Beim Betreten des Geschäftes an der Ecke von Westbahnstraße und Bandgasse im siebten Bezirk in Wien bekommt man das Gefühl, sich in eine Galerie verirrt zu haben. Der lichtdurchflutete Raum ist ganz in Weiß gehalten, neben dem Eingang hängen silbern verspiegelte Zapfen von der Decke, überall stehen Podeste, auf denen bunte Objekte präsentiert werden. Hauchdünne Gläser, metallisch schimmernde Schüsseln und genoppte Vasen strahlen im gleißenden Sonnenlicht.

Die Wiener Glashütte Comploj produziert Gebrauchsglas und Kunstobjekte für Kunden weltweit.
Fotos: Mafalda Rakoš
Diese Geschichte erschien in einer RONDO-Ausgabe rund um das Thema Glas.

Man bewegt sich vorsichtig durch den Raum, schließlich will man nicht versehentlich eines der filigran anmutenden Stücke zu Boden werfen und es in tausend Teile zerspringen sehen. Scherben bringen Glück, heißt es, doch in dem Fall brächten sie einem wohl eher den Ärger von Robert Comploj ein. Der Glasmacher und sein fünfköpfiges Team haben alle Exponate selbst hergestellt. Nun, ja: fast alle! Zwischen den elegant gearbeiteten Objekten steht ein gedrungenes, leicht unförmiges und sehr dickwandiges Gläschen. Ist es ein Whiskey-Glas? Ein Teelichthalter vielleicht? Man weiß es nicht so recht.

Gebrauchsglas und Kunstobjekte

Auf jeden Fall ist es das Ergebnis meines ersten Versuches im Glasmachen, der hier vor Ort stattfand. Denn hinter dem stylishen Verkaufsraum befindet sich eine Werkstatt, inklusive mehrerer Hochleistungsöfen und allerlei Werkzeug zur Herstellung von Glasgütern. Wer hätte gedacht, dass sich mitten im Bobobezirk Wiens eine Glashütte befindet?

2017 gründete sie der gebürtige Tiroler Robert Comploj, nachdem er sich vier Jahre zuvor als Glasmacher in Traun selbstständig gemacht hatte. Ursprünglich absolvierte Comploj eine Fachschule für Tischlerei in Imst. Auf das Drängen seines Vaters hin holte der im Anschluss daran die Matura nach, besuchte dafür einen Aufbaulehrgang an der HTL Kramsach. Ein Kurs im Glasmachen erweckte in ihm die Leidenschaft für diesen Beruf.

Glasmacher Robert Comploj perfektionierte sein Handwerk in den USA, England und Dänemark.
Foto: Mafalda Rakoš

Glasmacher blasen zwar auch Glas, der Begriff der Glasbläserei beschränkt sich auf die Formung von Gebrauchs- und Dekorationsgegenständen "vor der Lampe", also einer Gasflamme. Glasmacher hingegen arbeiten am Ofen oder mit Maschinen. Einer von Complojs Lehrern war Eric Meek vom renommierten Corning Museum of Glass im US-Bundesstaat New York. Dieser ermutigte seinen Schüler dazu, nach der Matura hinaus in die Welt zu gehen, um seine Fähigkeiten als Glasmacher zu perfektionieren. Nach Stationen in den USA, England und Dänemark kehrte Comploj nach Österreich zurück. Heute produziert er in seiner Wiener Glashütte Gebrauchsglas und Kunstobjekte für Kunden weltweit, führt Aufträge von Handelsunternehmen aus, kooperiert mit Designern und Künstlerinnen und bietet um 250 Euro pro Person monatlich einen Anfängerabendkurs im Glasmachen an.

Kein Strickkurs

Da sollen Interessierten einen besseren Einblick in das Handwerk bekommen. "Die Leute kommen zu uns und wollen ein Glas oder eine Vase machen. Im Kurs erkennen sie dann erst, wie schwierig so etwas herzustellen ist. Schaut man den Fachleuten zu, wirkt es sehr einfach. Wenn man dann aber selbst rangeht, sieht die Sache ganz anders aus", erklärt Robert Comploj.

Die Handhabung der Werkzeuge, wie etwa des Auftreibers (die großen Pinzetten), ist für Laien koordinativ ziemlich herausfordernd.
Fotos: Mafalda Rakoš

Schon bei den ersten Schritten durch die Werkstatt wird mir klar, dass gleich kein Strickkurs in gemütlicher Runde folgt. Rauchiger Geruch reizt meine Nase. Er stammt von verkohltem Zeitungspapier und Holzschaufeln, womit das heiße Glas geformt werden kann. Glasreste, die an der Luft schnell abkühlen und in Kübeln laut knacksend zerspringen, lassen mich regelmäßig zusammenzucken. Und dann wäre da noch das Herzstück der Werkstatt, das "Glory Hole". Dahinter verbirgt sich nichts Anrüchiges.

Auf Deutsch heißt der Kasten Wärmetrommel. Aber auch diese Bezeichnung ist etwas irreführend. Das Wort Wärme ist eine maßlose Untertreibung. Öffnen sich die eckigen Türelemente per Knopfdruck wie die Irisblende einer Kamera, strömen 1300 Grad Hitze aus dem orange glühenden Gasofen. Sofort brennen meine Augen, es prickelt auf meiner Lippe. In der Wärmetrommel wird das Werkstück immer wieder auf Temperatur gebracht, um es bearbeiten zu können.

Daneben steht ein metallenes Ei, das an eine Raumkapsel erinnert. Dabei handelt es sich um einen zweiten Ofen, der fast das ganze Jahr durchgehend auf 1100 Grad geheizt wird. Darin befinden sich 120 Kilogramm flüssiges Glas, auf dessen Oberfläche sich die lodernde Gasflamme des Ofens spiegelt. Den Rohstoff bezieht Comploj als "Backmischung" aus Schweden. Außerdem wird zerbrochenes Glas recycelt.

Robert Comploj und Nathalie Flückiger sind ein eingespieltes Team. Sie verstehen sich fast ohne Worte, wenn sie gemeinsam an einem aufwendigen Glasobjekt arbeiten.
Fotos: Mafalda Rakoš

Immer weiterdrehen

Die Kraft des Feuers soeben hautnah erlebt zu haben flößt mir noch mehr Respekt vor dem Handwerk ein, in dem ich mich nun selbst versuchen soll. Ziel ist, ein Trinkglas herzustellen. Glücklicherweise steht mir Glasmacherin und rechte Hand von Robert Comploj, Nathalie Flückiger, zur Seite. Mit ruhiger Stimme erklärt die gebürtige Schweizerin jeden Schritt. Zuerst wärmt sie die Spitze der Glasmacherpfeife im Ofen auf.

Dieses ungefähr anderthalb Meter lange Rohr ist das wichtigste Instrument beim Glasmachen. Darauf wird das Werkstück bearbeitet. Auf einer Seite ist ein Mundstück angebracht, durch das die flüssige Glasmasse am anderen Ende aufgeblasen wird. Sobald die Pfeife auf Betriebstemperatur ist, wird sie ein paar Zentimeter tief in das flüssige Glas getaucht. Wie Honig um einen Löffel dreht man die zähe Masse um die Pfeife, bevor man sie aus dem Ofen holt. An der Arbeitsstation, die wie eine Schulbank ohne Tischplatte aussieht, wird sie mit der linken Hand gleichmäßig vor- und zurückgerollt, während die rechte Hand die Werkzeuge bedient.

Sieben bis zehn Jahre dauert es, bis man den Beruf des Glasmachers beherrscht und so effektvolle Stücke herstellen kann wie Robert Comploj.
Foto: Mafalda Rakoš

Nachdem der Glasbatzen mithilfe eines zur Seite offenen Holzlöffels in eine runde Form gebracht wurde, kann das Glas aufgeblasen werden. Mit aufgeplusterten Backen blase ich, so fest es geht, in das Mundstück. Es fühlt sich an, als würde kein bisschen Luft in das Rohr gelangen. Doch siehe da: Es hat sich eine Blase im Glas gebildet. Nach einem kurzen Intermezzo im Ofen kommt der "Auftreiber" zum Einsatz.

Mit dem breiten Hinterteil dieser "Pinzette" wird die Glaskugel abgeflacht, der Boden des Trinkglases geformt. Die spitzen Enden verpassen ihm eine leichte Wölbung nach innen sowie eine Rille am oberen Ende zur Pfeife hin, die später als Sollbruchstelle dient. Den richtigen Winkel und Druck zu wählen und dabei die Pfeife stets gleichmäßig zu drehen ist für mich als Laie ziemlich herausfordernd. "Man muss die beiden Gehirnhälften gemeinsam verwenden können. In den USA sagt man, Glasmachen sei wie Klavierspielen oder Helikopterfliegen", erklärt Robert Comploj.

"Das Material verlangt volle Konzentration. Man taucht ab in eine eigene Welt, vergisst alles rundherum." Robert Comploj
Fotos: Mafalda Rakoš

In der Zwischenzeit hat Nathalie Flückiger eine Stange, das Hefteisen, ins flüssige Glas getaucht. Sie setzt das heiße Ende an den Boden des Glases an, ich drücke dagegen. Kurz auf die Glasmacherpfeife geklopft, und schon löst sich das Objekt an der Sollbruchstelle und klebt nun am Hefteisen. Mit dem Auftreiber wird die Öffnung des Trinkglases gestaltet. "Die Spitzen in das Loch einführen, nach oben drücken und langsam öffnen, das Hefteisen weiter hin- und herrollen", sagt Flückiger. Das fertige Glas wird vom Hefteisen geklopft und kommt in den Abkühlofen. Dieser ist tagsüber auf 500 Grad eingestellt. Über Nacht kühlt er schrittweise auf Raumtemperatur ab. So entstehen keine Spannungen im Glas, die es zerspringen lassen würden.

Am nächsten Tag kann ich mein Erstlingswerk begutachten. Zum Verkauf eignet es sich nicht, Freude bereitet es mir trotzdem. Es ist das Dokument einer besonderen Erfahrung. Die Hitze des Feuers, die zähflüssige Konsistenz vom heißen Glas und die rhythmischen Bewegungen haben etwas Archaisch-Sinnliches. So richtig faszinierend ist das Handwerk aber erst, wenn man den Fachleuten zusieht.

In der Werkstatt der Glashütte Comploj werden viele farbige Glasrohlinge gelagert. Mithilfe dieser werden Dekorationsgegenstände und Gebrauchsglas von Hand hergestellt.
Fotos: Mafalda Rakoš

Robert Comploj sitzt an seiner Arbeitsstation, gibt einer Vase mit Ananasstruktur die richtige Form. Er dreht die Glasmacherpfeife gleichmäßig vor und zurück. An der anderen Seite des Werkzeugs hat Nathalie Flückiger ihre Lippen ans Mundstück gesetzt, folgt Complojs Bewegungen und bläst seinen Kommandos "fest!", "weich!" gemäß hinein. Eine Hand hat sie stets am Knopf für die Wärmetrommel, um den Ofen zu öffnen, falls das Werkstück zu stark abkühlt. Die Zusammenarbeit der beiden wirkt fast wie ein Tanz. Sie sind ein eingespieltes Team, das sich rein durch Körpersprache und kurze Zurufe versteht.

"Nathalie bringt Ruhe rein und ist handwerklich auf sehr hohem Niveau. Mit Männern ist es manchmal schwierig. Einige Kollegen wollen in der Werkstatt zeigen, wie hart sie sind, und lassen sich nichts sagen", erklärt Robert Comploj. Generell würde Glasmachen viel über die Persönlichkeit verraten. Aggressive Menschen versuchten, das Material zu beherrschen. Damit komme man aber nicht weit. Man müsse sich aufs Glas einlassen. "Das Material verlangt volle Konzentration. Das Werkstück einfach mal beiseitelegen geht nicht. Man taucht ab in eine eigene Welt, vergisst alles rundherum."

Der erste Versuch im Glasmachen sieht im Vergleich zu den Werken des Meisters weniger eindrucksvoll aus.
Foto: Lukas Friesenbichler

Die neuen Anwälte

Wahrscheinlich sind es solche Flow-Zustände, nach denen sich die Menschen sehnen, wenn sie Handwerkskurse besuchen. Diese erleben seit Jahren einen regelrechten Boom. Gesteigertes Interesse an seinen Kursen nimmt Comploj auch durch die Netflix-Serie "Blown Away", bei der Glaskünstler gegeneinander antreten, wahr. Vor allem Jüngere melden sich jetzt vermehrt an. Davor lag der Altersdurchschnitt über 60 Jahren. Doch so allgegenwärtig wie Töpferkurse wird das Glasmachen hierzulande in nächster Zeit nicht werden. "Es gibt keine Glashütte, in die man sich günstig einmieten kann.

Selbst in die Infrastruktur zu investieren kostet jenseits der hunderttausend Euro", sagt Robert Comploj. Außerdem dauere es sieben bis zehn Jahre, bis man das Glasmachen gut beherrsche. Was die berufliche Ausbildung anbelangt, gebe es in Österreich abseits der HTL Kramsach kaum Möglichkeiten, das Handwerk zu erlernen. Kunstuniversitäten würden den Bereich ebenso vernachlässigen. Wenn das so weitergehe, werde der Beruf aussterben, meint Comploj. "Durch den Mangel steigen die Preise.

Das gilt für alle Handwerksberufe. Die Handwerker werden die neuen Anwälte." Für die Glashütte Comploj läuft’s gut. Die Werkstatt am Standort in der Westbahnstraße platzt aus allen Nähten. Im Frühling nächsten Jahres wird sie in den 18. Bezirk übersiedeln. Die Kurse wird es weiterhin geben. Gut zu wissen, vielleicht gelingt es mir ja bei einem zweiten Versuch, ein schöneres Trinkglas herzustellen. (Michael Steingruber, RONDO, 2.9.2021)