Hat der Aufsichtsrat seine Pflicht getan? Der Bestellungsvorgang sei an Intransparenz kaum zu überbieten, sagt der ehemalige ÖIAG- und Austrian-Industries-Vorstand Claus J. Raidl im Gastkommentar. Lesen Sie dazu auch die Repliken von Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger und Ex-OMV-Aufsichtsratschef Wolfgang C. Berndt.

Die Wirtschaftsanwältin Edith Hlawati wird Alleinvorständin der durch die Chataffäre in die Schlagzeilen geratenen Öbag.
Foto: APA / Öbag / Georg Wilke

Versprochen wurde laut Presseaussendung der Öbag vom 15. Juni 2021 ein transparenter Besetzungsprozess für die Suche nach dem neuen Einzelvorstand der Staatsholding Öbag. Der Vorgang war jedoch – wie man jetzt sieht – nicht transparent. Offensichtlich hat das Nominierungskomitee aus (angeblich) 123 Kandidaten dem Aufsichtsrat nur eine Person vorgeschlagen, die dann auch einstimmig gewählt wurde.

Dieser Vorgang ist an Intransparenz nicht zu überbieten, er erinnert an die Steinzeit der Verstaatlichten Industrie (1946–1985), als ein Parteienvertreter oder Minister, manchmal sogar der Bundeskanzler, bestimmte, wer Generaldirektor eines Staatsbetriebs wurde. In der Öbag macht das jetzt offensichtlich der Vorsitzende des Aufsichtsrats (mit einem Nominierungskomitee).

Heißt das, dass der Gesamtaufsichtsrat (neun Mitglieder) nur diesen einen Kandidaten gesehen und dann sofort zugestimmt hat? Unglaublich! Es stellt sich die Frage, ob die sechs Aufsichtsräte, die nicht im Nominierungskomitee waren, durch dieses Verhalten eine (grobe) Pflichtverletzung nach dem Aktienrecht begangen haben, weil sie sich kein eigenständiges Bild über die Möglichkeiten der Besetzung des Vorstandes gemacht haben.

Aufsichtsrätliche Pflicht

Es genügt nämlich nicht, dem Nominierungskomitee zu vertrauen, jeder Aufsichtsrat hat die Pflicht, sich ein eigenes Bild über die besten Bewerberinnen und Bewerber zu machen. Das Nominierungskomitee kann eine Vorauswahl treffen, aber die Bestellungskompetenz (Auswahl) obliegt dem gesamten Aufsichtsrat. Es ist zu überlegen, über dieses Verhalten der sechs Mitglieder des Aufsichtsrats eine Sachverhaltsdarstellung an die Strafverfolgungsbehörden und an das Handelsgericht zu übermitteln, um die Rechtmäßigkeit der dann erfolgten Bestellung zu überprüfen.

In der Stellenausschreibung wird neben Integrität, strategischer Konnotation, Aufsichtsratserfahrung auch Managementkompetenz erwartet. Wo ist die bewiesene Managementkompetenz bei einer ohne Zweifel exzellenten Juristin, die aber nie eine operative Tätigkeit in einem Industrieunternehmen ausgeübt hat?

"Managementkompetenz erwirbt man nicht, wenn man eine Rechtsanwaltskanzlei leitet."

Was heißt überhaupt Managementkompetenz? Managementkompetenz erwirbt nicht, wer als Berater zuschaut, auch nicht, wenn man als Aufsichtsrat kontrollierend tägig ist, und auch nicht, wenn man als Rechtsanwalt Ratschläge gibt (meistens mit 100 "Wenn und Abers"). Managementkompetenz erwirbt man nur, wenn man selbst als Führungskraft oder Vorstandsdirektor Entscheidungen treffen und diese dann auch verantworten muss. Solche Entscheidungen werden immer unter Unsicherheit und oft mit großem Risiko getroffen, aber das ist Unternehmertum. Managementkompetenz verlangt die Verantwortung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, das Führen derselben, Budgetziele zu erreichen, Investitionen umzusetzen und letztlich das Ergebnis zu verantworten.

Bei aller Wertschätzung der bestellten Einzelvorständin, Managementkompetenz erwirbt man nicht, wenn man eine Rechtsanwaltskanzlei mit 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern leitet. Die Welt der Industrie ist eine andere. Manager müssen Chancen erkennen und strategische Entscheidungen treffen. Ihre Tätigkeit in ÖIAG, Öbag, Telekom, Post und wo auch immer taugen nicht als Beleg.

Beispiel Telekom Austria

Dazu ein Beispiel: Bei der Telekom Austria gab es im Jahr 2004 Bonusauszahlungen für Vorstandsmitglieder und rund hundert Führungskräfte, wenn (neben anderen Bedingungen) der Aktienkurs an einem vorher festgesetzten Tag einen vorher bestimmten Kurs erreicht. Tatsächlich wurde der Kurs nur an jenem Tag erreicht, der Bonus wurde ausbezahlt. Ich habe damals in einem Interview in einem Wochenmagazin darauf hingewiesen, dass dieser Kurs nur durch Manipulation erreicht werden konnte, da der Kurs Wochen vorher (und nachher) nie diese Schwelle überschritten hat – außer an diesem Tag und wenige Minuten vor Handelsschluss.

Ich habe damals vorgeschlagen, den Begünstigten den Bonus nicht auszuzahlen, sondern sich von den Begünstigten klagen zu lassen. Was hat der Aufsichtsrat der Telekom unter juristischer Beratung von Frau Dr. Hlawati (wie man mir gesagt hat) gemacht? Man hat nicht unternehmerisch gehandelt, sondern eine Auszahlung vorgenommen, wobei jeder Begünstigte unterschreiben musste, dass er zurückzahlt, falls Unregelmäßigkeiten zutage kommen.

Unternehmerische Entscheidung

Wie sich später im Telekom-Korruptionsprozess herausstellte, gab es massive Kursmanipulationen, die – wie vermutet – von Telekom-Vorstandsmitgliedern in Auftrag gegeben worden waren. Warum erzähle ich diese Geschichte? Weil die unternehmerische Entscheidung, die knapp zehn Millionen Euro nicht auszuzahlen, im Interesse des Unternehmens gewesen wäre, die juristische Entscheidung, kein Risiko zu nehmen, aber die Gefahr in sich birgt, Geld zu zahlen, das man nie wieder bekommt.

Der Aufsichtsratsvorsitzende der Öbag sagt, die Managementqualifikation von Frau Hlawati können wir abhaken. Das sehe ich aus den angeführten Gründen nicht so. Offensichtlich hat der Herr Aufsichtsratspräsident eine andere Definition von Managementqualifikation. Da in der Ausschreibung die Managementqualifikation doch eine sehr wichtige Voraussetzung ist, müsste man eigentlich die Frage stellen, ob die Bedingungen für die Bestellung erfüllt wurden.

Eine Doppelstrategie?

Aber vielleicht wird in der Öbag in Zukunft eine Doppelstrategie gefahren:

Frau Hlawati wurde bestellt, und der Herr Aufsichtsratsvorsitzende wird bei entscheidenden Verhandlungen beispielsweise mit sicher nicht einfachen Syndikatspartnern (Telekom, OMV, Casinos) persönlich dabei sein, um die fehlende Managementerfahrung einzubringen. Sollte dies tatsächlich der Fall sein, so stünde dies im eklatanten Widerspruch zum Aktiengesetz. Nach Paragraf 70 Aktiengesetz hat der Vorstand unter eigener Verantwortung die Gesellschaft zu leiten. Der Aufsichtsrat ist dabei nicht genannt. (Claus J. Raidl, 31.8.2021)