Im Kindergarten wird gebastelt, gemalt, gespielt und dabei auch sehr viel gelernt.

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Der Wirtschaftsnobelpreisträger James Heckman untersuchte den Einfluss vorschulischer Bildung auf den späteren Lebensweg. Die Heckman-Kurve zeigt, dass Bildungsinvestitionen im frühkindlichen Bereich eine ungleich höhere positive Wirkung haben als im späteren Kinder- und Jugendalter. Heckman erkannte die ungleich verteilten Chancen in der Geburtenlotterie, die vor allem durch den Bildungs- und Einkommensstatus der Eltern festgelegt werden und sich mit dem Alter der Kinder tendenziell verstärken. Durch Investitionen in der Elementarstufe können unterschiedliche Startbedingungen ausgeglichen oder zumindest verringert werden.

Warum leidet jedoch gerade der Elementarpädagogikbereich in Österreich an Unterfinanzierung, regionalen Qualitätsunterschieden und unattraktiven Rahmenbedingungen für Pädagogen? Welche Ansätze würden den Kindergarten als erste wichtige Bildungseinrichtung nach oben hieven? Aus unseren Erhebungen für den Mega-Bildungsklima-Index ergeben sich fünf Handlungsfelder:

1. Sprache

Eine Elementarpädagogin in Wien verriet mir unlängst ihren Icebreaker in der Arbeit mit Kindern. Sie lernte ein paar Worte Türkisch. Das ist bei 50 Kindern mit nichtdeutscher Muttersprache (von gesamt 50 Kindern) an ihrem Standort tatsächlich ein Eisbrecher. In Wien haben zwei Drittel der Kinder eine andere Erstsprache als Deutsch. Die Muttersprache als Sprungbrett für Deutsch ist wichtig. Und eine gemeinsame Sprache die zentrale Basis für Lernen und ein gelingendes Miteinander.

2. Männer

Knapp zwei Prozent: Das ist der Männeranteil im elementarpädagogischen Bereich. Die Forschung zeigt, dass Mädchen und Buben davon profitieren, wenn auch Männer als Interaktionspartner zur Verfügung stehen, die den Kindern ermöglichen, Unterschiede zu erfahren und an ihnen zu lernen. Dänemark hat seinen Männeranteil bereits auf 14 Prozent gehoben. In Norwegen erhalten Kindergärten, die durch aktives Engagement mehr als 20 Prozent erreichen, zum Beispiel durch Kooperation mit regionalen Ausbildungseinrichtungen und Vereinen, eine staatliche Förderung.

3. Qualität

Jeder ist zuständig, niemand fühlt sich verantwortlich. Der Bildungsbereich für Null- bis Sechsjährige befindet sich im Föderalismusgeflecht zwischen Bund, Land und Gemeinden. Ohne bundesweiten Qualitätsrahmen, der sicherstellt, dass jedes Kind, egal ob in Vorarlberg oder Wien-Favoriten, ein qualitativ hochwertiges Bildungsangebot bekommt. Zwischen den Verantwortlichen in den Ländern und Regionen gibt es wenig Kooperationsaustausch, und eine standortübergreifende Qualitätsentwicklungssteuerung steckt noch in den Kinderschuhen. Ein weiterer Qualitätsfaktor ist der sogenannte Fachkraft-Kind-Schlüssel. In Österreich 1:25. Das heißt, auf 25 Kinder kommt eine elementarpädagogische Fachkraft. Individuelle Talentförderung wird so systembedingt fast verunmöglicht. In Finnland hat eine Pädagogin sieben Kinder in der Gruppe. Mehr als dreimal so viele Chancen, individuell auf das Kind und seine unterschiedlichen Bedürfnisse einzugehen.

4. Multiprofessionalität

It takes a village to raise a child. Übersetzt auf den Kindergarten heißt das, dass Logopäden, Ergotherapeuten, Musikpädagogen oder etwa Sozialarbeiter mit Kindergartenpädagoginnen in multiprofessionellen Teams arbeiten. Auch das in den Niederlanden erfolgreiche Konzept der Community-Schools bezieht die lokale Kindergartennachbarschaft ein. Ärzte, Betriebe, Sportvereine, weiterführende Schulen nebenan sind aktiver Teil des Kindergartens. Eine Öffnungs- und Kooperationsoffensive würde auch die Eltern verstärkt aktivieren. Gerade in der Pandemiezeit gab es in vielen Kindergärten kaum Elternsprechtage, Kontaktpunkte oder gemeinsame Feste. Hier besteht großer Aufholbedarf, auch aus Sicht der Eltern. Über 30 Prozent der Eltern beurteilten in einer aktuellen Umfrage die Kommunikation mit Kindergartenpädagogen als nur befriedigend bis nicht genügend.

5. Geld

Erfreulich ist, dass die Budgets im Elementarbereich in den letzten zehn Jahren durch den Finanzausgleich um 50 Prozent gestiegen sind. Im internationalen Vergleich nehmen skandinavische Länder mit zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts jedoch das dreifache Budget von Österreich (0,6 des BIP) für den Kindergarten in die Hand. Die Rahmenbedingungen sind mit großen Gruppen und nur vier Stunden Vorbereitungszeit bei 36 Stunden direkter Arbeit mit Kindern im Vergleich zur Schule unattraktiv und erschweren es, den Job gut zu machen. Nur 25 Prozent der ausgebildeten Pädagoginnen bleiben aktuell im Kindergarten. Eine Angleichung des Gehalts an Volksschullehrer wäre ein erster wichtiger Schritt. Für die weitere Professionalisierung des Berufs braucht es auch eine umfangreiche Tertiärisierung in der Ausbildung. Doch hier stehen vor allem die Länder und Gemeinden auf der Bremse. Denn eine höhere Ausbildung würde auch höhere Kosten bedeuten. (Andreas Lechner, 1.9.2021)