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In staatlichen und kirchlichen Kinderheimen kam es jahrzehntelang zu systematischem Missbrauch und Misshandlungen. Die Opfer müssen bis heute um ihre Ansprüche kämpfen.

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Frau Z.* ringt um Fassung, wenn sie ihre Geschichte erzählt. Sie will nicht "hysterisch" wirken. "Man hat mir immer eingebläut, dass ich nichts wert bin, nicht zähle", versucht sie ihre Unsicherheit zu rechtfertigen. Frau Z. kam als Kleinkind in ein Kinderheim in Tirol, das von einem Orden geführt wurde. Mit vier Jahren wurde sie dort erstmals sexuell missbraucht, körperliche und seelische Misshandlungen standen auf der Tagesordnung. Diese Traumata begleiteten Frau Z. ihr Leben lang.

Als sie später selbst Mutter wurde, stand sofort das Jugendamt vor der Tür. "Wegen meiner Heimvergangenheit war ich unter Beobachtung." Für Frau Z. bedeutete das permanente Angst, man könnte ihr die Kinder nehmen, ihr Ein und Alles. Beruflich fasste sie nie Fuß.

Noch bevor der Heimopferskandal vor zehn Jahren aufgedeckt wurde, war Frau Z. schon in therapeutischer Behandlung. Man riet ihr, sich als Opfer zu melden, um Ansprüche geltend zu machen. Das tat sie nach Zögern 2013. Nun begann alles von vorne. Sie musste ihre Geschichte wieder und wieder erzählen. Vor der kirchlichen Klasnic-Kommission, der diözesanen Kommission und schließlich vor einem Gutachter des Bundessozialamtes, wo sie um Entschädigung auf Verdienstentgang nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) ansuchte.

Depressiv, weil "partnerlos"

Obwohl die Grausamkeiten, die tausenden Kindern unter kirchlicher und staatlicher Obhut angetan wurden, mittlerweile zigfach belegt sind, begegnet man den Opfern mit Skepsis, wie der Fall von Frau Z. zeigt. Die Kirche gestand ihr Psychotherapie zu, aber 2018 wurden die Zahlungen eingestellt. Sie solle den Therapeuten hinterfragen, wenn bisher nichts weitergegangen sei, lautete die Begründung.

Ihr Antrag auf Verdienstentgang wurde 2018 abgelehnt. Basis dafür ist das Gutachten eines umstrittenen Neurologen, der schon zahlreiche Heimopfer abgewiesen hat. Seine Begutachtung dauerte genau eine Stunde, wie die Unterlagen von Frau Z. zeigen. Ihr Heimaufenthalt war dabei nie Thema. Am Ende attestierte ihr der Gutachter eine leichte Depression, die aber darauf zurückzuführen sei, dass Frau Z. "partnerlos" lebe und es ihr an familiärer Förderung gemangelt habe.

Z. beeinspruchte die Ablehnung, im November ist die Berufungsverhandlung in Wien angesetzt. Fünf Stunden lang. Frau Z. zittert, wenn sie daran denkt, weil sie allein nach Wien muss, einen Anwalt kann sich die Frau nicht leisten. Der Gutachter ist ebenfalls geladen.

234 von 299 Anträgen abgelehnt

Insgesamt haben bisher 299 Heimopfer Antrag auf Verdienstentgang nach dem VOG gestellt. 51 wurden anerkannt, 234 abgelehnt. 14 Verfahren sind noch offen. Seitens des Sozialministeriums wird darauf verwiesen, dass der Nachweis in solchen Fällen oft schwer zu erbringen sei, weil die Taten Jahrzehnte zurückliegen. Um Betroffenen dennoch finanziellen Ausgleich zu ermöglichen, habe man 2017 die Heimopferrente geschaffen. Zwölfmal jährlich 337,30 Euro, die auch Frau Z. erhält. Mit Stand Mai 2021 bezogen 4241 Personen in Österreich diese Heimopferrente. Betroffene, die diese noch nicht erhalten, können sich bei der Volksanwaltschaft melden, die sie dabei unterstützt, Ansprüche geltend zu machen.

Frau Z. will ihre Angst überwinden und im November gegen die Ablehnung ihres Antrags berufen. "Ich habe das Gefühl, man spielt auf Zeit, bis keiner von uns mehr lebt, der etwas verlangen kann", sagt sie. (ars, 30.8.2021)

*Name auf Wunsch anonymisiert