Erst zwei Wochen ist es her, dass die Taliban auf ihrem kurzen Siegeszug in Kabul eintrafen. Sie mussten bis zur Übernahme der afghanischen Hauptstadt nicht einmal den kompletten Abzug der US- und Nato-Truppen abwarten: Afghanistan fiel ihnen schon vorher wie eine reife Frucht in den Schoß. Die Schmach für die USA und alle anderen wurde seitdem dadurch vergrößert, dass sie auf die Kooperation der Taliban am Flughafen Kabul angewiesen sind, um ihre Landsleute und zumindest einen Teil ihres afghanischen Personals in Sicherheit zu bringen.

Soldaten der Taliban in Kabul.
Foto: AFP/AAMIR QURESHI

Das Image, das sich die Taliban anfangs zu geben versuchten, um den afghanischen Staat und dessen internationale Beziehungen am Laufen zu halten, war schnell zerstört. Ihre Versicherungen vor allem nach außen wurden nach innen schnell gebrochen. Auch wenn sie heute mehr über die Welt wissen als die in islamischen Schulen in Pakistan indoktrinierten afghanischen Flüchtlinge, die 1996 schon einmal in Kabul einzogen, hat sich der Kern ihrer islamistisch-tribalen Ideologie und Vorstellung, wie die afghanische Gesellschaft auszusehen hat, nicht geändert.

Erstaunlich ist, dass sie dennoch heute aus anderen ethnischen Gruppen, nicht nur den Paschtunen, mehr Zulauf zu haben scheinen als früher: Das ist ein verheerendes Zeugnis für den afghanischen Staat der vergangenen zwanzig Jahre, der als von außen aufgezwungen wahrgenommen wurde.

Ruhe und Ordnung

Die Anschläge des afghanischen Ablegers des "Islamischen Staats", des IS-Khorasan (IS-K), setzen nun sowohl die Taliban als auch die abziehenden USA unter Druck. Die von den Regierungen von Donald Trump und Joe Biden hochgehaltene Prämisse für das Ende der Afghanistan-Mission war, dass, wenn schon nicht das "Nation-Building", so doch die Terrorismusbekämpfung äußerst erfolgreich war. Und dass die Taliban in der Lage sind, Terrororganisationen in Afghanistan unter Kontrolle zu halten.

Die USA haben ab 2018 einen großen militärischen Aufwand betrieben, um den IS in Afghanistan entscheidend zu schwächen – was den Taliban paradoxerweise zugutekam. Auch heute kann der IS-K den Taliban militärisch nicht gefährlich werden. Die Fähigkeit, verheerende Anschläge zu verüben – auch logistisch viel schwierigere als jene von Donnerstag –, hat der "Islamische Staat" jedoch nie eingebüßt.

Das schadet dem Ansehen der Taliban, die von manchen Teilen der Bevölkerung genau deshalb akzeptiert werden, weil sie einen starken Staat und Ruhe und Ordnung versprechen. Und wenn der IS-K zu starke Lebenszeichen von sich gibt, dann haben die Taliban zu befürchten, dass die USA, deren Vertreibung aus Afghanistan sie sich ja an die Fahnen heften, zumindest mit Luftschlägen wieder Präsenz zeigen werden.

Die bittere Wahrheit ist, dass der IS-Terror in Afghanistan die internationale Akzeptanz und die US-Kooperation mit den Taliban sogar befördern könnte. Vor allem die regionalen Nachbarn haben kein Interesse daran, dass sich der internationale IS-Jihadismus in Afghanistan ausbreitet: Da sind ihnen die zumindest im Moment "national" denkenden Taliban lieber. Die könnten aber auch in Versuchung kommen, bei ihrer Auseinandersetzung mit dem IS auf die Zusammenarbeit mit anderen Terrorgruppen zurückzugreifen – wie Al-Kaida, mit der sie nie völlig gebrochen haben. (Gudrun Harrer, 27.8.2021)