Lernen unterm Abluftschirm: Forschende des Max-Planck-Instituts für Chemie haben eine günstige Lüftungsanlage zum Selbstbau entwickelt.

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In einer Woche ist es im Osten Österreichs so weit, sieben Tage später heißt es dann auch für alle anderen Schülerinnen und Schüler wieder: Ab in die Schule! Gestartet wird mit einer dreiwöchigen "Sicherheitsphase" mit drei Corona-Tests pro Woche. Danach hängt die Testpflicht von der Risikolage ab, und es gilt die Drei-G-Regel.

Die "Risikolage" ist die große dunkle Wolke, die (nicht nur) über den Schulen schwebt. Die Infektionszahlen steigen und steigen, die Zahlen der Covid-Patientinnen und -Patienten in den Spitälern ebenso, im Gegenzug geht es mit der Impfquote stetig bergab – und der "Saisonalitätsfaktor" des Sommers löst sich jeden Tag mehr in Luft auf. Und dann? Der nächste Lockdown im Herbst mit den Schulen als "Speerspitze" der Pandemiebekämpfung?

Vor diesem Szenario graut vielen. Auch der WHO und dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (Unicef). Deren Regionalbüros für Europa und Zentralasien meldeten sich am Montag mit dem dringenden Appell, die Schulen offen zu halten und die Millionen Kinder, für die jetzt wieder der Schulalltag beginnt – noch immer unter Pandemiebedingungen, verschärft durch die Delta-Variante –, durch "geeignete Maßnahmen zur Minimierung der Übertragung des Virus wirksamer zu schützen".

Lernen im Klassenzimmer

Denn, so formulierte es der WHO-Regionaldirektor für Europa, Hans Henri P. Kluge: "Die Pandemie hat zur verheerendsten Beeinträchtigung des Unterrichts in unserer Geschichte geführt. Daher kommt es entscheidend darauf an, dass in der gesamten Europäischen Region der WHO das Lernen im Klassenzimmer ohne weitere Unterbrechungen fortgesetzt wird. Dies ist von entscheidender Bedeutung für die Bildung, die psychische Gesundheit und die sozialen Fähigkeiten unserer Kinder und dafür, dass sie in den Schulen zu zufriedenen und produktiven Mitgliedern der Gesellschaft heranreifen können."

Kinder hätten in den vergangenen 20 Monaten unter der Pandemie "massiv gelitten", sagte der WHO-Europa-Direktor am Montag dann noch bei einer Pressekonferenz in Kopenhagen. Dort warnte Kluge auch vor einem starken Anstieg der Corona-Infektionen. Allein bis 1. Dezember werde demnach in der Europa-Region mit 236.000 Todesfällen durch Covid-19 gerechnet.

Impfen, lüften, testen

Zu den Maßnahmen, um die Schulen offenzuhalten, gehören laut WHO Impfangebote für Lehrpersonal und Kinder ab zwölf Jahren, gute Lüftung in den Klassenzimmern, möglichst kleine Klassen, Abstand halten und regelmäßiges Testen. Zum Thema Impfen hieß es in der schriftlichen Stellungnahme von WHO und Unicef: "Wer ein Impfangebot erhält, muss dieses wahrnehmen und dafür sorgen, dass er vollständig geimpft ist."

Auch für den österreichischen Simulationsforscher Niki Popper von der TU Wien ist mit Blick auf Kinder und Jugendliche klar: "Das darf nicht mehr passieren. Schulen zu schließen, kann keine Option sein", sagt er im STANDARD-Gespräch.

Was aber muss geschehen, damit wir im Herbst nicht wieder in ein Lockdown-Szenario stolpern, dessen erste "Schließungsopfer" wohl wieder die Schulen wären?

Niederschwellig impfen statt Impfpflicht verordnen

"Niederschwellig impfen" nennt Popper – wie auch WHO und Unicef – als erste Maßnahme, und natürlich weiterhin systematische Corona-Tests in Schulen, mit denen positiv Getestete "herausgeholt werden".

Von einer Impfpflicht hält der Wissenschafter nichts. Diese führe eher dazu, dass sich Menschen, die in der Impffrage unsicher seien, dagegen entscheiden. Stattdessen brauche man dringend eine "klare, konsistente Kommunikation". Zumal das freiwillige Impfpotenzial noch gar nicht ausgeschöpft sei, wie funktionierende Modelle wie der Impfbus in Niederösterreich oder spezifische Angebote in Wien zeigten: "Die Hauptnachricht muss sein: Impfen, weil das ist das Einzige, das hilft."

Inzidenz unter Ungeimpften doppelt so hoch wie allgemeine Inzidenz

Aber das erfordere auch "klare Ziele", die die Politik benennen und dann auch verfolgen müsse, betont Popper, der auch dem Covid-Prognose-Konsortium angehört.

Welche "Klarheit" meint er? Etwa einen differenzierten Blick auf Inzidenzen, nämlich abhängig vom Immunisierungsstatus der Betroffenen. Der gibt sehr aufschlussreiche Hinweise, nicht zuletzt für die (persönliche) Impfentscheidung, wenn man zum Beispiel Folgendes weiß: Mit dem Stand vom 20. August lag die allgemeine Sieben-Tage-Inzidenz, also wie viele neu bestätigte SARS-CoV-2-Infektionen es innerhalb der letzten sieben Tage pro 100.000 Menschen gab, bei 81, bei den "Nichtgenesenen und Nichtgeimpften" jedoch war sie fast doppelt so hoch. In dieser Gruppe steckten sich von 100.000 Personen also in einer Woche 160 mit dem Virus an. Wohingegen es bei den Vollgeimpften nur 27 waren, ähnlich bei den Genesenen. (Lisa Nimmervoll, 30.8.2021)