Unterm Fullface-Helm mit 66 Jahren noch immer ein Draufgänger: Freerider Klaus Dieter Zimmer auf einem selbst gebauten Kicker in seiner Nachbarschaft.

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Nimmt er seinen Helm ab, staunen die anderen – in der Regel jüngeren – Biker meist.

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Zimmers absolute Lieblingsstrecke ist der Flowtrail auf der Kärntner Petzen.

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Was seine Altersgenossen zu seinem Hobby sagen? "Ich kenne eigentlich keine Leute in dem Alter", sagt Klaus Dieter Zimmer, der mit 66 Jahren am liebsten den Vollvisierhelm überzieht und Trails hinunterjagt. Das Biken hält ihn jung, erklärt er: "Es ist ein unglaublich gutes Gefühl. Für mich ist es ein Lebensgefühl. Sobald ich auf dem Sattel sitze, werde ich eins mit dem Rad." Im Bikepark ist er meist der Älteste, aber erntet dafür viel Anerkennung und Respekt von "den Jungen": "Fahre ich mit Halbschale, fragen sie immer ganz erstaunt, wie alt ich bin. Fahre ich mit Vollvisierhelm, glauben immer alle, da kommt ein junger Wilder. Bis ich ihn dann abnehme."

Zimmer ist seit 25 Jahren begeisterter Mountainbiker. In der Zeit hat er die technische Evolution des Sports hautnah miterlebt. Sein erstes Mountainbike, mit 21 Gängen und Cantilever-Bremsen, wurde ihm in den 1990ern in Wien geklaut. Dann stieg er gleich auf Abfahrtstauglicheres um. "Von Heavy Tools über Scott zu Specialized. Ich hab noch immer die Demos 7 bis 8. Dann Kona und mittlerweile Cube", zählt er auf die Schnelle nach.

Tausche Kunst gegen Bike

Als ehemaliger Kunstlehrer und nach wie vor aktiver Künstler – Spezialfach selbstredend Bikekunst – hat er früher sogar Deals mit Herstellern arrangiert. "Kunst gegen Bike, das lief eine Zeitlang ganz gut", sagt Zimmer. Auch sein aktuelles Stereo hat er so zum Einkaufspreis erstanden. "Aber das wird immer schwieriger heutzutage", erzählt er. Sollte es hier Mitlesende Hersteller oder Händler geben, die an Kunst interessiert sind, Zimmer würde gern mit ihnen ins Gespräch kommen. Den Kontakt kann die Redaktion gerne herstellen.

Die Liebe zum Biken hat er – ganz Professor – immer auch zu vermitteln versucht. Seinen Sohn hat er als damals erst Sechsjährigen in den neu eröffneten Bikepark Leogang geschmuggelt. "Ich hab ihm an der Kassa den Fullface-Helm aufgesetzt und ihn etwas hochgehoben, damit er größer aussieht", erinnert er sich an die ersten Runden des Filius. Bald fuhr er ihm um die Ohren, sagt Zimmer. Und heute ist er erfolgreicher Triathlet, der an der WM in Lausanne teilgenommen hat. Und noch immer radeln die beiden ab und an gemeinsam auf den Trails.

Bike-Nerd und Hausmeisterinnenschreck

Selbst in den Kunstunterricht hat Zimmer seine Leidenschaft einfließen lassen. Mit seinen Schülerinnen und Schülern gründete er dereinst den "MTB Waldorf Racing Club" und behandelte im Unterricht verschiedene Hinterbau-Systeme. Zudem fasziniert ihn die "Ästhetik der Freizeitindustrie", wie etwa das Design von Brillen oder Helmen. Nicht alle im Kollegium und der Elternschaft teilten jedoch seine Passion.

Heute lebt Zimmer in der Oststeiermark nahe Fürstenfeld: "Nur flach, es ist ein Drama." Manchmal dreht er in den Hügeln seine Runden, wobei er kein Fan von Uphills oder Touren ist. Zimmer liebt es steil und bergab. "Zumindest ein paar große Stiegen haben wir bei den Mietshäusern. Die springe ich dann runter." Sehr zum Ärger der Hausmeisterin. Sobald sie ihn sieht, schnappt sie ihren Besen und schreit: "Do kumt a scho wieda!" Zimmer kann sich ein Lachen nicht verkneifen: "Ein bisserl kindisch bin ich halt schon."

Fliegt er quer, sieht er mehr

Um derlei Stress zu vermeiden, verbringt er so oft es geht Tage in Kärnten, auf der Petzen. Der dortige Flowtrail ist seine Lieblingsstrecke, die er immer noch unter 30 Minuten schafft. Selbst Whips über Tables sind dem passionierten Biker ein Hochgenuss. Und auch wenn ihm nach so einem Wochenende alle Knochen wehtun, so hält ihn der Sport jung, ist Zimmer überzeugt: "Ich fühle mich jünger, bin schlank und beweglich. Auch für das Gehirn ist Freeriden ein super Training."

Was ihm besonders an seinem Hobby gefällt, ist der Kontakt zur Jugend. "Letztens habe ich einen Arzt getroffen, der war 35 und meinte, er müsse jetzt dann wegen dem Alter etwas ruhiger werden." Zimmer konnte sich das Lachen nicht verkneifen. "Ich sag den Jungen immer: 'Wenn ihr noch 25 Jahre fahrt, werdet ihr immer besser. Ich werde nur mehr schlechter.'" Doch das Alter stellt für ihn kein Hindernis dar. Zimmer hat noch viele Bike-Pläne: Portugal reizt ihn wegen des Klimas und der Trails, auch Slowenien wäre ihm eine Reise wert.

Eine Anregung mit Augenzwinkern für Bikepark-Betreiber hat er auch parat: "Wenn ich an der Kassa stehe und meine Altersgenossen ihre Seilbahnticktes zum Wandern kaufen, wundere ich mich immer, wieso die Seniorenrabatt bekommen. Ich habe noch keinen Bikepark gefunden, der billigere Seniorentickets anbieten würde."

Fürs E-Bike noch zu jung

Als Vorbild sieht er sich nur bedingt. Vor allem was Altersgenossen angeht. Denn Zimmer ist überzeugt, dass es wenig Sinn machen würde, in seinem Alter erst mit dem Biken zu beginnen. Wer es aber vorher schon tat, ist er fest überzeugt, kann diesen Sport bis ins hohe Alter ausüben und Spaß daran haben. Selbst Stürze, die eben dazugehören, steckt er nach wie vor weg. "Und letztens habe ich im Wald einen 83-jährigen getroffen, am E-Bike. Der ist damit einen Trail runter." Wobei Zimmer umgehend anmerkt: "Für ein E-Bike fühle ich mich noch nicht alt genug."

Wenn Zimmer einen Ratschlag hat, den er mitgeben will, dann den: "Macht etwas mit euren Kindern, geht mit ihnen Biken." Denn was man in jungen Jahren lernt, das bleibt einem, ist er sich sicher. Er selbst will auch noch immer Junge für den Sport begeistern. Aktuell überlegt er, ein Demo aus seinem Altbestand wieder fahrtüchtig zu machen, um es an einen Jugendlichen zu vergeben, der sich selbst noch kein Bike leisten kann. Und er würde gern in den Hügeln um seinen Heimatort einen Trail bauen – legal. "Früher, da haben wir noch Schaufeln im Wald versteckt und heimlich gebaut."

Downhill-WM und Videos

Wenn er selbst nicht am Bike sitzen kann, dann schaut sich Zimmer online Bike-Videos an, um sich etwas von den Profis abzuschauen für die eigene Fahrtechnik. Auch dieses Wochenende wird er am Sonntag gebannt die Downhill-Weltmeisterschaft in Val di Sole verfolgen, um Vali Höll, David Trummer und Co die Daumen zu drücken. Eurosport 2 und Red-Bull-TV übertragen die Rennen übrigens live. "Ich halte es da wie Picasso mit dem Malen. Der sagte immer, ich male auch, wenn ich nicht male, nämlich täglich tausende Bilder in meinem Kopf. Ich fahre täglich unzählige Trails in meinem Kopf, auch wenn ich grade nicht selbst am Rad sitze." (Steffen Arora, 28.8.2021)