Andrea Ramovic ist seit Februar im Haus Schönbrunn als Pflegeassistentin beschäftigt. Als Gehörlose ist sie auf andere Kommunikationsmittel angewiesen.

Foto: Christian Fischer

Gleich ums Eck vom Schloss Schönbrunn, umgeben von einer gepflegten Parkanlage inklusive des Princess Diana Memorial Vienna befindet sich das älteste Pflegewohnheim Wiens. Das Haus Schönbrunn der Wiener Caritas gibt es bereits seit 1907. Damals als Frauenwohnheim gegründet, werden heute 94 Personen dort betreut und unterstützt. Wer hier einzieht, hat Pflegestufe vier. Unter den Bewohnern sind viele an Demenz Erkrankte oder Personen, die nach einem Schlaganfall auf Unterstützung angewiesen sind. Sie verbringen hier ihren letzten Lebensabschnitt.

Eine davon ist die 95-jährige Marie Schmidt, die mit Andrea Ramovic gern im Garten unterwegs ist. Seit Februar arbeitet Ramovic als Pflegeassistentin im Haus Schönbrunn. Sie ist die erste und derzeit einzige gehörlose Pflegerin in der Einrichtung. "Ich habe meinen Traumberuf gefunden", sagt sie aus voller Überzeugung und mithilfe einer Gebärdendolmetscherin. "Ich bin total motiviert, und ich freue mich jedes Mal, wenn ich herkommen kann." Auf dem Weg dorthin musste sie aber auch viele Selbstzweifel überwinden.

Als Mutter von vier Kindern im Alter zwischen zwölf und 24 Jahren war Ramovic lange zu Hause und hat danach als Buchhalterin gearbeitet. Als ihr zweiter Sohn im Sozialbereich mit gehörlosen Personen zu arbeiten begonnen hat, war das auch für sie eine Motivation, sich beruflich neu zu orientieren. Beim Schulungsinstitut für Gehörlose, Equalizent, konnte sie die Ausbildung zur Pflegeassistenz machen. Unterstützt durch das Sozialministerium und das Arbeitsmarktservice (AMS) Wien, bietet Equalizent seit 2018 die Ausbildung "Pflegeassistenz und Diplomsozialbetreuung Familienarbeit" an. Für Equalizent ein Etappenerfolg, denn während hörenden Menschen die ganze Bandbreite der Berufe zur Auswahl steht, sind Gehörlose in ihrer Berufswahl noch immer stark eingeschränkt.

Berufsorientierung

Und eigentlich wollte auch Andrea Ramovic die Ausbildung inklusive des Schwerpunkts Familienarbeit machen. Nach zwei Jahren kann man das Diplom zur Pflegeassistenz erlangen, danach folgt die Ausbildung für die Familienarbeit. Die 44-Jährige machte daher auch ein Praktikum mit Kindern, die eine Lernbehinderung hatten. "Aber die Kinder haben mir immer so leidgetan, das war einfach nichts für mich. Ich hatte zu viel Mitleid." Ihr war klar, dass ihr die Arbeit mit älteren Personen mehr liegt. Daher beendete sie die Ausbildung bereits nach dem Diplom für Pflegeassistenz.

Das Haus Schönbrunn lernte sie ebenfalls während eines Praktikums kennen. Als dort dann eine Pflegeassistenzstelle frei wurde, bewarb sie sich nach kurzem Zögern. "Wir haben sie mit Freude aufgenommen", sagt Emine Abdulmedzhytova, Leiterin des Wohnbereichs im Haus Schönbrunn. "Wir kannten Andrea ja vom Praktikum, und schon damals hat die Zusammenarbeit mit ihr gut funktioniert." Und auch die Bewohnerinnen und Bewohner schätzten sie sehr.

Gesichter lesen

Andrea Ramovic ist glücklich
in ihrem neuen Beruf.
Foto: Christian Fischer

Schon während der Einschulungsphase habe Ramovic bei den Pflegebehandlungen immer stark auf die Mimik des Bewohners geschaut. So konnte sie schneller erkennen, wann eine Behandlung für den Patienten unangenehm oder schmerzhaft war. "Demenzkranke Personen können sich oft nicht mehr so gut artikulieren, vieles passiert über den Gesichtsausdruck", sagt Ramovic. Und als gehörlose Person sei man es gewöhnt, viel stärker auf die Mimik des Gegenübers zu achten, das helfe ihr jetzt bei der Arbeit.

"Bei Personen mit Schlaganfall, die halbseitig gelähmt sind, da merke ich oft durch ganz kleine Kopfbewegungen, das irgendetwas nicht stimmt", ergänzt sie. Es sei wie bei Babys. Bis Kleinkinder die Sprache entwickeln, werden die Bedürfnisse auch nur durch Mimik erkannt. So sei sie auch auf eine Zahnfleischentzündung einer Bewohnerin aufmerksam geworden. "Sie hat immer ihren Finger in den Mund genommen, da wusste ich, irgendetwas verursacht dort Schmerzen."

Natürlich war die Arbeit mit einer gehörlosen Kollegin für alle eine Umstellung. Und gerade am Anfang habe sich im Team sehr viel verändert. "Wenn wir sie brauchen, können wir ihr nicht nachschreien", sagt Margit Höbart, diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin und mit Ramovic auf derselben Station im Haus Schönbrunn beschäftigt. "Aber wir haben es uns schwieriger vorgestellt, als es tatsächlich ist", ergänzt sie.

Aufeinander achten

Bei der Kommunikation sei man aufmerksamer geworden, es werde jetzt viel mehr mit den Händen gesprochen. Aber das Lippenlesen funktioniere sehr gut, und sie könne auch ganz gut von den Augen lesen, ergänzt die Wohnbereichsleiterin. Wenn nötig, darf beim Sprechen auch die Maske abgenommen werden.

Einzelne Sätze kann Ramovic aussprechen. Sie könne aber weder Telefon noch Glocke hören, das müsse man im Arbeitsalltag bedenken. Das sei auch der Grund, weshalb sie derzeit noch keine Nachtdienste machen kann. Denn die Bewohner machen mit einem Glockenläuten auf sich aufmerksam. Hier müssen die Hilfsmittel noch angepasst werden. Im Zuge der anstehenden Um- und Ausbauarbeiten sei das aber bereits in Planung – genauso wie ein Gebärdensprachkurs für das Team.

Und auch die Bewohner haben sich daran gewöhnt, dass sie sich anders bemerkbar machen müssen – sei es durch Winken oder Schulterklopfen. "Ich sage immer, dass ich gehörlos bin und dass sie mir zeigen müssen, was sie wollen." Bisher hätte es noch keine Schwierigkeiten gegeben. Und nichts zu hören habe auch Vorteile: "Wenn ein Bewohner sehr laut herumschreit – was bei Demenz-Erkrankten vorkommen kann –, dann übernehme ich das. Ich kann ihn ja nicht hören", sagt Ramovic. (Gudrun Ostermann, 31.8.2021)