Während zahlreiche Staaten bereits angekündigt haben, angesichts der Machtübernahme der Taliban gefährdete Afghaninnen und Afghanen aufzunehmen, lehnt Österreichs Bundesregierung dies trotz scharfer Kritik strikt ab. Vielmehr will sie in und rund um Afghanistan Hilfe vor Ort leisten, um eine Fluchtbewegung wie im Jahr 2015 zu verhindern.

Doch ist das nur eine hohle Phrase, oder will das offizielle Österreich tatsächlich 6000 Kilometer entfernt tatkräftig mithelfen, um die Not der Leidenden zu lindern? Und wie war das im letzten Jahr bei den Flüchtlingen auf Lesbos: War Österreichs Unterstützung vor Ort auch tatsächlich eine Hilfe?

Wie viel Hilfe

Wie will die österreichische Regierung vor Ort helfen?

Außenminister Schallenberg hat Hilfe für Afghanistan angekündigt.
Foto: Heribert Corn www.corn.at

Hilfe vor Ort ist das Mantra dieser Tage. Beinahe täglich erinnern Bundeskanzler Sebastian Kurz, Außenminister Alexander Schallenberg oder Innenminister Karl Nehammer (alle ÖVP) daran, dass man auf keinen Fall gewillt sei, afghanische Flüchtlinge aufzunehmen. Stattdessen möchte man Hilfe vor Ort leisten – auch, um Fluchtbewegungen nach Europa zu verhindern.

Am 17. August kündigte Schallenberg an, drei Millionen Euro für Afghanistan und seine Nachbarländer zur Verfügung zu stellen. Dieses Geld geht an das UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) in der Region, um Flüchtlinge zu versorgen.

Am 25. August erklärte der Außenminister in der ZiB 2, dass weitere 15 Millionen Euro an Soforthilfe an die UN-Hilfsorganisationen fließen werden. Darüber hinaus wollen Schallenberg und Nehammer voraussichtlich Ende August oder Anfang September mit Afghanistans Nachbarstaaten besprechen, wie Österreich diese bei möglichen Fluchtbewegungen aus Afghanistan unterstützen kann.

"Tropfen auf den heißen Stein"

Diese Schritte werden von Experten unterschiedlich bewertet. Für Michael Obrovsky, stellvertretender Leiter der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE), sind diese 18 Millionen nur ein "Tropfen auf den heißen Stein". Er befürchtet zudem, dass heuer keine weiteren Finanzmittel für Afghanistan zur Verfügung stehen könnten, da es weltweit noch so viele andere Krisen wie in Haiti oder Syrien gebe, bei denen Hilfe dringend benötigt wird.

Andreas Knapp, Generalsekretär für Internationale Programme bei der Caritas Österreich, wertet die aktuellen Zusicherungen als "positives und wichtiges Signal". Klar sei für ihn aber, dass es sich um eine lang anhaltende Krise handle, für deren Bewältigung man einen "langen Atem" brauche. "Da werden diese Ankündigungen nicht ausreichen."

Welche Hilfe

Wer entscheidet über die Art und Weise der Hilfe?

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Ein afghanischer Polizist in der Reha in einer Rot-Kreuz-Einrichtung in Kabul.
Foto: AP / Mariam Zuhaib

Zuständig für humanitäre Hilfe ist die Sektion VII (Entwicklung) des Außenministeriums. Dabei orientiert man sich laut Außenamt primär am humanitären Bedarf. Beschlossen wird die Freigabe der Gelder im Ministerrat. Für die operative Umsetzung der Hilfe zuständig ist schließlich die im Eigentum der Republik Österreich befindliche Austrian Development Agency (ADA).

Hierbei gibt es zwei Möglichkeiten: Wie im Fall von Afghanistan können die Gelder an qualifizierte internationale Hilfsorganisationen gehen, als Reaktion auf Hilfeersuchen, sogenannte "appeals". Demnach rechnet UNHCR für das Jahr 2021 mit einem Bedarf von umgerechnet 314 Millionen Euro, um die Flüchtlinge in und rund um Afghanistan zu versorgen. Gedeckt sind mit Stand 22. August nur rund 44 Prozent. Zudem kann sich der Bedarf je nach Entwicklung noch erhöhen.

Bewerben für Hilfsaufträge

Die andere Möglichkeit ist, österreichische Organisationen zu beauftragen. Dies erfolgt mit "Calls for Proposals", einer Art Ausschreibung für bestimmte Hilfsbedürfnisse. Organisationen können sich bewerben, um diese Aufträge zu erhalten – allerdings nur jene zehn, die bei der ADA akkreditiert sind, die also bestimmte QualitätsStandards wie Datenschutz oder die Förderung von Frauen erfüllen.

Auf Gelder hofft man unter anderem beim Roten Kreuz. Dieses ist derzeit mit 1800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Afghanistan aktiv, sagt Martina Schloffer, stellvertretende Bereichsleiterin für Einsatz und Internationales Zusammenarbeit beim Österreichischen Roten Kreuz. Finanziert wird das durch Spenden, durch den privaten Sektor und vor allem durch Regierungen. "Wir hoffen sehr, dass wir für unsere Arbeit in Afghanistan in Zukunft auch Gelder von Österreich bekommen", sagt Schloffer. Man stehe dazu in permanentem Kontakt mit dem Außenministerium.

Hilfe in Moria

Wie weit ging Österreichs Unterstützung auf Lesbos?

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Österreichs Hilfe auf Lesbos ist nur teilweise von Nutzen.
Foto: AP / Panagiotis Balaskas

Bei Österreichs Hilfe vor Ort muss man vor allem an die Flüchtlinge auf der griechischen Insel Lesbos denken. Auch hier lehnte die Bundesregierung eine Aufnahme dieser Menschen ab, auch hier verwies man auf Hilfe vor Ort. Im vergangenen Jahr wurde dort ein neues SOS-Kinderdorf finanziert, um 500 Kinder zu betreuen. In der ZiB 2 darauf angesprochen, meinte Schallenberg, es würden 200 bis 250 Kinder betreut. Auf STANDARD-Anfrage erklärte SOS Kinderdorf allerdings, dass rund 120 Kinder betreut werden. Das Problem sei, dass man kein kindgerechtes Umfeld finde. Vom Außenministerium hieß es am Freitagabend dann: Insgesamt seien bereits etwa 350 Kinder mit diesem Angebot erreicht worden, Ziel sei es, innerhalb von drei Jahren 500 Kinder zu betreuen.

Außerdem wurden unter anderem 400 Zelte und 200 Heizstrahler geliefert. Laut ORF-Recherchen stehen von diesen Zelten nur 25, die Heizstrahler könne man nicht verwenden, weil es keinen Strom gibt. Schallenberg gab dem UNHCR die Schuld, diesem habe man die Güter gegeben. Dort erklärt man, dass dies ein bilateraler Deal zwischen Österreich und Griechenland gewesen sei und man daher nicht wisse, was mit den Waren passiert sei. Schallenberg ruderte per Twitter zurück. Wo genau die Güter in Verwendung sind, können weder Innen- noch Außenministerium angeben, das sei eine Entscheidung Griechenlands.

Weit entfernt von 0,7 Prozent

Abgesehen davon leistet Österreich humanitäre Hilfe meist nicht selbst, sondern über Hilfsorganisationen. Daher kann man es hauptsächlich an den Geldsummen bewerten, die es zur Verfügung stellt. International gilt der Richtwert, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) für Entwicklungshilfe und humanitäre Hilfe zur Verfügung zu stellen. Davon ist Österreich schon länger weit entfernt: Im Vorjahr lag man bei 0,29 Prozent – zumindest eine leichte Erhöhung zu 2019.

Zugute halten muss man der Regierung, dass der Auslandskatastrophenfonds (AKF), der humanitäre Hilfe finanziert, 2020 von 25 auf 50 Millionen Euro verdoppelt wurde. Heuer stieg er auf 52,5 Millionen Euro, bis zum Ende der Legislaturperiode von Türkis-Grün 2024 soll er 60 Millionen Euro jährlich betragen.

Gute oder schlechte Hilfe

Wie kann man humanitäre Hilfe überhaupt bewerten?

Solidaritätsdemo für Afghaninnen und Afghanen in Krakau.
Foto: Imago / NurPhoto / Beata Zawrzel

Bei den beauftragten Organisationen werden laut Außenamt regelmäßige Qualitätskontrollen durchgeführt. Die ADA legt mit jeder Organisation Ziele fest, unter anderem, wie viele Personen im Rahmen des Hilfsprojekts unterstützt werden sollen. Ob diese erreicht wurden, wird mit Austauschgesprächen, Monitoring und Berichten geprüft.

Ralf Südhoff, lange beim UN-Welternährungsprogamm (WFP) tätig, sagt, dass das Reporting sehr umfassend und weitgehend transparent sei. Es könne aber trotzdem nicht "das Dilemma ändern, dass Nothilfe vor allem in Konfliktgebieten nur sehr schwierig und zum Teil ineffizient geleistet werden kann."

Jährlicher Geldmangel

Das Grundproblem bei humanitärer Hilfe ist und bleibt aber Geldmangel. sagt Südhoff, nun Leiter des Thinktanks Centre for Humanitarian Action (CHA) in Berlin. "Viele zivile Hilfsorganisationen, aber auch UN-Organisationen wie UNHCR haben nie ein festes Budget für bestimmte Krisen. Die müssen das jährlich bei den Staaten einwerben", sagt Südhoff.

Um in Österreich in Zukunft besser aufgestellt zu sein, wird an einer – auch im Regierungsprogramm festgelegten – Gesamtstrategie für die humanitäre Hilfe gearbeitet. Davon erhofft sich Andreas Knapp von der Caritas "mehr Transparenz und Planungssicherheit" für zukünftige Hilfen – vor allem in Dauerkrisen, wie sie in Afghanistan wohl eine wird.

Derzeit sagt er zur humanitären Hilfe Österreichs: "Wir sind noch nicht da, wo wir international hingehören." Martina Schloffer vom Roten Kreuz formuliert es so: "Es ist noch Luft nach oben, denn auch der Bedarf an humanitärer Hilfe steigt enorm." Und Ralf Südhoff, der für das WFP in Sachen Syrien-Hilfe einst mit der Bundesregierung verhandelt hat, sagt: "Österreichs Hilfe war extrem überschaubar, obwohl es selbst sehr betroffen war von den Fluchtbewegungen aus Syrien." (Kim Son Hoang, Gabriele Scherndl, 28.8.2021)