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Nach den blutigen Anschlägen von Kabul hatte US-Präsident Joe Biden Rache geschworen.

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US-Soldaten sichern den Flughafen Kabul.

Foto: AP / 1st Lt. Mark Andries/U.S. Marine Corps

Washington/Kabul/Wien – Die USA stellen sich nach dem Vergeltungsangriff auf die Extremistengruppe "Islamischer Staat" (IS) auf die gefährlichste Phase der am Dienstag endenden Evakuierungen ein. Verteidigungsministeriums-Sprecher Kirby erklärte, dass es "spezifische und glaubhafte" Hinweise auf weitere Attentate gebe. Nach Angaben von Armee-Mitgliedern wird die Gefahr umso größer, je weniger Soldaten am Flughafen sind. US-Präsident Joe Biden warnte am Samstag vor einem weiteren IS-Anschlag auf den Flughafen Kabul. Nach Einschätzung der Armeeführung sei "ein Anschlag in den nächsten 24 bis 36 Stunden sehr wahrscheinlich".

US-Angriff auf IS-Planer

Nach dem Selbstmordattentat vor einem Tor des Flughafens in Kabul mit nach US-Medienberichten bis zu 170 Toten, darunter 13 US-Soldaten, griffen die USA am Freitag ein Ziel in der Provinz Nangarhar an der Grenze zu Pakistan an. Ein Vertreter der US-Regierung, der nicht genannt werden wollte, sagte, mit einer Drohne vom Typ Reaper sei ein Wagen angegriffen worden. Darin seien ein Planer des Attentats in Kabul und ein IS-Mitglied gewesen.

Augenzeugen in Jalalabad, der Hauptstadt von Nangarhar, berichteten von Explosionen in der Umgebung der Stadt. Ein Gemeindevorsteher in Jalalabad sagte, dabei seien drei Menschen getötet und vier verletzt worden. "Frauen und Kinder sind unter den Opfern", so Malik Adib, der nach eigenen Angaben von den Taliban mit der Untersuchung des Vorfalls beauftragt wurde.

Evakuierungen

Die Taliban kontrollieren indes laut eigenen Angaben mehrere Tore am Flughafen in Kabul. "Zwei, drei" Zugänge seien in der Nacht auf Samstag von den USA an Kräfte der Islamisten übergeben worden, so ein Taliban-Vertreter am Samstag. Der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, John Kirby, hatte eine derartige Übergabe nach ersten Medienberichten darüber allerdings vehement dementiert.

Die Taliban bereiten sich jedenfalls bereits auf den Aufbau einer Regierung in Afghanistan vor, in den nächsten Tagen wollten sie das vollständige Kabinett bekannt geben, sagte ein Taliban-Sprecher am Samstag. Die Vertreter von wichtigen Behörden wie dem Gesundheits- und Bildungsministerium sowie der Zentralbank seien bereits ernannt worden. Zudem gehe man davon aus, dass die Turbulenzen der Währung bald enden dürften. Den US-Vergeltungsschlag gegen den IS verurteilten sie als einen "klaren Angriff auf afghanisches Gebiet". Jedoch baten sie dem Sprecher zufolge die USA und andere westliche Länder, diplomatische Beziehungen auch nach dem Abzug ihrer Soldaten aufrechtzuerhalten.

Truppenabzug vom Flughafen

Kurz vor dem Ende des Evakuierungseinsatzes hat das US-Militär nach eigenen Angaben mit dem Abzug seiner Truppen vom Flughafen Kabul begonnen. Der Prozess habe begonnen, sagte Kirby. Am Freitag waren noch mehr als 5.000 US-Soldatinnen und Soldaten am Flughafen Kabul stationiert gewesen. Aus Sicherheitsgründen werde man zunächst keine neuen Zahlen zur Truppenstärke nennen. Das US-Militär werde noch bis zum Abschluss des Einsatzes westliche Staatsbürger und frühere afghanische Mitarbeiter ausfliegen können, hieß es.

Binnen 24 Stunden haben die USA rund 6.800 Menschen aus Kabul evakuiert. Eine Sprecherin des Weißen Hauses teilte mit, bis Samstagvormittag (Ortszeit) habe die US-Luftwaffe mit 32 Flügen rund 4.000 Menschen in Sicherheit gebracht, Flugzeuge von Verbündeten hätten rund 2.800 Menschen evakuiert. Seit dem Start des Einsatzes Mitte August hätten die Vereinigten Staaten und ihre Partner damit insgesamt rund 112.000 Menschen ausgeflogen.

Das US-Militär will seine Soldaten bis Dienstag vom Flughafen der afghanischen Hauptstadt abziehen. Damit wird der Einsatz zur Evakuierung westlicher Staatsbürger und früherer afghanischer Mitarbeiter ausländischer Truppen und Einrichtungen enden. Man werde mit den radikalislamischen Taliban nach dem Truppenabzug in manchen Bereichen zusammenarbeiten müssen, um weitere Ausreisen zu ermöglichen, postulierte US-Regierungssprecherin Jen Psaki. Nach US-Angaben sind noch rund 350 amerikanische Staatsbürger in Afghanistan, die das Land verlassen wollen.

Mehrere Verbündete der USA, darunter Deutschland, hatten am Freitag ihren Rückzug abgeschlossen. Auch Großbritannien hat die Evakuierung von Zivilisten aus Afghanistan eigentlich beendet. Wie das Verteidigungsministerium mitteilte, plane das Land keine weiteren Flüge für Zivilisten mehr. Fortgesetzt würden allerdings Flüge aus Kabul für britische Militärangehörige, bei denen auch eine kleine Anzahl an Afghanen mitgenommen werde. Italien flog laut eigenen Angaben mehr bedrohte afghanische Bürger aus Kabul aus als jedes andere EU-Mitgliedsland.

Frankreich diskutiert mit Taliban

Frankreich diskutiert mit den Taliban und unter Einbeziehung von Katar über weitere Evakuierungen aus Afghanistan nach dem geplanten Abzug der Amerikaner. "Ja, es gibt Gespräche mit den Taliban über humanitäre Operationen und die Möglichkeit, gefährdete Afghanen zu schützen und zu evakuieren", sagte Präsident Emmanuel Macron am Samstag während einer Irak-Reise in Bagdad. "Wir arbeiten unter anderem mit Katar zusammen, um diese Operationen zu ermöglichen."

Noch befänden sich die Gespräche aber in einer heiklen und vorläufigen Phase, sagte Macron. Es gehe um Hunderte Afghanen, die bereits für eine Evakuierung nach Frankreich vorgemerkt und mit Papieren ausgestattet seien, die es aber nicht zum Flughafen von Kabul geschafft hätten.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und der britische Premierminister Boris Johnson sprachen unterdessen über die Lage in Afghanistan. Beide seien übereingekommen, dass internationale Hilfe und ein gemeinsamer Ansatz der in der G7-Gruppe organisierten Industriestaaten notwendig seien, hieß es aus Johnsons Büro. Großbritannien hat gegenwärtig den Vorsitz der G7. Johnson betonte, eine Zusammenarbeit mit den Taliban müsse unter der Bedingung stehen, dass diese Ausreisewillige aus dem Land ließen und die Menschenrechte beachteten.

Mehrheit der Österreicher gegen Aufnahme gefährdeter Afghanen

Die Mehrheit der Österreicher ist gegen eine Aufnahme gefährdeter Afghanen. Das zeigt eine Umfrage von Unique Research für "Profil". Es sprechen sich 54 Prozent der Österreicher dagegen aus, besonders gefährdete Personen aus Afghanistan in Österreich Schutz zu gewähren, 38 Prozent befürworten die Aufnahme. Die Einstellung unterscheidet sich je Parteipräferenz. Während sich 63 Prozent der SPÖ-Wähler für die Aufnahme aussprechen, sind nur 26 Porzent der ÖVP- und acht Prozent der FPÖ-Wähler dafür.

Frauen zurück in Gesundheitsberufen

Die Taliban haben indes alle im öffentlichen Gesundheitssektor beschäftigten Frauen aufgefordert, ihre Arbeit wieder aufzunehmen, hieß es in einem Tweet des Taliban-Sprechers Zabihullah Mujahid. Dieser hatte unter der Woche noch gesagt, dass Frauen vorerst lieber zuhause bleiben sollten, weil "unsere Kämpfer, die neu und noch nicht sehr gut ausgebildet sind, Frauen misshandeln könnten. Und wir wollen nicht, dass unsere Kämpfer, was Gott verhüten möge, Frauen belästigen oder gar ihnen Schaden zufügen könnten." (APA, red, 28.8.2021)