Der Herr auf dem Titelbild von "New World" trägt einen recht unverwechselbaren Konquistadoren-Helm.

Foto: Amazon

Es ist alles andere als ein reibungsloser Start, den Amazons MMO "New World" bis jetzt hingelegt hat. Nach einigen Entwicklungsverzögerungen ging man vor wenigen Wochen in eine der letzten Testphasen vor dem geplanten Start. Diese offenbarte jedoch noch spielerische Defizite und trug außerdem dazu bei, dass bestimmte Grafikkarten den Geist aufgaben. Letztlich verschob man den offiziellen Launch von Ende August auf den 28. September, wobei von 9. bis 12. September noch ein Open-Beta-Test stattfinden soll.

Es sind aber nicht nur Technik und Gameplay, die für Kritik an Amazon Games sorgen. Auch der Historiker Felix Zimmermann von der Universität Köln wirft dem Studio in einer Analyse im "Spiegel" einen unreflektierten Zugang zur amerikanischen Kolonialgeschichte vor.

Viele Anlehnungen

"New World" spielt in einem parallelgeschichtlichen Szenario. Im 17. Jahrhundert entdecken Seefahrer den Kontinent Aeternum, den sie zu erschließen beginnen, ehe mysteriöse Kreaturen und Kräfte den Eroberern in die Quere kommen. Spieler kämpfen gegeneinander, aber auch miteinander um Einfluss, Geld und Levelaufstiege.

Die Anlehnungen an die Kolonisierung des amerikanischen Kontinents, die in dieselbe Zeitspanne fällt, sind laut Zimmermann kaum zu übersehen. Neben nordamerikanisch geprägten Landschaften sei dies etwa an diversen Ausrüstungsgegenständen zu erkennen, die trotz Fantasy-Elementen klar verschiedenen "Eroberern" zuzuordnen sind. Das Gesicht auf dem Titelbild des Games trage unverkennbar einen Konquistadoren-Helm.

Ursprünglich könnte "New World" sogar viel stärkeren Bezug zur Kolonisierung Nordamerikas gehabt haben. In einem Leak fand sich auf der Karte noch eine Stadt namens Jamestown. So hieß auch die erste britische Siedlung auf dem Kontinent. Auch wenn es diese im fertig reifenden Spiel nicht mehr gibt und Aeternum eine Fiktion ist, sind laut Zimmermann noch viele Bezüge zu realen Geschichten enthalten.

Keine Ureinwohner sind auch keine Lösung

Grafische Inspiration aus der Geschichte ist weder neu in Games noch per se schlecht, wäre da nicht noch ein anderer Aspekt. Der Debatte um den oft brutalen Umgang der Neuankömmlinge aus der Alten Welt mit den Indianern schien Amazon entgehen zu wollen, indem man auf Aeternum (menschliche) Ureinwohner gar nicht erst vorkommen lässt. Damit reproduziere man aber ein falsches Argument für die aggressive Expansion der Eroberer, und zwar den Mythos der "unbewohnten Welt", "Terra Nullius". Zimmermann hätte es sinnvoller gefunden, Ureinwohner in das Spiel zu integrieren und friedliche Interaktionen anzubieten.

Der Internetriese scheint nicht auf Debatten wie diese eingehen zu wollen. Amazon scheine es "gar nicht zu mögen", wenn entsprechende Parallelen gezogen würden, berichtete Rocketbeans im Rahmen eines nicht gesponserten Let’s Play von "New World".

Popkultur als Bildungsmedium

Zimmermann wünscht sich hierfür größere Sensibilität. Denn nach Ende des Schulunterrichts werde Popkultur für solche Themen mehr und mehr zum "Hauptbildungsmedium für Menschen, um ihr Geschichtsbild zu prägen". Und im Falle des Amazon-MMOs würde man als Spieler jene Argumente wiederholen, die schon die Eroberer vorbrachten, um Amerika und seine ursprünglichen Bewohner unter ihre Herrschaft zu zwingen. (red, 30.8.2021)