"Frühstücksdirektor ist das falsche Wort. Ich trete vehement für dieses Amt ein", erklärt Rabl-Stadler beim Interview in Salzburg.

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Die heurigen Salzburger Festspiele sind gelaufen, der letzte Akt steht aber noch aus: Nach 26 Jahren endet unter großem medialen Rummel die Regentschaft von Präsidentin Helga Rabl-Stadler. Bevor es Ende des Jahres so weit ist, muss vom ÖVP-dominierten Kuratorium die Nachfolge für das durchaus herausfordernde Amt bestimmt werden.

Konflikte scheinen bei der breiten Führungsstruktur der Festspiele programmiert. Nicht immer herrschte in der Vergangenheit so viel Eintracht wie derzeit zwischen Intendant Markus Hinterhäuser, dem kaufmännischen Direktor Lukas Crepaz und der Präsidentin. Legendär die Auslassungen verschiedener Intendanten über die "Dirndlverkäuferin aus der Getreidegasse", wie Helga Rabl-Stadler bereits voller Boshaftigkeit genannt wurde.

Aber ist das Amt eines Präsidenten oder einer Präsidentin wirklich sinnvoll? Die Wiener Festwochen haben es erst vor ein paar Jahren abgeschafft. Die Videoversion dieses Gesprächs sehen Sie auf unserer Onlineseite in der Reihe "StandArt".

STANDARD: Gerard Mortier hat Ihnen seinerzeit über die Zeitung ausrichten lassen, dass er das Amt des Präsidenten bzw. der Präsidentin für verzichtbar hält. Das war frech, aber traf er nicht auch einen Punkt?

Rabl-Stadler: Es muss im Direktorium jemanden geben, der die Festspiele nach außen vertritt und sie im Inneren führt. Intendanten verlassen die Festspiele oft wieder nach wenigen Jahren. Sie sind aber ein mittelständischer Betrieb mit 220 Mitarbeitern und brauchen Kontinuität. Das sehe ich als meine Aufgabe.

STANDARD: Bei anderen Festivals wechseln die Intendanten auch, einen Präsidenten haben sie dennoch nicht. Mit drei Personen an der Spitze sind Meinungsverschiedenheiten oder Streitigkeiten vorhersehbar.

Rabl-Stadler: Das könnte so sein. Meine Erfahrung ist aber, dass die Entscheidungsfindung zwar länger dauert, aber die Entscheidung dann besser hält. Denn sowohl der Künstler als auch der Kaufmann und die Präsidentin stehen dahinter.

STANDARD: Von Mortier über Flimm oder Pereira: Sie haben viele Sträuße mit Intendanten ausgefochten. Hat Sie das im Amt wachsen lassen?

Rabl-Stadler: Auf dieses Wachstum hätte ich gerne verzichtet. Ich funktioniere in Harmonie besser als in Konfliktsituationen. Mortier oder auch Flimm sind Menschen, die den Konflikt brauchen. Alle Intendanten haben versichert, dass ich sie in ihrem künstlerischen Wollen ausnahmslos unterstützt habe. Und darum geht es. Reibereien kommen aus dem Tagesgeschäft oder wegen finanzieller Probleme. Jeder Intendant hat mehr Ideen, als es Geld gibt. Wenn Projekte gestrichen werden, gibt es natürlich Reibereien.

STANDARD: Eine der Aufgaben der Präsidentschaft ist es, Spenden zu lukrieren. Das könnte auch der kaufmännische Direktor, in Konzernen sind da ganze Abteilungen dafür zuständig.

Rabl-Stadler: Die Met hat eine Abteilung von 50 Menschen, ich selbst habe eine einzige Mitarbeiterin. Menschen, die viel Geld geben, die wollen den Intendanten oder die Präsidentin als Ansprechpartnerin. Da der Intendant reichlich mit der Kunst ausgelastet ist und der kaufmännische Direktor mit dem Tagesgeschäft, braucht es dafür die Präsidentin. Das Dreiergremium der Salzburger Festspiele ist sparsamer als große Abteilungen, wie sie andere haben. Wir haben keine großen Marketing- und Sponsoringabteilungen. Die Direktoren sind für das alles mitverantwortlich. Kurzum: Ich trete vehement für dieses Amt ein. Ich sehe in der breiten Aufstellung der Spitze nur Vorteile.

STANDARD: Vor Ihrer Zeit war die Präsidentschaft das Amt eines Frühstücksdirektors. Erst Sie haben ihm Gewicht gegeben.

Rabl-Stadler: Frühstücksdirektor ist das falsche Wort. Die Menschen erinnern sich an die Zeit von Karajan, aber nicht an den Präsidenten Albert Moser. Dieser hat Karajan den Rücken freigehalten und für Frieden gesorgt. Dann kam das Trio Wiesmüller, Mortier, Landesmann. Mortier hätte in dieser Konstellation am liebsten alles selbst gemacht. Als ich Heinrich Wiesmüller beerbte, war das für Mortier eine große Umstellung, da kam eine selbstbewusste Frau, das war man nicht gewohnt. Er fand, Landesmann und ich sollten eine Stufe unter ihm sein.

STANDARD: Streitigkeiten wird es bei so vielen Entscheidungsträgern immer geben. Noch einmal: Das spricht doch gegen das Präsidentenamt.

Rabl-Stadler: Wenn man den Präsidenten abschaffte, müsste man das Festspielgesetz aus dem Jahre 1950 ändern, in dem festgeschrieben ist, welche Körperschaften den Abgang der Festspiele zu tragen haben. Da gäbe es sicher Parlamentarier, die finden, man müsse nicht unbedingt das Defizit der Festspiele auffangen. Eine gefährliche Sache. Werden dann nur noch Dinge gespielt, die Geld bringen, und nicht auch jene, die Geld kosten, aber künstlerisch wichtig sind?

STANDARD: Befindet sich der Präsident nicht immer im Zugriff der Politik? Er oder sie wird vom ÖVP-dominierten Kuratorium besetzt.

Rabl-Stadler: Ich habe keine Angst vor den Politikern. Ich wurde unter Kanzler Vranitzky und dem wunderbaren Kunstminister Rudolf Scholten Präsidentin, beide SPÖ. Als ÖVP-Abgeordnete war ich punziert. Vor meiner Wahl habe ich zu Vranitzky gesagt: Sie können sich darauf verlassen, dass ich alle politischen Ämter "wegschmeiße". Ich habe damals dieses dramatische Wort benutzt. Ich wollte alle zu einer Festspielpartei zusammenschmieden. Das ist mir gelungen.

STANDARD: Wäre es wirklich möglich gewesen, gegen die Interessen der ÖVP zu agieren?

Rabl-Stadler: Es wäre sehr dumm gewesen, mich nicht mit den Politikern zu besprechen. Ob Bürgermeister oder Bundeskanzler: Sie müssen in ihren Budgets die Festspielsubventionen verantworten. Genauso wie das Lukrieren neuer Sponsorengelder empfinde ich das Gespräch mit politischen Entscheidungsträgern als meine Hauptaufgabe.

Standard: Bei der Bestellung des neuen ORF-Generalintendanten wurden ähnliche Argumente vorgebracht. Interessanterweise ist jetzt Alexander Wrabetz als ihr Nachfolger im Gespräch. Welches Anforderungsprofil muss der künftige Präsident bzw. die Präsidentin haben?

Rabl-Stadler: Ich werde keine konkrete Persönlichkeit schildern, die für dieses Amt geeignet ist. Nur so viel: Er oder sie muss jemand sein, der die Festspiele inner- und außerhalb des Landes gut vertritt und Sponsoring nicht als unverdiente Last des Schicksals sieht. Nur so weit möchte ich mich hinauslehnen: Im Jahr 2021 sollte es nicht mehr möglich sein, dass in einem Dreiergremium keine Frau sitzt.

STANDARD: Ursula Plassnik oder Karoline Edtstadler sind im Gespräch.

Rabl-Stadler: Der Posten wird international ausgeschrieben, ich bin sicher, dass sich einige geeignete Frauen und auch Männer bewerben werden.

STANDARD: Die Erregung rund um die Wahl ist programmiert. Brauchen die Festspiele auch die permanente künstlerische Erregung, ja den Skandal? Heuer war diesbezüglich abseits der Kurzhaarfrisur der Buhlschaft wenig los.

Rabl-Stadler: Ich glaube schon. Als es 2001 den Skandal rund um die Fledermaus von Hans Neuenfels gab, war das zwar unangenehm für mich, aber ich bin eine Befürworterin, dass Künstler Risiken eingehen. Ich liebe den Spruch von Carl Amery: Risiko ist die Bugwelle des Erfolgs. Auch der heurige Don Giovanni hat viele Diskussionen ausgelöst. Ich verstehe, wenn Menschen Einwände haben, aber für mich ist diese Inszenierung ein großes Kunstwerk. Und zu den Haaren von Frau Altenberger: Ich habe es mehr als erstaunlich gefunden, an welchem Frauenbild die Buhlschaft 2021 noch gemessen wird.

STANDARD: Sie sind sehr organisiert, läuft Ihnen der Ausnahmezustand nicht zuwider?

Rabl-Stadler: Wenn man gut plant, kann man flexibel auf das Unvorhergesehene reagieren.

STANDARD: Ihre Kinder nennen Sie eine Katastrophenmutter, insofern Sie sich auf alle möglichen Katastrophen gut vorbereiten. Sie müssen in den vergangenen zwei Pandemiesommern in Ihrem Element gewesen sein, oder?

Rabl-Stadler: Ich war nicht in meinem Element, aber ich war nie mutlos. Eine Führungspersönlichkeit darf im Erfolg nicht überheblich werden und bei Schwierigkeiten nie mutlos. Warten wir ab, dachte ich, sagen wir nicht ab. Ich mache bis heute vielen den Vorwurf, dass sie viel zu schnell die Flinte ins Korn geworfen haben.

STANDARD: Heuer war die Situation wesentlich einfacher.

Rabl-Stadler: Im Gegenteil. Ich komme mir wie eine Marathonläuferin vor, die jedes Mal, wenn sie sich vor dem Ziel befindet, erfährt, dass die Strecke um einen Kilometer verlängert wurde. Wir wissen zwar, wie man mit der Pandemie umgeht, aber all die Quarantäne- und Reisebestimmungen sind hochkompliziert. Abgesehen davon herrscht viel Aggressivität, was das Arbeiten nicht leichter macht.

STANDARD: Aus der Fernsicht war das größte Problem der Festspiele, Anfang Juni noch einmal 70.000 Karten unter die Leute zu bringen. Korrekt?

Rabl-Stadler: Ja, wir hatten damit gerechnet, zu zwei Dritteln verkaufen zu dürfen. Das waren 160.000 Karten. Dann erfuhren wir, dass wir zu unserer großen Freude voll bestuhlen dürfen. Aber es ist alles gut ausgegangen, am ersten Tag des freien Kartenverkaufs haben wir Karten um 1,2 Millionen Euro verkauft.

STANDARD: Wie sieht die vorläufige wirtschaftliche Bilanz der Festspiele aus?

Rabl-Stadler: Gut, wir haben zwar keine Rekorde aufgestellt, aber wir sind zufrieden. Bei 160.000 aufgelegten Karten hätten wir ein Defizit von fünf Millionen gemacht, ich hoffe jetzt aber, dass wir den Wirtschaftsplan erreichen und gar kein Defizit machen.

STANDARD: Wirtschaftlich dürfte Ihnen die Absage der "Tosca"-Ausstrahlung im ORF diese Woche wehtun. Was ist passiert?

Rabl-Stadler: Hier schweige ich diplomatisch, mit tut es jedenfalls leid, dass die Ausstrahlung nicht stattfinden konnte.

STANDARD: Man hört, dass Anna Netrebko von ihrem Vertragsrecht gebraucht gemacht hat und die Übertragung platzen ließ, weil sie schlechte Kritiken bekam. Wie belastet ist das Verhältnis zu den Festspielen?

Rabl-Stadler: Das Verhältnis ist nicht lädiert. Für mich gehört Anna Netrebko zu den Fixsternen des Festspielhimmels. (Stephan Hilpold, 29.8.2021)