Im Grunde ist die Sache einfach. Das wusste schon Emil Zátopek: "Hier ist der Start, dort das Ziel, dazwischen musst du laufen", sagte der wohl berühmteste Langstreckenläufer aller Zeiten einst.

Zátopek, die "tschechische Lokomotive", hat viel Wahres gesagt: "Vogel fliegt, Fisch schwimmt, Mensch läuft" etwa. Oder "Wenn du laufen willst, lauf eine Meile. Wenn du ein neues Leben kennenlernen willst, dann lauf Marathon."

Ich wage es aber, Zátopek hier ein wenig zu widersprechen. 42 nennt zwar auch Douglas Adams die "Antwort auf alle Fragen", tatsächlich ist das aber eine willkürliche Zahl: Zatopeks "neues Leben" lernt auch kennen, wer sich über andere Grenzen der eigenen Komfortzone hinauswagt. Egal ob für fünf oder zehn Kilometer, "nur" einen Halbmarathon – oder einen Ultra.

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Wo Zátopek aber zu 100 Prozent recht hat: Zwischen Start und Ziel gilt wirklich nur eines: "Renn!"

Allerdings gibt es eben auch das "Davor". Da lauern Stolperfallen oder Unsicherheiten: Für routinierte Läuferinnen und Läufer mag vieles davon nach no-na klingen. Aber wer zum ersten Mal bei einem Bewerb antritt, hat oft noch nie etwas von einer "Marathonschnürung" gehört. Und wer aufgeregt ist, weil in zehn Tagen das erste Mal der 5K-Staffelpart beim Wien-Marathon ansteht, muss nicht zwingend wissen, was "Lauf-ABC" heißt. Was eine "Agility-Leiter" ist oder wieso es bei einem Bewerb gerade für weniger Erfahrene Sinn machen kann, eine etwas komplexere Laufuhr zu benutzen, um Tempoalarm, Durchschnittspace oder Live-Track einzustellen.

Foto: Thomas Rottenberg

Wenn Sie das alles eh wissen: super, gratuliere! Aber weil ich in meinem Laufalltag regelmäßig mit Menschen zu tun habe, die das erste Mal bei einem Wettkampf antreten, bat ich ein paar STANDARD-Kolleginnen und -Kollegen, die in zehn Tagen beim VCM mitlaufen werden, bei einem kleinen Was-ist-was-Wettkampfvorbereitungs-Crashkurs mitzuwirken.

Andreas (Wirtschaft) hofft, den Halbmarathon in unter 1:45 zu laufen. Franziska (Immobilien) will sich mit dem Halbmarathon in Wien auf Berlin vorbereiten, wo sie die ganze Distanz laufen wird. Und Christina (Marketing) und Michael (Rondo) sind Staffel-"Newbies": Der VCM ist für beide der allererste Wettkampf.

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Vorbereitet haben sich alle vier seit Monaten. Teils mit System, teils nach Gefühl. Doch allen war klar: So knapp vor dem Bewerb ist man mit Üben "fertig". Was der Körper jetzt nicht kann, wird er in den nächsten paar Tagen nicht mehr lernen. Aber: Soll man deshalb das Training runterfahren? Gar nix tun? Das Wort "Tapern" wird ja oft genauso missinterpretiert – obwohl "tapern" eigentlich "anspitzen" bedeutet: Umfänge und Intensität werden reduziert, dafür lässt sich der Fokus noch einmal auf Technik und Mobilisierung legen. Im Idealfall fühlt sich der Körper dann wie eine Aufziehmaus mit vollgespannter Feder an – bereit und begierig, die aufgestaute Energie und allen Ehrgeiz quasi auf Knopfdruck auf die Strecke zu bringen.

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Was man jetzt noch tun kann und soll: fas Material optimieren. Überlegen, was man anzieht – und die Kombi testen.

Nicht nur was das Gewand angeht: Die VCM-Macher empfehlen, heuer mit Trinkrucksack zu laufen. Nicht nur zur Müllreduktion, sondern auch und vor allem, um dem Gedränge an den Laben und bei der Gepäckausgabe zu entgehen. Nur: So ein Rucksack (im Bild: bei einem Traillauf in Warth am Arlberg) muss passen und darf nicht scheuern. Jetzt ist noch Zeit, den passenden zu finden – und dann am Setup zu feilen. Oder sich für Plan B zu entscheiden: klassisch an den "Laben" zu trinken.

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Mein Tipp beim Plan B: Nehmen Sie einen etwa zwölf Zentimeter kurzen Trinkschlauch mit. Stecken Sie ihn unters Uhrband – dann haben Sie ihn immer griffbereit. Wozu? So verschluckt man sich beim laufend Trinken aus Bechern nicht. Aber auch hier gilt: Das Handling sollte geübt sein.

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Noch eine Gretchenfrage der Langstrecke ("lang" ist subjektiv!) können Sie jetzt noch klären: Gel oder nicht Gel? Unbestritten: Das Zeug wirkt. Doch wer sich so eine pickige Bombe im Wettkampf das erste Mal reindrückt, hat gute Chancen, "zurückzujausnen". Probieren sie ein paar unterschiedliche Energiegels also vorab. Finden Sie raus, ob Sie sie gar nicht, pur mit etwas oder mit viel Wasser am besten runterkriegen. Und lassen Sie im Wettkampf die Finger von Zeug, das Ihnen angeboten wird, das Sie aber nicht kennen: Gut gemeint kann das Gegenteil von gut sein.

Das gilt auch für Bananen: Auch wenn die Legende ihr Zauberkräfte zuspricht, vertragen sie viele Mägen unter "Volllast" nicht.

Und wenn wir schon dabei sind: Iso- und Energydrinks sind meist bekömmlich verdünnt, aber bei Cola sollten Sie vorsichtig sein. Koffein pusht gewaltig – aber wenn sie einmal damit anfangen, müssen Sie beständig nachlegen.

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Apropos Essen: Ein voller Bauch läuft nicht gern – ein leerer führt auf der Langstrecke aber unter Garantie zum DNF ("did not finish" – im Bild: ein Beinahe-Worst-Case dazu von 2015). Blöderweise tut sich der Körper aber schwer, Kohlenhydrate strategisch schlau zu speichern. Darum: Futtern Sie in den Tagen vor dem Lauf Nudeln, Reis & Co – und frühstücken sie am Wettkampftag (leicht!) etwa vier Stunden vor dem Start.

Trinken Sie bis zwei Stunden vor dem Rennen nicht zu wenig – aber ab dann erst wieder knapp vor dem Startschuss. Ihre Blase wird es Ihnen danken.

Und falls sie knapp vor dem Startschuss am liebsten alle zwei Minuten aufs Klo rennen wollen: Das ist normal. Auch weil die Evolution uns (vereinfacht gesagt) gelehrt hat, dann, wenn wir – egal warum – rasch von A nach B rennen müssen, Ballast abzuwerfen.

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Ballast ist auch anderweitig ein Thema: Überlegen Sie, was Sie unterwegs wirklich (!) brauchen. Den ganzen Schlüsselbund – oder doch nur den Haustorschlüssel? Alle Ausweise – oder reicht die Öffi-Jahreskarte? Das und ein Geldschein passt zusammen locker in ein halbvolles Packerl Taschentücher. Oder – weil Maske und vielleicht das Handy mitmüssen – in ein "Sackerl fürs Gackerl": Die sind dünn, halten aber absolut trocken.

Falls Sie mit Rucksack laufen, bedenken Sie: Trink- und Trailrucksäcke verführen, wie alle Taschen, dazu, sie vollzufüllen.

Mein Tipp: ein Shirt für danach (im Plastiksackerl), Soft-Flasks (Wasserbeutel), Energieriegel oder -gels. Taschentücher, Maske, Ausweis, Schlüssel, Geldschein und, wenn nötig, das Smartphone, trocken verpackt – und aus.

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Aber wenn es kalt ist, stürmt oder regnet? Auch wenn das nicht nachhaltig ist: Nehmen Sie ein (oder zwei) alte Shirts oder Sweater mit, die sie vor oder kurz nach dem Start wegwerfen. Normalerweise wird derlei Gewand dann karitativ verwertet – ob das Corona-bedingt heuer passieren kann, ist jedoch unklar.

Gegen Wind schützt bis zum Start ein dicker Müllsack (der im Bild ist vermutlich zu klein) mit Kopf- und Armlöchern: Sobald Sie laufen, wird Ihnen so warm, dass sie (solange es nicht schüttet) weder eine Regen- noch eine sonstige Jacke brauchen: Trauen Sie sich ruhig kurz-kurz (also kurze Ärmel und kurze Hose). Auch wenn Sie "nur" die Fünf-Kilometer-Etappe der Staffel angehen.

Foto: Thomas Rottenberg

Apropos Staffel: Staffelläufer und -läuferinnen brauchen Handys. Damit lässt sich per Tracking-App des Veranstalters oder Live-Track-Funktionen von Plattformen wie Strava oder Garmin-Connect das Eintreffen des Vor-Läufers oder der Vor-Läuferin gut prognostizieren.

Doch Obacht: Bei den Staffelübergaben (im Bild: STANDARD-Staffeln aus dem Jahr 2015 an den Übergaben) schauen Tausende auf diese Tools. Die Wahrscheinlichkeit, dass Netz oder Server überlastet sind, ist vergleichsweise hoch.

Was helfen kann: ein "Spotter" etwa einen Kilometer vor der Übergabe. Wenn der Ihren Läufer oder Ihre Läuferin sieht, soll er ein SMS schicken – die gehen fast immer durch.

(Das Handy kann der ankommende Staffelläufer dem Loslaufenden jetzt abnehmen. Idealerweise steckt es in einer Tasche der trockenen, warmen Jacke, die der Ankommende vom Loslaufenden übernimmt.)

Foto: Thomas Rottenberg

Womit wir beim Stehen und Gesehenwerden wären: Machen Sie sich mit Freunden an der Strecke aus, wo wer stehen wird. Falls Sie unterwegs Gewand abgeben oder Verpflegung übernehmen wollen (sollten Sie nicht zu den Siegesanwärterinnen und -anwärtern zählen, wird das toleriert), sollten diese Spots genau definiert werden: "Ecke Haupt- und Stadionallee" ist suboptimal. Auch "vor der Oper": Dort stehen alle.

Was da wichtig ist: Erkennbarkeit. Schicken Sie Staffelkolleginnen und Bekannten vor dem Start ein Foto von sich im Renn-Look. Nicht einmal Ihre Mutter würde Sie erkennen, wenn ihr 20.000 Menschen entgegenrennen.

Falls Sie am Streckenrand stehen: Keine Angst vor Transparenten, Pompoms, Luftballons oder Flaggen – so werden Sie besser gefunden.

Foto: Thomas Rottenberg

Noch ein paar Worte zu Taktik und Disziplin: Speziell "Newbies" lassen sich rasch und gerne mitreißen. Vergessen Sie nicht, dass es einen Grund hat, wieso Sie sich das Tempo (eigentlich: die Pace) X und die Zielzeit Y vorgenommen haben. Wenn sie auf den letzten drei Kilometern zulegen können: super. Aber beim Start? Die fast einen Kilometer lang ansteigende Reichsbrücke (siehe Bild) hinauf? Lieber nicht!

Was Sie zu Beginn in Sekunden vermeintlich gewinnen, bezahlen Sie gegen Ende Ihres Rennens wahrscheinlich in Minuten.

Nutzen Sie deshalb ein sonst meist ungenutztes Feature ihrer Laufuhr: Setzen Sie einen "Tempoalarm". Dann fiept oder vibriert Ihre Uhr, sobald sie "overpacen": Sie werden staunen, wie oft Sie zu schnell sind – gerade beim Loslaufen.

Foto: Thomas Rottenberg

Falls Ihre Uhr das unterstützt, rate ich Ihnen, sich außerdem schon für die letzten Trainingsläufe von jener Anzeige zu verabschieden, die fast alle Läuferinnen und Läufer als Hauptbild eingestellt haben: die momentane Pace und die zurückgelegte Strecke. Erstere bringt Ihnen nix – und wie weit Sie schon sind, sagen Ihnen ohnehin die Tafeln am Streckenrand. Lassen Sie sich stattdessen Durchschnittspace und die Geschwindigkeit des aktuellen Kilometers anzeigen: So wissen Sie, ob Sie planmäßig unterwegs sind.

Kalkulieren Sie aber auch hier einen Puffer ein. Weil Uhren nie genau sind. Erstens wegen der normalen, sich kumulierenden GPS-Abweichungen. Vor allem aber weil Sie wohl nicht Ideallinie laufen werden.

Vergleichen Sie Ihre Kilometerangaben mit den Tafeln am Streckenrand: Es gilt das, was der Veranstalter als Strecke zwischen Start- und Ziellinie definiert.

Foto: Thomas Rottenberg

Aber vor allem: Genießen Sie Ihren Lauf. Auch wenn es zwischendurch hart und zach werden wird. Fürchten Sie sich nicht. Ja, die "Wand" und den "Mann mit dem Hammer" gibt es. Aber: na und? Das wussten Sie vorher auch schon. Und Sie haben sich lange darauf vorbereitet, ihnen die Stirn zu bieten. Wenn nicht irgendwas Unvorhergesehenes passiert, wenn Sie jetzt, in den letzten Tagen vor dem Bewerb, nicht versuchen, das Rad neu zu erfinden, sondern sich an den Plan halten, werden Sie über die Ziellinie kommen. Und zwar mit einem fetten Grinsen.

Nur das zählt – gerade weil Laufen so einfach ist: "Hier ist der Start, dort das Ziel, dazwischen musst du laufen." (Thomas Rottenberg, 31.8.2021)

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