Chinas Klimaziel sei viel ambitionierter als jedes bisher von der EU vorgeschlagene, sagt der Klimaökonom Gernot Wagner. Im Rahmen des Forum Alpbach erklärte er, warum ein CO2-Preis wichtig, aber kein Heiliger Gral ist und wieso das Leben im Speckgürtel besonders schlecht für das Klima ist.

STANDARD: In Österreich soll es ab 2022 einen CO2-Preis geben. Aus Sicht eines Ökonomen: Wie hoch sollte dieser sein?

Wagner: Hunderte von Euro, im Idealfall von Anfang an. Es geht vor allem auch darum, das Nichtwissen zu bepreisen. Je höher die Ungewissheiten sind, desto höher sollte der Preis sein. Aber selbst das, was wir berechnen können, zeigt, dass jede Tonne CO2 für die Gesellschaft soziale Kosten in der Höhe von mindestens 100 Euro verursacht.

Weniger Straßen, mehr Öffis und eine City-Maut – so lautet die Vision des Wissenschafters.
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STANDARD: Finanzminister Gernot Blümel hat anklingen lassen, dass der Startpreis bei 25 Euro je Tonne liegen könnte. Was sagen Sie dazu?

Wagner: 25 Euro sind besser als null Euro. Die Frage ist allerdings, was zusätzlich geplant ist. Ein CO2-Preis wird oft als Heiliger Gral der Klimapolitik bezeichnet. Es reicht aber nicht zu sagen: Wir machen einen CO2-Preis, und das war’s. Eine Steuer allein tut es nicht, wir brauchen auch neue Standards und Lenkungsmaßnahmen.

STANDARD: Spritpreise sind im Jahresvergleich um 20 Prozent gestiegen, es wurde aber gleich viel gefahren wie vor der Pandemie. Der höhere Preis hatte offenbar keinen Lenkungseffekt.

Wagner: Das ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, dass es um viel mehr geht als nur den Preis: Wir müssen endlich aufhören, Straßen zu bauen. Wir brauchen eine City-Maut für Wien. Öffis müssen ausgebaut werden. Österreich hat doppelt so viel Straßenkilometer pro Person wie Deutschland und die Schweiz. Wir brauchen tatsächliche Kostenwahrheit. Das Pendeln mit dem Auto vom Tullnerfeld nach Wien sollte zum Beispiel viel mehr kosten, damit die tatsächlichen gesellschaftlichen Kosten in die persönliche Entscheidung miteinbezogen werden.

STANDARD: Die Klimadebatte wird häufig als Stadt-Land-Konflikt geführt. Wie kann das gelöst werden?

Wagner: Es geht nicht um Stadt gegen Land. Das Problem sind Vororte, Satellitenstädte, Schlafstädte – der Speckgürtel. Die Vision, dass jeder 300 Quadratmeter im Grünen bekommt, ist verkehrt. Die Emissionen eines durchschnittlichen Stadtbewohners sind um die Hälfte bis zwei Drittel niedriger als von jemandem, der im Speckgürtel wohnt. Auf dem Land vom Land zu leben, ist fantastisch. Dafür müssten allerdings Ortskerne revitalisiert werden.

Wagner ist für eine rasche Einführung eines CO2-Preises.
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STANDARD: Die ÖVP sagt, Klimaschutz sei ohne Verzicht möglich. Wie sehen Sie das?

Wagner: 40 Prozent der ärmsten Österreicher haben kein Auto und hängen vom öffentlichen Verkehr ab. Das ist kein freiwilliger Verzicht, sondern ein finanzieller Zwang. Eine Politik, die ein Leben ohne Auto ermöglicht, ein Leben in einem dichteren Raum in Städten und in Ortskernen, ist auch eine äußerst progressive und prosoziale Politik. Es geht im Grunde um eine neue und bessere Vision davon, wie ein gutes Leben aussehen kann. Mit Verzicht hat das kaum etwas zu tun.

STANDARD: Und wie sieht es mit Verboten aus? Braucht es ein Enddatum für den Verbrenner?

Wagner: Ja, natürlich. Je schneller, desto besser. Die Technologien gibt es. Nur Nein zu sagen, reicht aber nicht, es müssen auch Alternativen geschaffen werden. Das bedeutet Zug, Bus und Rad ebenso wie Infrastruktur für E-Mobilität, die auch subventioniert werden muss. Es weiß jeder, in welche Richtung es gehen muss …

STANDARD: dennoch wird nicht entsprechend gehandelt. Warum nicht?

Wagner: Als Kanzler kenne ich die Prokuristen der größten Unternehmen im Land und habe ihre Handynummern. Ich kenne aber nicht jene, die von den Klimaschutzmaßnahmen, von den vielen neuen Jobs profitieren, und habe auch nicht ihre Nummern. Es geht also um das persönliche Interesse und um Einfluss. Die Frage ist, ob der Prokurist auf der Bremse steht oder den Sprung wagt, eine Führungsrolle in der nachhaltigen Produktion einzunehmen.

STANDARD: Oft heißt es, dass Unternehmen gerade wegen einer rigideren Klimapolitik abwandern würden. Reicht ein CO2-Preis, oder ist auch ein EU-weiter Klimazoll notwendig?

Wagner: Wenn es darum geht, die Zukunft Österreichs zu sichern, muss man einen CO2-Preis absegnen. Wir müssen alles tun, um uns als Land auf eine CO2-arme Zukunft vorzubereiten. Da wäre es das Beste, früher dran zu sein als unsere Nachbarn und einen höheren Preis zu haben – ein positiver Wettbewerb also. Werden wir als Österreich das Weltklima retten? In Isolation allein natürlich nicht. Darum geht es aber auch nicht. Es geht darum, andere dazu zu motivieren, einen CO2-Preis zu unterstützen. Der EU-weite Klimazoll ist dabei ein extrem wichtiges Instrument, seine Einführung nur eine Frage der Zeit. Du willst Zugang zu 400 Millionen Europäern? Gerne, aber du bezahlst den entsprechenden Preis.

STANDARD: Kann Europa allein so viel ausrichten? In China sind hunderte Kohlekraftwerke in Planung.

Wagner: Natürlich wäre es besser, die Kohlekraftwerke nicht zu bauen. Chinas Emissionen steigen derzeit noch und werden bis vor 2030 ihren Höchstpunkt erreichen. Insgesamt will das Land 2060 klimaneutral sein. Chinas Klimaziel ist viel ambitionierter als jedes Klimaziel der EU. In Österreich sind die Emissionen seit 1990 gestiegen. Wir waren 1990 aber fast doppelt so reich, wie China es jetzt ist. Und dennoch sind unsere Emissionen gestiegen. Österreich ist das letzte Land, das mit dem Finger zeigen darf.

STANDARD: Welche Rolle soll Nuklearenergie beim Umstieg spielen?

Wagner: Aus reiner CO2-Sicht ist Nuklearenergie die dichteste: Auf dem kleinsten Raum, mit der geringsten Bodenversiegelung kann am meisten Energie produziert werden. Es ist natürlich keine ideale Niedrigemissionstechnologie. Es ist die ultimative nichterneuerbare Energie. Doch trotz aller Probleme: Falls die Alternative zu einem modernen, sicher gebauten modularen Nuklearreaktor ein neues Kohlekraftwerk ist, dann bitte die Nuklearenergie. (Nora Laufer, 31.8.2021)