Anhand von Epithelzellen (das Zytoskelett ist orange, der Zellkern ist hellblau) konnten die Forscher eine deutliche Verlangsamung von biologischen Prozessen in schwerem Wasser beobachten.

Foto: Universität Leipzig

Lebende Zellen sind dynamische Systeme, deren komplexe biologische Prozesse bei gleichbleibenden Temperaturen in der Regel auch mit ähnlichen Geschwindigkeiten ablaufen. Will man diese Prozesse verlangsamen, muss man die entsprechenden Zellen kühlen. Nun aber hat ein internationales Forscherteam eine andere Möglichkeit identifiziert: Die Biophysiker um Josef Alfons Käs und Jörg Schnauß von der Universität Leipzig zeigten erstmals in Experimenten, dass sich Zellen in sogenanntem schwerem Wasser bei gleicher Temperatur wie in Zeitlupe verhalten.

Schweres Wasser, auch bekannt als Deuteriumoxid, besitzt statt der normalen Wasserstoffatome (deren Kerne aus einem Proton bestehen) schwere Wasserstoffatome des Isotops Deuterium mit einem Proton und einem Neutron im Kern. "Schweres Wasser kennen viele gemeinhin eher noch als wichtiges technisches Mittel aus Atomkraftwerken. Wir haben hier einen anderen Weg beschritten und konnten zeigen, dass sich die Zeit für Zellen beziehungsweise der Ablauf ihrer Dynamiken in Umgebungen mit schwerem Wasser deutlich verlangsamen lässt", sagt Käs.

Schutz vor Degeneration

Die Untersuchungen der Forscher haben auf verschiedenen biologischen Ebenen gezeigt, dass die Bewegung von Zellen und ihre Dynamik nur noch in Zeitlupe ablaufen. "Das interessante ist, dass zelluläre Dynamiken bei gleicher Temperatur verlangsamt werden können. Solche Möglichkeiten bietet im physikalischen Kontext bisher nur die Relativitätstheorie" erklärt Käs. Die im Fachjournal "Advanced Materials" erschienenen Resultate könnten dabei helfen, Zellen, Gewebe oder sogar ganze Organe länger vor Degeneration zu schützen.

Die Forscher bestätigten diesen Effekt mit einer Vielzahl komplementärer Methoden. Sie führten die Beobachtungen unter anderem auf eine erhöhte Interaktion zwischen den Strukturproteinen zurück. "Schweres Wasser bildet ebenfalls Wasserstoffbrückenbindungen aus, welche jedoch stärker sind als in normalen wässrigen Umgebungen. Hierdurch scheinen Strukturproteine wie Aktin stärker untereinander zu interagieren und sich immer wieder kurzzeitig zu verkleben", sagt Jörg Schnauß.

Wie tot

"Spektakulär ist hierbei, dass die Effekte reversibel sind und Zellen wieder ihre nativen Eigenschaften zeigen, sobald sie in ein normales wässriges Medium transferiert werden." Noch erstaunlicher sei aber demnach, dass sich die Veränderungen wie bei einem passiven Material verhalten, obwohl Zellen höchst aktiv und fernab vom thermodynamischen Gleichgewicht sind. "Verhalten sie sich wie ein passives Material, sind sie sonst eigentlich tot", meint Käs.

Wie die Wissenschafter zeigen konnten, ist dies jedoch in ihren Experimenten nicht der Fall. Sie hoffen nun, die gewonnenen Erkenntnisse nutzen zu können, um Zellen oder sogar Gewebe länger vital halten zu können. Sollte sich dieser Ansatz bestätigen, könnte schweres Wasser für längere Aufbewahrungszeiten, zum Beispiel während der Transplantation von Organen, genutzt werden. (red, 30.8.2021)