Aus Afghanistan evakuierte Menschen kommen im Kosovo an.

Foto: EPA / Valdrin Xhemaj

Kabul – Kurz vor dem Ende der Luftbrücke zur Evakuierung Schutzbedürftiger aus Afghanistan ist der Flughafen von Kabul nach US-Angaben erneut unter Beschuss geraten. Bis zu fünf Raketen wurden laut US-Regierungsangaben Montagfrüh auf den Airport abgefeuert. Sie seien aber von einem Raketenabwehrsystem abgefangen worden. Der IS erklärte via Telegram, für den Raketenangriff verantwortlich zu sein. Die Soldaten des Kalifats hätten demnach sechs Katjuscha-Raketen abgefeuert.

Ersten Berichten zufolge habe es keine Opfer unter den Amerikanern gegeben. Am Montag soll indes eine UN-Sicherheitszone in Kabul besprochen werden.

Afghanischen Medienberichten zufolge wurden die Raketen von einem Fahrzeug aus abgefeuert. In Kabul seien an mehreren Stellen Raketen eingeschlagen, meldete die Agentur Pajhwok. Der Vorfall unterstrich, wie gefährlich der unter Hochdruck laufende Einsatz auch in den letzten Stunden vor Ablauf der mit den radikalislamischen Taliban vereinbarten Frist am Dienstag bleibt.

Ein zerstörtes Auto nach dem Raketenangriff.
Foto: imago images/Xinhua

US-Drohnenangriff am Sonntag

Erst am Sonntag hatten die Amerikaner nach eigenen Angaben mit einem Drohnenangriff einen Selbstmordattentäter in einem Wagen getötet, der im Auftrag des IS-Miliz-Ablegers Isis-K einen Anschlag auf den Flughafen vorbereitet haben soll. Bei der Zerstörung des Wagens sei es anschließend zu mehreren starken Explosionen gekommen, was darauf hindeute, dass das Fahrzeug wohl mit Sprengstoff beladen gewesen sei, teilte das US-Zentralkommando mit.

Berichte über betroffene Zivilisten würden untersucht. Mindestens zehn Zivilisten sollen getötet worden sein. Das berichtet der lokale TV-Sender Tolo News am Montag. Unter den Toten seien demnach auch Kinder. Laut CNN seien neun Mitglieder einer Familie getötet worden, darunter sechs Kinder.

Ein Sprecher der Taliban kritisierte die USA, weil sie die Gruppe nicht im Voraus über den Drohnenangriff informiert hätten. Es sei widerrechtlich, dass die USA in anderen Ländern nach Belieben Angriffe ausführten, sagt der Sprecher dem chinesischen Staatssender CGTN. US-Präsident Joe Biden bekräftigte hingegen abermals, dass die Militärkommandeure "alles unternehmen sollen, was nötig ist, um unsere Truppen auf dem Boden zu schützen", wie das Weiße Haus mitteilte.

Im Zuge der Evakuierungsmission am Flughafen in Kabul brachten die USA zuletzt innerhalb von 24 Stunden rund 1.200 Menschen in 26 Flugzeugen des US-Militärs außer Landes. Seit dem Start der Mission Mitte August seien insgesamt rund 116.700 Menschen aus Afghanistan evakuiert worden, teilte das Weiße Haus am Montag in Washington mit.

Ein US-Evakuierungsflugzeug.
Foto: Aamir QURESHI / AFP

Usbekistan: Grenze "vollständig geschlossen"

Indes wurde bekannt, dass Usbekistan seine Grenze zu Afghanistan nach Angaben der Regierung in Taschkent "vollständig geschlossen" hält. Das Außenministerium der zentralasiatischen Ex-Sowjetrepublik dementiert Medienberichte, wonach der Grenzübergang auf der sogenannten "Brücke der Freundschaft" für afghanische Geflüchtete geöffnet sei. "Das Außenministerium verkündet erneut, dass die Republik Usbekistan keine afghanischen Flüchtlinge auf ihrem Territorium aufnimmt."

Usbekistan unterhalte freundschaftliche Beziehungen zu seinem Nachbarn Afghanistan und wolle sich nicht in dessen innere Angelegenheiten einmischen, hieß es weiter.

Kurz vor dem Ende der internationalen Evakuierungen aus Kabul haben am Montag vier EU-Staaten gemeinsam mit den drei Nachbarländern Afghanistans – Usbekistan, Turkmenistan und Tadschikistan – über Zusammenarbeit und Unterstützung in der aktuellen Krisensituation beraten. Österreich gehe mit konkreten Angeboten bezüglich Grenzschutz sowie humanitäre Hilfe in die virtuelle Konferenz, erklärten Außenminister Alexander Schallenberg und Innenminister Karl Nehammer (beide ÖVP).

Schallenberg: Bisher 110 Menschen außer Landes gebracht

Laut Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) sind bisher 110 österreichische Staatsbürger und Menschen mit Aufenthaltstitel in Österreich aus Afghanistan außer Landes in Sicherheit gebracht worden. Weiterhin würden einige Dutzend auf die Ausreise warten, ebenso würden sich weiter täglich neue Menschen melden, die nach Österreich ausreisen wollten.

In vielen Fällen gehe es um Dokumentenüberprüfung, also Prüfung der Echtheit des Aufenthaltstitels. Das könne erst passieren, "wenn wir die Leute physisch treffen", so Schallenberg. Deshalb seien auch Experten des Innenministeriums entsandt worden. Zudem sei nach wie vor ein Krisenteam in der usbekischen Hauptstadt Taschkent präsent, die Teams der österreichischen Botschaften in Pakistan und dem Iran seien verstärkt worden. "Ich kann garantieren, dass wir weiterhin alles daransetzen, alle rauszubekommen", erklärte Schallenberg.

Deutscher Außenminister besuchte Nachbarstaat

Der deutsche Außenminister Heiko Maas erklärte indes mit Blick auf einen Zeitungsbericht, es seien wesentlich mehr als die darin genannten rund 100 Ortskräfte aus Afghanistan ausgeflogen worden. Laut aktuellen Zahlen des deutschen Innenministeriums sind bisher mit den Evakuierungen insgesamt 4.587 Personen nach Deutschland eingereist, darunter 3.849 Afghanen und 403 deutsche Staatsbürger, wie ein Ministeriumssprecher mitteilt. Davon seien 138 Ortskräfte mit 496 Familienmitgliedern, also insgesamt 634 mit einem Ortskräftebezug.

Maas will über die Bundeswehr-Evakuierungen hinaus nur denjenigen Menschen bei der Ausreise aus Afghanistan helfen, die eine Zusage für die Aufnahme in Deutschland haben. Die Regierung in Taschkent habe sich bei der von Deutschland definierten Personengruppe zur Kooperation bereiterklärt. Insgesamt geht es nach jetzigem Stand um mehr als 40.000 Menschen, die in Deutschland aufgenommen werden sollen – wenn es ihnen gelingt, das Land zu verlassen. Maas will jedenfalls nicht selbst mit den Taliban reden, sondern über einen Diplomaten, der derzeit mit Vertretern der neuen afghanischen Machthaber im Golfemirat Katar verhandelt.

Der deutsche Außenminister Heiko Maas traf seinen usbekischen Amtskollegen Abdulaziz Komilov.
Foto: imago images/photothek/Felix Zahn

Taliban-Führer in Afghanistan

Deren bisher als verschollen geltender Anführer Haibatullah Achundsada befindet sich nach Angaben des Taliban-Sprechers Sabiullah Mudschahid in Afghanistan. "Haibatullah Achundsada führt derzeit Gespräche in Kandahar", sagte Mudschahid in einem Interview mit der staatlichen türkischen Nachrichtenagentur Anadolu. Nach der Machtübernahme der Taliban Mitte August war der Vizechef der Bewegung, Mullah Abdul Ghani Baradar, in Afghanistan eingetroffen. Der Aufenthaltsort von Achundsada war bisher nicht bekannt.

Mit der Türkei strebten die Taliban eine enge Zusammenarbeit an, sowohl beim Thema Wirtschaft als auch in der Bildung, sagte Mudschahid. "Das türkische Volk und der Staat sind unsere Freunde. Es gibt sehr viele Gründe dafür, dass unsere Freundschaft bestehen bleibt." Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hatte bereits zuvor erklärt, sein Land wolle den Taliban beim Aufbau von Infrastruktur in Afghanistan behilflich sein.

Nachbarstaaten wollen gemeinsame Linie

Afghanistans Nachbarstaaten wollen sich indes absprechen und – wenn möglich – eine gemeinsame Position entwickeln. Alle wichtigen Akteure, auch Russland und China, sollen dabei sein. Russlands Botschaft in Kabul erklärte sich am Montag bereit, Anträge von Ausreisewilligen anzunehmen. Dazu seien zusätzliche Flüge geplant. Vergangene Woche hat Russland rund 360 Menschen evakuiert.

UN-Generalsekretär António Guterres denkt über eine UN-Sicherheitszone in Kabul nach.
Foto: JOHN THYS / POOL / AFP

Im Lauf des Tages wollen UN-Generalsekretär António Guterres und die Vertreter der ständigen Sicherheitsratsmitglieder über eine mögliche UN-Sicherheitszone in Kabul sprechen. Frankreich und Großbritannien wollen das im UN-Sicherheitsrat durchsetzen. In einer am Sonntag veröffentlichten Erklärung von mehr als 20 Ländern hieß es, man habe von den Taliban Zusicherungen erhalten, dass "alle ausländischen Staatsangehörigen und alle afghanischen Staatsbürger mit einer Reisegenehmigung aus unseren Ländern sicher und geordnet zu Abflugorten sowie aus dem Land reisen dürfen".

US-Außenminister Antony Blinken telefonierte nach Angaben seines Ministeriums am Sonntag mit seinem chinesischen Kollegen Wang Yi. Dieser machte die USA für die "chaotische" Situation in Afghanistan mitverantwortlich. Der Krieg in Afghanistan habe sein Ziel, terroristische Kräfte zu beseitigen, nicht erreicht, sagte er laut der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua in dem Telefonat mit Blinken. (APA, 30.8.2021)