben Minuten statt. Die Raumsonde Venus Express konnte dieses Flattern nur in unmittelbarer Nähe des Planeten (im Abstand von etwa 1,5 Venusradien) beobachten; dort war die Periode - mit nur drei Minuten - deutlich kürzer. Bei der Erde ist dieses Flattern auch bekannt, mit einer großen Bandbreite an Perioden. Ob das Flattern im Venusmagnetschweif ähnlich wie bei der Erde durch magnetische Rekonnexion erzeugt wird, soll von zukünftigen (Multi-Satelliten-)Missionen zur Venus geklärt werden.

Magnetic Reconnection

Viel weiter hinter der Venus, im Abstand von rund 20 Venusradien, konnte Solo "magnetic rekonnection" feststellen. Wie man schon in der oberen Abbildung sieht, gibt es im Magnetschweif Regionen mit entgegengesetzter Magnetfeldrichtung, die durch eine Stromschicht getrennt sind. Durch dynamische Änderungen des Sonnenwindes bricht diese Stromschicht immer wieder lokal zusammen. Dadurch können sich die entgegengesetzten Magnetfelder miteinander verbinden: es ergibt sich eine neue Magnetfeldgeometrie (siehe Abbildung unten). Diesen physikalischen Prozess nennt man magnetische Rekonnexion.

Schematische Darstellung der magnetischen Rekonnexion.
Foto: Zweibel et Yamada, Proc.R.Soc. 2016

Der Ort, an dem magnetische Rekonnexion stattfindet, wird als X-Punkt bezeichnet. Solo ist durch diesen Punkt geflogen und konnte beobachten, wie sich das Magnetfeld neu verbunden hat. Die Separatrix trennt die „inflow region“, wo die Teilchen eintreffen, von der „outflow region“, wo die Teilchen die Region beschleunigt wieder verlassen. Solo konnte beschleunigte Ionen sowohl in der Nähe des X-Punktes als auch in der Nähe dieser Separatrix messen. Darüber hinaus wurden in den beiden Outflow-Regionen unterschiedliche Elektronendichten gemessen, was auf eine asymmetrische Rekonnexion hindeuten könnte.

Dopplerverschiebung

Wie anfangs erwähnt, wird der Sonnenwind an der Bugstoßwelle von einer supersonischen auf eine subsonische Geschwindigkeit abgebremst. Durch die Drapierung des Magnetfeldes rund um den Planeten, werden die Feldlinien wie ein Gummiband gedehnt, wodurch eine Spannung im Magnetfeld entsteht. Auf der Nachtseite des Planeten wird diese Spannung wieder abgebaut, wodurch das Magnetfeld und das Plasma der Theorie nach wieder auf Sonnenwindgeschwindigkeit beschleunigt werden.

Das Instrument zur Messung der Plasma-Geschwindigkeit war während des Vorbeiflugs von Solo nicht eingeschaltet. Somit konnte dieser Prozess zwar nicht direkt aber – mithilfe der Magnetfeldmessungen von Plasmawellen –  indirekt nachgewiesen werden. Hierfür besonders geeignete Plasmawellen sind sogenannte Ionenzyklotronwellen, die erzeugt werden, wenn ein neutrales Teilchen ionisiert wird. Sie haben eine bestimmte Frequenz, die von der Magnetfeldstärke und der Ladung und Masse des Ions abhängt. Diese im Plasma eingebetteten Wellen werden mit der Geschwindigkeit des Plasmas transportiert. Dadurch entsteht beim Beobachter, in diesem Fall Solo, der Eindruck, dass sich die Frequenz der Wellen erhöht hat. Diesen Effekt der Frequenzänderung nennt man Dopplerverschiebung.

John Thomas Miller

Anhand der Dopplerverschiebung kann man Rückschlüsse darauf ziehen, wie schnell sich das Plasma bewegt. Als Solo etwa 55 Venusradien (oder 330.000 km) hinter der Venus vorbeiflog, konnten wird aus den Daten berechnen, dass das Plasma nur auf rund 180 km/s beschleunigt wird, also nur auf halbe Sonnenwindgeschwindigkeit.

Venus-Vorbeiflüge, Teil zwei

Am 9. und 10. August 2021 flogen Solo und Bepi im Abstand von nur 33 Stunden erneut an der Venus vorbei. Beide Raumsonden haben aus verschiedenen Positionen Daten über das Plasma in der Umgebung der Venus und das induzierte Magnetfeld unseres Nachbarplaneten gesammelt. Das Grazer Institut für Weltraumforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist - teilweise führend - an insgesamt fünf Messgeräten und deren Datenauswertung beteiligt. Das Ionenspektrometer PICAM an Bord von Bepi war für insgesamt 36 Stunden eingeschaltet, um zwei Hauptziele zu verfolgen: PICAM beobachtete den Sonnenwind und untersuchte die Plasma-Umgebung der Venus, um die Eigenschaften der Ionen sowohl auf der Tag- als auch auf der Nachtseite des Planeten zu messen. Die Magnetometer auf Bepi und Solo waren dauerhaft in Betrieb und lieferten eine Fülle an neuen, interessanten Daten aus dem Magnetschweif der Venus, die ich in den nächsten Monaten auswerten werde.

Flugbahn von BepiColombo am 15. Oktober 2020 (Bepi I, rot) und 10. August 2021 (Bepi II, blau).
Foto: Mangano et al., Space Sci Rev 2021

Fortsetzung:
10. August 2021, Solo fliegt schon wieder im Sonnenwind und sendet Daten zur Erde. „Mission accomplished“, meldet die Raumsonde, „ich fliege weiter zur Sonne, meine Bahnkorrektur ist gelungen und wir haben wieder schöne Messergebnisse aus dem Magnetschweif bekommen.“

Bepi hat keine Zeit für das Mittagessen, die Raumsonde durchquert die Bugstoßwelle und rast auf den Planeten zu. „All instruments are go“, meldet Bepi an die Mission Control und spürt, wie die Raumsonde durch die Gravitation der Venus angezogen wird. Im Abstand von nur 550 Kilometer fliegt Bepi über die Wolkendecke der Venus. Im Eiltempo wird ein bislang nur wenig erforschtes Gebiet vermessen: die planetennahe Tagseite der Magnetosphäre. Nach zwei Stunden ist es schon wieder vorbei. Die Bugstoßwelle wurde durchquert und Bepi fliegt wieder im interplanetaren Raum.

Solo hat inzwischen kontinuierlich den Sonnenwind gemessen. „Herzlichen Dank, Solo“, sagt Bepi, „mit deinen Sonnenwind-Daten können wir meine Messungen besser auswerten.“ „Gern geschehen“, antwortet Solo, „aber deine Messungen von gestern werde ich wohl brauchen, um meine Daten zu deuten.“ Danach gingen sie getrennte Wege und konnten einander nicht mehr hören. (Martin Volwerk, 14.9.2021)

European Space Agency, ESA

Martin Volwerk studierte Astrophysik an der Universität Utrecht und ist nach Aufenthalten am CNRS in Vélizy, an der University of Arizona und an der University of California in Los Angeles seit 2001 am Grazer Institut für Weltraumforschung (IWF) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) als Wissenschaftler tätig. Sein Forschungsschwerpunkt liegt in der Weltraumplasmaphysik, insbesondere in der Umgebung von Merkur, Venus, Jupiter und Kometen.

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