Umweltschutz statt Kapitalismus – oder eher Umweltschutz durch Kapitalismus? Beim Forum Alpbach wurde debattiert, inwiefern ein gemeinsamer Kapitalmarkt helfen kann, die ehrgeizigen Klimaziele zu erreichen. Experten fordern auch ein Umdenken der Jugend.

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Wenn die Bürger der Europäischen Union in diesem Jahrzehnt die Herausforderungen des Klimawandels und der Digitalisierung bewältigen und ihre Wirtschaft innovativ, nachhaltig und wohlstandserhaltend umbauen wollen, dann reicht es bei weitem nicht, wenn sie nur ihr Konsumverhalten ändern und Maßnahmen gegen Treibhausgase setzen. Um dabei in Konkurrenz zu den USA und China erfolgreich sein zu können, brauchen sie vor allem enorme Mengen an Geld für Investitionen: tausende und abertausende Milliarden Euro, die die hochverschuldeten Staaten bzw. Regierungen nicht so ohne weiteres aufbringen können.

Dazu müssen die Europäer vor allem ihr Verhältnis zu Geldanlage, Finanzierung und Umgang mit Risikokapital drastisch verändern – im Sinne eines positiven Zugangs: mehr Risiko statt Sicherheit, Investitionen in Start-ups und große Umweltunternehmen statt Sparbuch und Lebensversicherung. Und das betrifft als Aufgabe vor allem die Jungen, die junge kritische Generation, die diese "neue Welt" der Green Deals, der volldigitalisierten Arbeitswelt und des Wohlstandserhalts erarbeiten muss.

Kapitalismus als Retter

Zugespitzt gesagt: Wer die Welt vor einer Klimakatastrophe retten will, der muss – ob er oder sie will oder nicht – in Europa dafür sorgen, dass ein neuer, "guter Kapitalismus" Einzug hält, ein gemeinsamer Kapitalmarkt der EU, die sich schon bei der Schaffung von Eurokrisenfonds und Bankenunion schwertat und -tut. Anders seien die ehrgeizigen Programme, die die EU-Kommission und immer mehr Regierungen diesbezüglich aufgesetzt haben, auch gar nicht zu finanzieren. "Und ich bin da optimistisch, ich vertraue da ganz auf die Jungen", sagte Andreas Treichl, der frühere Chef der Erste Bank und jetzige Präsident des Forum Alpbach, zum Auftakt der Wirtschaftsgespräche in Alpbach.

Bei einer Expertendiskussion mit ihm, dem Chef der Schweizer Großbank UBS und Ex-Chef der deutschen Bundesbank, Axel Weber, der für Kapitalmarkt zuständigen EU-Kommissarin Mairead McGuinness und der Thinktankerin Maria Demertzis von Bruegel in Brüssel konnte man einen ersten guten Einblick erlangen in diese neue Welt, in der viele Tabus infrage gestellt werden, das von den neoliberalen "bösen" Banken ebenso wie jenes von Umweltaktivisten, die den Kapitalismus angeblich als neoliberales Teufelszeug sehen müssten.

Sicherheit statt Risiko

Weber, der Deutsche, der aus Protest gegen die (weiche) Europolitik von Kanzlerin Merkel einst seine Berufung an die Spitze der Europäischen Zentralbank hingeworfen hatte, zeichnete ein eher düsteres globales Umfeld für die EU-Europäer. Die Welt sei gerade erst dabei gewesen, sich von der Finanzkrise zu erholen und aktuell die Einbrüche der Corona-Krise zu überwinden. Europa liege beim Aufschwung gut ein Jahr hinter China und den USA zurück. Dazu komme jetzt die Umweltkrise. Er verlangte daher "Klotzen statt Kleckern", die Europäer hätten durchaus die Chance, führend zu werden bei Investitionen in "grüne Technologien". Um wie viel Geld es dabei geht, sagte er gleich dazu: Es sollte ein billionenschwerer grüner Kapitalmarkt geschaffen werden – zehntausende Milliarden Euro, viel mehr als die gesamte Wertschöpfung der EU.

Wie soll das gehen? Indem man auf deutsche Einlagenbanken warte, die die Ersparnisse der Menschen ohne Zinsen verwalten, sei man auf dem Holzweg. Da könne man lange warten. Das Problem sei, dass die meisten Bürger in Europa seit Jahrzehnten mental darauf eingestellt seien, auf Sicherheit zu setzen statt auch Risiko einzugehen, wenn es um Geldanlage gehe.

Schweiz und Großbritannien

Die Folge: In Europa beträgt der Anteil des Risikokapitalmarkts nur 25 Prozent, das klassische Bankengeschäft mit Krediten verwalte 75 Prozent. Daher seien die USA im Bereich Digitales auch so weit vorn, weil dort viel mehr in junge, ideenreiche Unternehmen investiert werde. Nach dem Brexit 2020 hat sich das Problem verschärft, denn mit Großbritannien habe der größte europäische Markt für Risikokapital die Europäische Union verlassen. Und die Schweiz, so Weber, sei als zweitgrößter Kapitalmarkt Europas der EU gar nicht erst beigetreten. Nun sei es im globalen Geschäft aber so: "Entweder sie sitzen mit am Tisch, oder sie stehen auf der Speisekarte."

Logisch also, dass die EU-Europäer auf diesem Gebiet großen Nachholbedarf haben, den die EU-Kommission nach den Worten von Kommissarin McGuinness auch befriedigen wolle. Aber: Es sei "schwierig", denn es gebe eben keinen gemeinsamen EU-Kapitalmarkt, er sei national dominiert, mit vielen komplexen Regeln. Eine Kapitalmarktunion zu schaffen sei man gerade dabei.

Kapital für junge Unternehmen

Warum die nötig wäre, arbeitete Demertzis an einem konkreten Beispiel heraus: Gerade junge, innovative Menschen, Unternehmensgründer, würden von den Banken keine Startkredite bekommen, weil denen das Risiko zu hoch sei. Oft seien es die Eltern, die ihren Kindern dabei mit finanzieller Unterstützung auf die Beine helfen.

Das müsse nun neben dem Green Deal der EU in weit größerem Ausmaß durch Private passieren. "Das ist mit Risiken verbunden, aber eben auch mit Chancen", so Treichl. Eine Revolution sei dabei gar nicht nötig, es würde vorläufig schon reichen, wenn der Anteil des klassischen Bankengeschäfts auf 65 Prozent zurückgehe, die Finanzierung über den Kapitalmarkt auf 35 Prozent Anteil am Markt steige. Europa könnte führend werden beim Investment in Klimaschutz. Für eine solche intelligente Neubalancierung von Banken und Kapitalmarkt plädierte auch Thomas Wieser, früherer Chef der Euroarbeitsgruppe in Brüssel: "Wir brauchen einfach mehr Dynamik."

Das Geld dürfe also kein "neoliberaler Feind" als solcher sein, sondern ein Mittel, um das europäische Wohlstandsmodell zu erhalten und gleichzeitig die Klimaziele vorbildhaft umzusetzen, so der Tenor der Finanzmarktexperten. Und klar sei auch: Einzelne EU-Staaten müssten im Match mit den USA und China in diesem Rennen gar nicht erst antreten, weil sie von vornherein chancenlos seien. In diesem Match sei Größe ein entscheidender Faktor.

Gefahr des Greenwashing

Am Montag ging die EU-Kommissarin, die mehrere Tage in Alpbach weilt, vor Journalisten weiter ins Detail. "Allein um die Transformation im Energiesektor zu schaffen, sind bis 2030 jährlich 350 Milliarden Euro an Investitionen nötig", rechnete sie vor. Ohne privates Kapital werde der grüne Umbau nicht gelingen. Das Finanzsystem sei essenziell, wenn es darum geht, die ambitionierten Klimaziele in Europa auch zu erreichen.

Damit privates Kapital in klimafreundliche Innovationen fließen kann, braucht es allerdings auch ein Regelwerk. Welche Investitionen gelten als nachhaltig? Was ist Greenwashing? Daran arbeitet die EU-Kommission gerade, laut Kommissarin McGuinness sollen die entsprechenden Regeln bis Ende des Jahres formuliert sein. Unternehmen und Investoren wollen Sicherheit, sagte die Kommissarin.

Gerade im Energiesektor ist umstritten, was als nachhaltig eingestuft werden kann. Sie habe Verständnis dafür, wenn einzelne Mitgliedsstaaten ihren Markt nur schwer in kürzester Zeit von Kohle auf Erneuerbare umstellen können. Umstritten ist deshalb, wie Gas als Energieträger eingestuft werden soll, das von manchen EU-Ländern als notwendig für den Übergang eingestuft wird. Auch bei Atomenergie ist man sich uneins.

Finanzbildung

Damit privates Geld gut investiert ist, brauche es aber auch mehr Finanzbildung in Europa, sagte McGuinness: "Wir müssen mehr über Geld reden." Es brauche eine Bevölkerung, die mit Geld umgehen kann und ihren Bankberatern die richtigen Fragen stellt. Das sei schon allein deshalb wichtig, weil besonders Frauen und vulnerable Gruppen wegen fehlenden Finanzwissens auch sozial benachteiligt sind. (Thomas Mayer, Aloysius Widmann, 30.8.2021)