Für viele Menschen mag es komisch wirken, wenn die Begleitung beim legeren Picknick im Park zur Flasche Wein plötzlich zwei mundgeblasene, hauchdünne Gläser auspackt. Bei diesem Anblick würde hingegen jeder Sommelier aufjubeln, jede Winzerin dankbar lächeln.

Denn so bekommt der Wein jenen Rahmen, der ihm gebührt: ein gescheites Weinglas. Dass es nicht einerlei ist, woraus man seinen Rebensaft schlürft, darüber sind sich die Fachleute weitgehend einig. Aber welche Qualitätsmerkmale machen ein gutes Weinglas aus? Fragt man Glashersteller wie Christoph Hinterleitner von Zalto, so sind es Parameter wie der Winkel, in dem die Glaswände zueinander stehen, Oberflächengröße und Fertigungsart (also mundgeblasen oder maschinengefertigt), die sich auf den Wein im Glas auswirken.

Sich Gedanken über derlei Dinge zu machen zahle sich ab dem Moment aus, in dem man erkenne, dass Wein aus verschiedenen Gläsern anders schmecke, sagt Hinterleitner. Also so gut wie immer.

Die Sommelier-Kollektion von Claus J. Riedel im Jahre 1973. Die Gläser wurden für unterschiedliche Stile bestimmter Rebsorten und Herkünfte entwickelt.
Foto: Riedel

Burgund ist rund, Bordeaux ist hoch

Je mehr Oberfläche der Wein im Glas hat, umso mehr Luft gelangt an den Wein. So können sich die darin enthaltenen Aromen gut entfalten. Als Paradebeispiel hierfür werden in der Weinwelt gern die Burgundergläser herangezogen. Die sind deswegen so rund und bauchig, weil die Burgundersorten, vor allem der rote Pinot noir, von ihrer feingliedrigen, morbid angehauchten Frucht leben. Aromen wie feuchte Blätter, Moos und Walderdbeeren brauchen Platz zur Entfaltung.

Diese Geschichte erschien in einer RONDO-Ausgabe rund um das Thema Glas.

Dem gegenüber stehen die klassischen Rebsorten aus dem Bordeaux, Cabernet Sauvignon, Cabernet franc und Merlot. Diese Rebsorten, vor allem die Cabernets, verfügen in der Regel über mehr Gerbstoffe als Weine aus dem Burgund. Diese brauchen zwar auch Luft, um in Kontakt mit Sauerstoff noch eine Blitzreifung hinzulegen und so samtiger, harmonischer zu wirken.

Das ideale Glas für diese Weine sollte zwar bauchig sein, nach oben hin aber schlanker werden. Das ist notwendig, damit die feineren Aromen neben kräftigem Gerbstoff und Körper überhaupt bestehen können. "Die Rebsorte ist aber nicht das einzige Kriterium für die Auswahl des richtigen Weinglases", sagt Hinterleitner. Auch die Herkunft ist entscheidend. Beziehungsweise ganz generell der Stil eines Weins, der sich wiederum aus einer Vielzahl an Faktoren ergebe, von der Philosophie des Winzers bis zur Arbeit im Weingarten und das dort vorherrschende Klima. So sei die Stilistik eines Cabernet Sauvignon aus dem Bordeaux mit der eines aus Kalifornien kaum zu vergleichen.

Wenig prickelnd

Aus diesem Grund gebe es bei Riedel nicht nur ein, sondern mehrere Cabernet-Sauvignon-Gläser, so Maximilian Riedel, Geschäftsführer des österreichischen Glasherstellers in elfter Generation. Sein Großvater, Claus J. Riedel, sei der Erste gewesen, der sich über die Form der Gläser und darüber, wie diese den Wein darin beeinflussen, Gedanken gemacht habe. Das war in den 1950er-Jahren.

Davor regierten viel zu klein geratene Römerkelche, noch dazu mit Rollrand, dem Wulst am Ende des Glases, der den Winkel, wie und wo der Wein auf die Zunge trifft, negativ beeinflusst. Oder Champagnerschalen, die heute wunderbare Eisgefäße sind, aus Schaumwein aufgrund der großen Oberfläche schnell ein wenig prickelndes Vergnügen machten. Von den Aromen, die eigentlich ein Glas brauchen, das sich nach oben verjüngt, gar nicht erst zu sprechen.

"Ein hochwertiger Wein verlangt auch nach einem hochwertigen, wohlgeformten Glas." Willi Schlögl, Wirt
Foto: Freundschaft

Claus J. Riedel hat sich dann also damit auseinandergesetzt, wie ein Wein auf die Zunge trifft, welche Aromen dadurch stärker oder schwächer hervorgekehrt werden, um ideale Weingläser zu entwickeln. Bis heute entstehen neue Gläserkollektionen bei Riedel in enger Zusammenarbeit mit Winzern und Sommeliers. In Workshops wird derselbe Wein aus verschiedenen Gläsern verkostet. Wie und was die jeweilige Stilistik braucht, arbeiten die Experten sukzessive heraus.

"Wenn ich einen hochwertigen Wein trinke, brauche ich auch ein hochwertiges Glas", sagt auch Willi Schlögl, Wirt aus der Weinbar Freundschaft in Berlin. Aber die gute Nachricht lautet: Jemand, der gerne Wein trinkt, muss sich nicht einen ganzen Schrank voll unterschiedlicher Gläser anschaffen. "Ein paar Universalgläser für Weißweine und schlanke Rotweine, ergänzt um Bordeaux-Gläser für kräftige, tanninhältige Weine, tun es schon." Geschichten rund um den Wein erzählt Schlögl auch in seinem Podcast "Terroir und Adiletten". ImPodcast und generell soll Wein Spaß machen.

Ein Weinglas sollte funktional sein. Optische Gestaltungsdetails wie im Boden eingravierte Herzen sind dann dem Geschmack der Käufer überlassen. Wichtig ist, dass das Glas seine Funktion erfüllt. "Form folgt Funktion", sagt auch Maximilian Riedel. Und diese ist nun einmal, den Wein in seinem besten Licht zu zeigen. Ob man als Weintrinker nun den weinigen Aspekt im Champagner mehr schätzt und ihn daher in Universalgläser füllt oder auf die Perlage abfährt und daher auf eigene Schaumweingläser setzt, muss wiederum jeder Weintrinker im Training für sich selbst herausfinden. (Nina Wessely, 12.9.2021)