Vor 40 Jahren erschienen, bis heute unpackbar: "Fire of Love", das Debütalbum des Gun Club.

Ruby records

Erlösung – die hat er weder versprochen noch erwartet. "We can fuck forever, but you will never get my soul!", schreit Jeffrey Lee Pierce im Lied Sexbeat ins Mikrofon. Er schuf damit einen Instant-Klassiker, der den Zustand beschreibt, in dem der Musiker sich zeitlebens befinden sollte: in einem Zwischenreich, dort, wo sich Himmel und Hölle berühren, Blues und Punk, Liebe und Verzweiflung.

Am 31. August 1981 erschien das Debütalbum der Band The Gun Club: Fire Of Love. So etwas hatte man davor nicht gehört. Bei seinem Erscheinen wenig wahrgenommen, wuchs es über die Jahre in den Status eines visionären Meisterwerks, auf das sich andere Musiker herauf bis heute berufen.

Etliche Wiederauflagen belegen das ebenso wie Aussagen wie jene von Jack White von den White Stripes, der gar forderte, dass die Lieder des Gun Club in den Schulen gelehrt werden sollten. Doch da würde der Elternverein meutern.

The Gun Club – Jeffrey Lee Pierce mit Knarre,
Foto: Beggars Rec.

The Gun Club formierte sich 1979 in Los Angeles. Dort tobte Punk als harte Wiederauflage des Rock ’n’ Roll, gleichzeitig keimte dessen aggressivere Version, die bald als Hardcore und mit Bands wie Black Flag für Furore sorgte.

Ein Bonsai-Brando

Jeffrey Lee Pierce war Teil dieser Szene. Ein Misfit, der aussah wie eine pummelige Bonsai-Version von Marlon Brando. Mit seiner wirren, blond gefärbten Mähne war er der Präsident des Blondie-Fanklubs an der Westküste und schrieb für das Undergroundmagazin Slash Plattenbesprechungen, oft über Reggae.

1979 gründete er mit Brian Tristan The Creeping Ritual. Tristan war ein schwuler Latino und selbst Präsident des Ramones-Fanklubs. Bald nannte er sich Kid Congo Powers und spielte bei The Cramps oder Nick Cave and the Bad Seeds – auch so eine legendäre Figur.

d22

Eine Namensänderung später war The Gun Club geboren. Der setzte sich mit Fire Of Love zwischen alle Stühle. Das Neonrosa des Covers signalisierte Punk, die darüber geklebten Figuren verwiesen in den US-Süden. Auf Voodoo-Schnickschnack, womöglich Lynchjustiz und den Ku-Klux-Klan und jene Musik, die Punk bis dahin nicht einmal ignoriert hatte: den Blues.

Schlechter Ruf

Der besaß Ende der 1970er eine schlechte Reputation. Verantwortlich dafür war der aus dem Blues-Revival der 1960er hervorgegangene Blues-Rock, der von vornehmlich weißen Bands gut gemeint und virtuos mit zwölf Fingern gespielt seiner wahren Kraft beraubt wurde. Mit Anfang 20 fühlte Jeffrey Lee Pierce sich von dieser weichgespülten Musik abgestoßen, sein Interesse galt dem archaischen Delta-Blues, den rohen Geschichten und Liedern eines Charley Patton, Son House oder Robert Johnson.

deafpulp

Johnsons Preaching Blues erkannte er als seine Mission und interpretierte ihn als Preaching The Blues. Powers spielte dafür die Gitarre Slide, etwas, das es im Punk bis dahin nicht gegeben hat.

Wie angestochen

Der Blues des Gun Club kam wie angestochen daher. Pierce, dessen durchdringende Stimme seinen Namen unterstrich, jodelt und ächzt sich darin in Richtung Hölle, will Prediger werden, damit er nicht arbeiten muss.

In der exzellent klingenden Neuauflage des Albums von Blixa Sounds beschreibt der erste Gun-Club-Drummer Terry Graham Pierce’ Beziehung zum Blues als eine Mischung aus Liebe und Hass.

deafpulp

Diese Zerrissenheit ist hörbar, sie macht Fire Of Love so besonders. Es ist keine ehrfürchtige Hommage an den Blues, es ist ein Arschtritt. Manche Songs klingen wie fiebrige Eruptionen, andere beherrschter, traditioneller, wie Black Train mit seinem Zugrhythmus. Selbst Liebesgeständnisse klingen ungesund und sind potenziell todbringend: For the Love Of Ivy oder She’s Like Heroin To Me gelten als Klassiker und zählen zu den Höhepunkten des Albums. Gleichzeitig beschreiben sie das Terrain des Gun Club, das Pierce zwei Alben später mit der Chiffre "Bad America" auf den Punkt bringen sollte.

Ewiger Außenseiter

Am anderen Ende der Welt schlugen Bands wie The Scientists oder die Birthday Party mit Nick Cave ein, zwei Jahre später denselben Weg ein. Während Caves Liebe zum Blues und dessen schweren Zeichen ihm eine formidable Weltkarriere bescherte, blieb Jeffrey Lee Pierce mit den zahlreichen Inkarnationen und Umbesetzungen des Gun Club ein ewiger Außenseiter. Ein Typ, der sich in seiner Kompromisslosigkeit mehr Feinde als Freunde gemacht hat – wie selbst seine besten Freunde zugeben.

ColdBishop

1996 starb Jeffrey Lee Pierce im Alter von 37 Jahren an einer Hirnblutung. Zudem litt er an Leberzirrhose, Hepatitis und war HIV-positiv – die Tore der Hölle standen ihm weit offen. Er hat unter eigenem Namen und mit dem Gun Club eine Reihe toller Alben veröffentlicht, doch keines erreichte die besessene Qualität von Fire Of Love.

Bis heute wird dieses Meisterwerk von Nachgeborenen neu entdeckt – bis heute hat es nichts von seiner Magie verloren. (Karl Fluch, 30.8.2021)