Alfred Stern, vormals Chef der OMV-Tochter Borealis, löst am Mittwoch Rainer Seele im Chefsessel von Österreichs größtem Industriekonzern ab. Er will die OMV in ruhigeres Fahrwasser bringen.

Anfang Juni ist die Entscheidung über die Nachfolge an der Spitze der teilstaatlichen OMV und damit auch über die Richtung gefallen, in die sich Österreichs größter Industriekonzern bewegen wird. Alfred Stern (56), der am Mittwoch den aus Deutschland stammenden Manager Rainer Seele als OMV-Chef ablösen wird, steht für den von seinem Vorgänger eingeschlagenen Weg. Mineralölkonzern – das war einmal die passende Beschreibung für die OMV; Chemiekonzern mit eigener Öl- und Gasproduktion – das trifft es künftig wohl besser.

Dennoch ist nicht gesagt, dass Stern, der aus der Steiermark stammt und internationale Erfahrung unter anderem beim US-Chemiekonzern Dupont gesammelt hat, die vor seiner Zeit getroffene Weichenstellung nicht um ein paar Grad verändert. Er will sich jedenfalls, wie er zuletzt durchklingen ließ, um eine Strategie bemühen, mit der sich möglichst viele, um nicht zu sagen alle, identifizieren können. Das ist auch dringend notwendig.

Mehr Chemie

Zwar steht die OMV finanziell stärker da als je zuvor, was auch an dem von Seele eingeschlagenen Kurs einer stärkeren Chemielastigkeit liegt. Die Erhöhung des Anteils am Kunststoffkonzern Borealis, der seit vorigem Herbst zu 75 Prozent der OMV und zu 25 Prozent dem OMV-Mitaktionär Mubadala aus Abu Dhabi gehört (vorher 64 Prozent Mubadala und 36 Prozent OMV), hat für einen kräftigen Schub beim OMV-Ergebnis gesorgt. Die Ertragskraft hat sich fast verdoppelt.

Nichtsdestotrotz gibt es noch immer stark divergierende Interessen zwischen einzelnen Bereichen innerhalb der OMV. Daran wird auch der Wechsel von Seele zu Stern so rasch nichts ändern. Die Erdöl- und Gasleute in der OMV befürchten einen gravierenden Machtverlust, wenn künftig Geld verstärkt in die Verlängerung der Wertschöpfungskette fließen wird. Animositäten, die zum Teil seit vielen Jahren bestehen, sind schwer aufzulösen, und Intrigen, die es zuletzt in der OMV massenhaft gegeben hat, haben meist eine lange Halbwertszeit.

Wenn einer Brücken schlagen kann, dann Stern, sagen Leute, die den früheren Marathonläufer (Bestzeit: 3:40 Stunden) näher kennen. Zuhören können, auf Menschen zugehen – auch das wird als Wesensmerkmal des Doktors der Montanwissenschaften genannt.

Rückzugsregion Steiermark

Geboren im südsteirischen Wagna ist Stern in Kitzeck im Sausal (bei Leibnitz) als Sohn des Dorfarztes aufgewachsen. Soweit es die Zeit erlaubt, zieht es ihn noch immer dorthin zurück, zumal es auch noch verwandtschaftliche Verbindungen gibt. Diese Rückzugsmomente seien aber, zugegeben, derzeit kaum bis gar nicht gegeben. "Leider", wie Stern betont. Zurzeit seien diese so wichtigen "kleinen Fluchten" wegen der vielen drängenden Probleme, die es zu lösen gelte, "nicht drin".

Stern hat an der Montanuniversität Leoben Kunststofftechnik studiert. Sein Einstieg ins Berufsleben erfolgte 1996 bei Dupont, einem der größten Chemiekonzerne der Welt. Dort war Stern in verschiedenen Führungspositionen in der Schweiz, Deutschland und den USA tätig. Zwölf Jahre später, 2008, dockte der leidenschaftliche Rad- und Skifahrer bei der OMV-Kunststofftochter Borealis an. Stern leitete die Sparte Innovation und Technologie, ab 2012 verantwortete er den Bereich als Vorstandsdirektor. Unter anderem hat Stern das Innovationszentrum von Borealis in Linz auf den Weg gebracht und dabei viele Steine aus dem Weg geräumt.

Von der Borealis- an die OMV-Spitze

2018 erfolgte dann der Sprung an die Spitze des Kunststoffkonzerns. Mark Garrett, der langjährige Borealis-CEO, hatte seinen Rücktritt erklärt, Stern rückte nach. Es war jener Mark Garrett, der im vergangenen Herbst zum Aufsichtsratschef der OMV bestellt wurde und als solcher heuer für die Nachfolgesuche von Seele verantwortlich war. Seele hatte nach monatelangen Querschüssen aus dem eigenen Haus und Attacken von NGOs im April angekündigt, für eine Verlängerung seines Vertrags nicht mehr zur Verfügung zu stehen. Aufgerückt in den OMV-Vorstand ist Stern erst im heurigen April. Dort sollte er die Integration von Borealis in den OMV-Konzern stemmen.

Manche in der OMV sprechen gar schon von einer Übernahme der OMV durch Borealis, zumal mit Martijn van Koten Anfang Juli ein weiterer Borealis-Mann in den Vorstand eingezogen ist. Der gebürtige Niederländer verantwortet dort den Bereich Raffinerie.

Stern, der verheiratet und Vater von Zwillingen im Teenageralter ist, wird jedenfalls viel Geschick zeigen müssen, um auch die Öl- und Gasleute in der OMV für sich zu gewinnen. Menschen, die ihm nahestehen, trauen ihm das zu. So oder so wird es ein Marathonlauf, die OMV in ein ruhiges Fahrwasser zu führen. Selbst läuft Stern keinen Marathon mehr. Wegen Abnützungen am Knie hat ihm der Sportarzt Rad fahren bzw. wandern empfohlen. Das macht Stern gern rund um den Bisamberg bei Wien, wo er wohnt. (Günther Strobl, 31.8.2021)