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Die Plattform Onlyfans, die derzeit etwa 130 Millionen Abonnent*innen und zwei Millionen aktive Nutzer*innen hat, sagte erst das Ende pornografischer Inhalte an – und machte dann einen Rückzieher.

Foto: REUTERS/Andrew Kelly

Es war eine Nachricht, die tagelang für Aufruhr in der Onlyfans-Community sorgte: Mitte August kündigte das Onlineportal an, explizit sexuelle Inhalte künftig von seiner Seite zu verbannen. Auf dem britischen Social-Media-Dienst mit Bezahlschranke tummeln sich Küchen-Influencer und einige Stars wie Rapperin Cardi B – es sind aber Sexarbeiter*innen, die die Marke erfolgreich gemacht haben. Explizite Inhalte werden auf Onlyfans per Abo und als Pay-per-View-Content verkauft, eine Messaging-Funktion sichert den direkten Kontakt mit den – überwiegend männlichen – Kund*innen. Rund 130 Millionen Abonnent*innen und zwei Millionen aktive Nutzer*innen hat das Unternehmen mit Sitz in London laut eigener Angabe – viele Sexarbeiter*innen schauen sich bereits nach Alternativen um. Und das, obwohl Onlyfans bereits wenige Tage nach der angekündigten Änderung der Nutzungsrichtlinien zurückruderte. Diese würde nun doch nicht mit 1. Oktober in Kraft treten, "Onlyfans steht für Inklusion, und wir werden auch weiterhin allen Kreativen ein Zuhause bieten", hieß es auf Twitter.

Boom der Online-Erotik

Einen wahren Boom bescherte Onlyfans erst die Pandemie: Angesichts fehlender Einnahmequellen fanden viele Sexarbeiter*innen dort vergleichsweise gute Bedingungen vor. Gänzlich unabhängig von Produktionsfirmen nehmen viele die Kamera selbst zur Hand, zwanzig Prozent der generierten Umsätze behält Onlyfans ein. Für besonders erfolgreiche User*innen ein sehr einträgliches Geschäft – so auch für Twerk Kitty. Die 27-Jährige lebt in Israel und filmt vom Wohnzimmer aus, so wie auf Onlyfans möchte sie auch in Interviews nur ihren Künstlernamen nennen. "Die Leute kommen nicht nur wegen der Pornos auf die Plattform, sie möchten auch das Gefühl haben, Teil meines Lebens zu sein", erzählt sie im STANDARD-Gespräch. Ihren Account bespielte Twerk Kitty anfangs mit gelegentlichen Nacktfotos, seit rund eineinhalb Jahren ist die Online-Sexarbeit ihr Vollzeitjob. Pornoclips produziert sie gemeinsam mit ihrem Partner, der auch als Kameramann und Cutter zum Einsatz kommt. "Anything kinky and fun" verspricht das Profil, auf dem Foto ist Twerk Kitty lächelnd mit rosa Katzenohren zu sehen.

Obwohl Onlyfans für die meisten Umsätze sorgt, haben die beiden sich längst auch auf anderen Plattformen registriert. "Gut möglich, dass Onlyfans den Bann nur verschoben hat. Ich kann anderen Produzent*innen nur raten, niemals auf nur eine Einnahmequelle zu setzen", sagt Kitty.

Mit Jesus gegen Pornografie

Man habe nun eine Einigung mit Zahlungsdienstleistern erzielt, begründete das Unternehmen selbst den raschen Rückzug vom geplanten Porno-Bann. Banken hätten Onlyfans unter Druck gesetzt, hatte Geschäftsführer Tim Stokely zuvor der "Financial Times" erzählt. Der Ärger der Community traf Onlyfans mit voller Wucht – zu Recht, wie Medienwissenschafterin Lisa Andergassen meint. "Der erst angekündigte Ausschluss ist Pornodarsteller*innen gegenüber höchst ungerecht", sagt Andergassen. So habe die Plattform ihr Geschäftsmodell auf expliziten Inhalten aufgebaut – und nun die Marktmacht, sie aufgrund des moralischen Backlashs abzustoßen.

Denn in den USA führt eine mächtige Lobby einen Feldzug gegen die Pornoindustrie: Es sind christlich-konservative Initiativen wie Exodus Cry, deren Mission das Ende von Menschenhandel und sexueller Ausbeutung ist – so die Selbstdarstellung. Beobachter*innen hingegen orten gut vernetzte Kampagnen der evangelikalen Rechten. Personen wie Laila Mickelwait, Gesicht der Trafficking-Hub-Kampagne, würden als Bindeglieder zu liberalen Kräften dienen, analysiert das US-Magazin "The New Republic". Im Zentrum der Anti-Porno-Kampagne stand zuletzt der Onlineriese Pornhub, wo Vergewaltigungsvideos ebenso wie Darstellungen Minderjähriger zu finden waren und Betroffene vom Unternehmen alleingelassen wurden. Pornhub löschte schließlich Millionen Videos, Mastercard und Visa beendeten ihre Zusammenarbeit.

Doch religiös inspirierte Pornogegner*innen kämpfen nicht für eine verantwortungsvolle Unternehmenspolitik und Opferschutz. Sexarbeit könne niemals selbstbestimmt sein und müsse per se verbannt werden, so die Haltung, die auch Anschluss für feministische Akteurinnen bietet.

Dirty Money

Mit Banken und Zahlungsanbietern haben indes nicht nur Konzerne wie Onlyfans zu kämpfen. "Seit einem halben Jahr können wir praktisch nichts mehr verkaufen", erzählt Patrick Catuz dem STANDARD. Gemeinsam mit Adrineh Simonian betreibt der Wiener Kulturwissenschafter Arthouse Vienna, eine kleine Produktionsfirma, die sich auf alternative, feministische Pornografie spezialisiert hat. Zwar sei die Nachfrage während der Pandemie sprunghaft angestiegen, doch immer wieder kündigten Zahlungsanbieter ihren Vertrag mit der Produktionsfirma. "Es heißt dann immer, sie würden ihre AGBs ändern und müssen uns erst überprüfen." Catuz ist überzeugt, dass der politische Backlash gerade die gesamte Branche trifft. "Diese Entwicklung wird als Erstes Einzelunternehmer*innen und kleine Firmen treffen, gerade jene, die sich bemühen, die Pornoindustrie zu verändern", sagt Catuz.

Auch wenn eine schlagkräftige Lobby fehle – die Solidarität unter Onlyfans-Produzent*innen sei stark, erzählt Twerk Kitty. Auch die Porno-Influencerin musste bereits die Hausbank wechseln. Nachdem sie einem Wohnungseigentümer offen von ihrer Arbeit erzählt hatte, verweigerte dieser dem Paar einen Mietvertrag. "Uns trifft auf jeden Fall ein Stigma", sagt Twerk Kitty.

Wie groß die Abwertung ist, zeigte sich im Fall von Onlyfans auch auf Twitter. Frauen müssten nun erstmals arbeiten, statt sich online auszuziehen, posteten unzählige User hämisch, darunter prangten Fotos von McDonald's-Filialen und Bewerbungsformularen.

Kampf gegen die Stigmatisierung

"Sexarbeit wird nach wie vor nicht als Arbeit gesehen", sagt Janina Vivianne. Die Wienerin ist Sex-positive-Aktivistin und Eventorganisatorin, fehlende Einnahmen während der Lockdowns motivierten auch sie dazu, sich an pornografischen Inhalten zu versuchen. Was Janina Vivianne vor der Kamera macht, darüber wissen selbst ihre Großeltern Bescheid – keine Selbstverständlichkeit, erzählt die Aktivistin. Die eigene Identität bestmöglich zu schützen gehöre zum Alltag von Sexarbeiter*innen, sagt sie, viele fürchteten Konsequenzen im Job oder auch im privaten Umfeld.

Janina Vivianne, die auch eine Ausbildung zur Sexualpädagogin absolviert, kämpft an vielen Fronten gegen diese Stigmatisierung. "Wenn ich etwas freiwillig tue, hat niemand das Recht, darüber zu urteilen. Mich empowert es, das zu tun, was ich liebe", sagt sie. Auch die Performerin wurde bereits zweimal auf Paypal gesperrt, regelmäßig wird sie von sozialen Netzwerken verwarnt.

Nacktfotos werden auf vielen Plattformen streng moderiert, seit Jahren ist die Debatte um Zensur und Jugendschutz im Netz am Kochen. "Jugendschutz im Netz und der Schutz vor Ausbeutung sind enorm wichtige Anliegen. Aber mit der Verdrängung und Stigmatisierung von Darsteller*innen wird man das bestimmt nicht erreichen", sagt Medienwissenschafterin Andergassen. (Brigitte Theißl, 31.8.2021)