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Die EU-Innenminister wollen über mögliche Migrationsbewegungen sprechen.

Foto: Reuters / Yves Herman

Kabul/Brüssel – Die Innenminister der EU-Staaten sind am Dienstagnachmittag in Brüssel zu einem Sondertreffen zu den Entwicklungen in Afghanistan zusammengetroffen. Thema der Beratungen sollen nach Angaben der derzeitigen slowenischen Ratspräsidentschaft unter anderem die möglichen Auswirkungen auf die Terrorgefahr und Migrationsbewegungen in Richtung Europa sein. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) bekräftigte vor dem Treffen, keine zusätzlichen Afghanen aufnehmen zu wollen.

"Es braucht die Freiwilligkeit", sagte Nehammer in Hinblick auf mögliche EU-Umsiedlungspläne (Resettlement) für afghanische Flüchtlinge. Aber solange Österreich "so hohe Belastung durch irreguläre Migration" habe, finde er es "völlig unangemessen, über Resettlement zu reden". Seinen Angaben zufolge beheimatet Österreich weltweit die viertgrößte afghanische Community. Wenn die EU es einmal schaffe, "sichere Außengrenzen zu haben, dann kann man über andere Programme nachdenken", betonte der Innenminister weiter.

Der deutsche Innenminister Horst Seehofer sprach sich gegen konkrete Kontingente für schutzbedürftige Menschen aus. Man wolle keinen "Pull-Effekt" (Anzieh-Effekt) auslösen. Zugleich betonte Seehofer, dass die deutsche Regierung immer Ansiedlungsprogramme für besonders "geschundene Personen" mitvereinbart habe. Auch werbe er "ausdrücklich dafür, dass sich alle Länder an einer gemeinsamen Asylpolitk beteiligen". Dazu war Österreich "bislang leider nicht bereit", fügte Seehofer hinzu.

Der slowenische Innenminister Aleš Hojs sprach sich gegen humanitäre Korridore für Afghanistan aus. Seine Regierung habe bereits beschlossen, an der Umsiedlung von Mitarbeitern der EU und Nato, die sich in Spanien befinden, teilzunehmen. Jegliche andere Umsiedlungspläne lehnte er aber ab.

Keine konkreten Ergebnisse erwartet

Konkrete Zusagen der EU-Staaten für etwaige neue Resettlement-Bemühungen werden heute nicht erwartet. Laut einem EU-Beamten fordert die EU-Kommission, dass die EU-Länder bis 2022 insgesamt 30.000 Menschen neu ansiedeln sollen – und zwar für alle Flüchtlingskategorien, wie das Nachrichtenportal Politico berichtete. Das bedeutet, dass ein neues Neuansiedlungsprogramm speziell für Afghanen, zusätzlich zu diesen 30.000, vorerst nicht in Betracht kommt.

Einigkeit unter den EU-Staaten herrsche darüber, dass sich die starke Fluchtbewegung von 2015 "nie wieder wiederholen" darf, erklärte Nehammer. Es sei "jetzt wichtig, die richtigen Signale zu senden". Mit Hilfe vor Ort soll eine "sichere Umgebung" für Menschen geschaffen werden, die aus Afghanistan herauswollen. Unterstützung bekam Österreichs Innenminister dabei von seinen Kollegen aus Tschechien und Dänemark, Jan Hamáček und Mattias Tesfaye.

Taskforce für Sicherheitsfragen

Bei virtuellen Beratungen Österreichs und drei anderer EU-Staaten (Dänemark, Griechenland, Deutschland) mit drei Nachbarstaaten Afghanistans – Usbekistan, Tadschikistan und Turkmenistan – am Montag wurde laut Außenamt die Etablierung einer "länderübergreifenden Taskforce" für Sicherheitsfragen, die Fragen des Grenzmanagements, des Grenzschutzes, der Kapazitätenbildung und des Trainings umfasst, beschlossen. Ebenso soll die polizeiliche Kooperation vertieft werden.

Bei den zentralasiatischen Ländern habe starkes Interesse an Fragen des Grenzmanagements bestanden, erklärte Nehammer in einer gemeinsamen Aussendung mit Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP). Beim Kampf gegen organisierte Kriminalität und Menschenschmuggel seien sie "dringend" auf Unterstützung angewiesen. In der Region herrsche zudem "extreme Besorgnis ob des massiven Anstiegs von Terrorismus und organisierter Kriminalität". Die Sorge, dass sich Terroristen und IS-Kämpfer unter "vermeintliche Flüchtlinge mischen und so die Grenze überqueren", sei allgegenwärtig.

Schallenberg und Nehammer forderten die Fortsetzung des Dialogs mit den Ländern in der Region sowie die Abhaltung einer Uno-Geberkonferenz, um den stark steigenden humanitären Bedarf abzudecken.

Bemühungen um Ortskräfte

Zugleich wollen Länder wie Deutschland noch einmal deutlich machen, dass von den Taliban bedrohte ehemalige Ortskräfte und andere besonders schutzbedürftige Afghanen auch nach dem Ende des militärischen Evakuierungseinsatzes noch mit Unterstützung rechnen können.

"Für uns steht im Zentrum im Augenblick die Frage der Ortskräfte, das sind nicht 300, sondern wahrscheinlich eher 10.000 bis 40.000", sagte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel am Dienstag bei einer Pressekonferenz anlässlich des Besuchs von Kanzler Sebastian Kurz.

Österreichs Position, keine Menschen aufzunehmen, ist unverändert, aber auch vielkritisiert: Der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion im EU-Parlament, Manfred Weber (CSU), sieht "eine moralische Pflicht" des Westens in Bezug auf Afghanistan. "Es gibt Menschen, die für uns in den vergangenen Jahren den Kopf hingehalten haben. Die haben Solidarität und Hilfe verdient", sagte Weber dem "Münchner Merkur" (Dienstagsausgabe).

Asselborn ruft zu Widerstand gegen Österreich auf

Im Vorfeld des Treffens der EU-Innenminister am Dienstag rief Luxemburgs Außen- und Migrationsminister Jean Asselborn zum Widerstand gegen den EU-Vorsitz Slowenien und gegen Österreich auf. "Ich hoffe, dass es Widerstand gibt gegen Herrn Kurz aus Österreich und Herrn Janša aus Slowenien, die sich beide klar und definitiv im Einklang mit Orbán, Salvini und Le Pen befinden", sagte Asselborn der deutschen Zeitung "Welt".

Sie alle lehnten eine "direkte menschliche Solidarität in diesem extrem dramatischen Moment mit dem gefolterten Volk in Afghanistan ab", erklärte der luxemburgische Sozialdemokrat. "Sie verlieren damit die Qualität, ein Europäer zu sein", sagte der dienstälteste Außenminister der EU. Laut Asselborn sollte die EU "40.000 bis 50.000 Resettlement-Plätze für afghanische Flüchtlinge" zur Verfügung stellen.

Nehammer reagierte auf den Aufruf im Ö1-"Mittagsjournal" und warf Asselborn vor, seinen guten Ruf zu verspielen: "Wenn Luxemburg so viel leisten müsste oder würde wie Österreich derzeit, dann müssten sie sechsmal so viele Flüchtlinge aus Afghanistan aufnehmen." Nehammer forderte eine sachliche Diskussion ein. (lhag, red, APA, dpa, 31.8.2021)