Während die militärische Luftbrücke aus Afghanistan endet, geht der Terror weiter.

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Der UN-Sicherheitsrat hat in der Nacht auf Dienstag den Druck auf die Taliban erhöht. Er beschloss bei seiner Sitzung in New York eine Resolution, in der die Radikalislamisten aufgefordert werden, Afghanen auch nach dem Ende des ausländischen Einsatzes weiter ungehindert ausreisen zu lassen. Man erwarte, "dass die Taliban diese und alle anderen Verpflichtungen einhalten", heißt es. Die neuen Machthaber in Kabul werden dabei auch an ihre bisherigen Versprechungen erinnert.

Ebenfalls hervorgehoben wird die Notwendigkeit für ungehinderten humanitären Zugang sowie die Wahrung der Menschenrechte, insbesondere "der Rechte von Frauen, Kindern und Minderheiten".

Die Resolution wurde mit zwei Enthaltungen angenommen. Russland und China enthielten sich der Stimme, legte aber auch kein Veto ein. Frankreich und Großbritannien hatten zuvor eine weiterreichende Resolution vorgeschlagen. Mit dieser wäre die Einrichtung einer UN-Sicherheitszone in Kabul gefordert worden, um den Menschen dort eine sichere Ausreise zu garantieren. Die Taliban lehnten den Vorschlag aber ab, auch im Sicherheitsrat zeichnete sich keine Mehrheit dafür ab.

Raketenangriffe auf den Flughafen

Kurz vor dem Ende der Luftbrücke aus Afghanistan war der der Flughafen Kabul zuvor erneut zum Ziel islamistischen Terrors geworden. Bis zu fünf Raketen wurden laut US-Angaben Montagfrüh auf das Gelände abgefeuert, konnten jedoch von einem Raketenabwehrsystem abgefangen werden. Der IS-K bekannte sich via Telegram-App zu dem Angriff. Die "Soldaten des Kalifats" hätten sechs Katjuscha-Raketen abgefeuert.

Am Sonntag töteten die USA mit einem Drohnenangriff einen Selbstmordattentäter in einem Wagen, der für den IS-K einen Anschlag auf den Flughafen vorbereitet haben soll. Dabei sei es anschließend zu mehreren starken Explosionen gekommen, was darauf hindeute, dass das Fahrzeug wohl mit Sprengstoff beladen gewesen sei, teilte das US-Zentralkommando mit. Berichte über betroffene Zivilisten würden untersucht.

Taliban gegen Angriff auf Terrorist

Die Taliban kritisierten die Ausschaltung des Terroristen als widerrechtlich. Das Fenster für die Evakuierungen aus Kabul schließt sich am Dienstag mit dem Abzug der letzten US-Soldaten. Taliban-Führer Hibatullah Akhundzada befindet sich nach Angaben der Radikalislamisten mittlerweile in Afghanistan.

Afghanistans Nachbarn wollen sich unter Einbindung von Russland und China auf eine gemeinsame Position zu den neuen Machthabern verständigen. Russlands Botschaft in Kabul erklärte die Bereitschaft, Anträge von Ausreisewilligen anzunehmen. Dazu seien zusätzliche Flüge geplant. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schlug unterdessen eine Sicherheitszone in Kabul unter UN-Führung vor. Paris, London und Washington arbeiten an einer gemeinsamen Resolution im Sicherheitsrat der UN.

Nach dem Fall Afghanistans richtet sich der Fokus des Westens auf die zentralasiatischen Nachbarn. Mit Usbekistan, Turkmenistan und Tadschikistan konferierten am Montag Regierungsmitglieder aus Dänemark, Deutschland und Griechenland, für Österreich nahmen Außenminister Alexander Schallenberg und Innenminister Karl Nehammer teil. Für Griechenland und Dänemark nahmen an der Konferenz die Migrationsminister Notis Mitarakis und Mattias Tesfaye teil, für Deutschland Innenstaatssekretär Helmut Teichmann. Die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson war eingeladen, sagte jedoch ab.

Drei Ziele

Die Konferenz habe drei Ziele, erklärte Schallenberg: Man wolle sich ein Bild von der Lage in den nördlichen Nachbarstaaten Afghanistans machen, die Einschätzung der Situation durch die dortigen Behörden erfahren und den humanitären Bedarf eruieren.

Österreich habe 18 Millionen Euro an Hilfsgeldern freigegeben, es handle sich um die bisher größte Einzel-Soforthilfe. Die Gelder sollen unter anderem dem UNHCR und der Organisation UN Women zugutekommen. Es sei wichtig, weiterhin vor Ort präsent zu sein. Schallenberg forderte, die Uno solle eine Geberkonferenz einberufen.

Nehammer sagte, Österreich richte klare Angebote in den Bereichen Grenzschutz, Terrorbekämpfung und sicherheitspolitische Ausbildung an die drei zentralasiatischen Staaten. Mit inhaltlicher Beratung und Know-how-Transfer solle die Stabilität der Region sichergestellt werden. Man wolle nicht nur über Verhinderung von Massenmigration sprechen, sondern konkrete Taten setzen.

Nehammer übte diesbezüglich scharfe Kritik an Johansson, die Griechenland für seine Grenzschutzmaßnahmen rügte. Die dem linken Spektrum zuzurechnende Johansson solle den Fokus auf die Hilfe vor Ort und auf den Schutz der europäischen Grenzen richten. Auf eine Frage nach der Idee, Abschiebezentren in den Nachbarländern Afghanistans einzurichten, sagte Nehammer, dies sei ein sekundäres Thema, das zwar nach wie vor wichtig sei, es handle sich jedoch um keine österreichische, sondern eine EU-weite Frage. Es sei im gesamteuropäischen Interesse, gegen die organisierte Kriminalität und Schlepperei vorzugehen – diese und der Terrorismus würden einander gegenseitig bedingen. Vorrangig seien derzeit aber die Hilfe vor Ort und das Setzen vertrauensbildender Maßnahmen. Dabei seien Österreichs lange Beziehungen zu den zentralasiatischen Partnern hilfreich.

Taliban wollen Straffällige zurücknehmen

Indes hat sich die innenpolitische Debatte zu Abschiebungen nach Afghanistan um eine Stimme von außen erweitert, und zwar nach einem Interview eines leitenden Taliban mit der "Kronen Zeitung": Zabihullah Mujahid, Sprecher der Bewegung, hat die Rücknahme nicht asylberechtigter und möglicherweise straffälliger Afghanen aus Österreich und Deutschland zugesichert. "Ja. Sie würden einem Gericht vorgestellt werden. Das Gericht muss entscheiden, wie es mit ihnen weitergeht", sagte Mujahid in dem Interview. Freilich: Gerade angesichts der Perspektive auf ein solches Taliban-Gericht scheint die tatsächliche Abschiebung aber vorerst unwahrscheinlich.

Zu erwarteten Flüchtlingsbewegungen aus Afghanistan sagte der Taliban-Sprecher: "Wir sind nicht froh darüber, dass die Leute Afghanistan verlassen. Sie sollten bleiben. Jenen, die sich sorgen, versuchen wir die Angst zu nehmen. Wir sind nicht glücklich darüber, wenn Afghanen ins Ausland gehen."

Evakuierung per Landweg

Zu möglichen weiteren Evakuierungen aus Afghanistan erklärte Schallenberg, Österreich habe bisher 109 österreichische Staatsbürger oder Personen mit österreichischem Aufenthaltstitel aus Afghanistan gebracht. Täglich meldeten sich jedoch weitere Personen, die um Hilfe ersuchen. Dabei handle es sich meist um Inhaber einer Rot-Weiß-Rot-Card, über weitere zurückgebliebene Staatsbürger wisse er im Moment nichts, meinte Schallenberg. Die Bemühungen der Behörden gingen weiter, die Feststellung der Identitäten sei aber schwierig und könne nur im direkten Kontakt erfolgen. Da der Flughafen von Kabul außer Betrieb ist, bleibt derzeit nur der Landweg. (Michael Vosatka, 30.8.2021)