Es wird oft gejammert, dass Instagram das Wohnen verändert hat. Kein Mensch stelle mehr Bücher ins Regal, heißt es. Wer Zeit auf der Social-Media-Plattform verbringt, könnte tatsächlich diesen Eindruck bekommen. Sideboards und Regale werden heute eher mit Vasen, Kerzenständern, Duftkerzen und Blumen vollgestellt als mit Büchern von Jelinek oder Handke. Nur manchmal verirrt sich ein dickes Coffee-Table-Book in die sorgsam zusammengerückten Stillleben. Literaturinteressierte Ästheten hingegen drehen auf Instagram die Buchrücken einfach in Richtung Wand: Man blickt auf nichts als beige Blätter.

Süße Früchtchen: Bonbons aus Buntglas
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Es hat die Stunde der fotogenen Staubfänger geschlagen. Es handelt sich bei den neuen Protagonisten in den Regalen um mal mehr, mal weniger schöne, meist jedoch nutzlose Gegenstände. Vergleichbar mit den kitschigen Figürchen, die in den Siebzigern in Schrankwänden und Vitrinen vor Staub geschützt wurden.

Oder mit jenen fliederfarbenen Leonardo-Gläsern, die in den Neunzigern zu Geburtstagen in Zellophanpapier verpackt überreicht wurden und dann auf Nimmerwiedersehen im Kasten verschwanden. Oder aber mit jenen mit Sand oder Muscheln gefüllten Schraubgläsern, die in der RTL-Sendung Einsatz in 4 Wänden Sideboards als Deko-Objekte "den letzten Schliff" verleihen sollten, letztlich aber nur blöd im Weg herumstanden.

Zerbrechliche Stücke

Die Leonardo-Gläser und die selbstgebastelten Souvenirs mit den Schraubdeckeln und dem maritimen Touch haben mittlerweile ausgedient, an Keramiken wurde sich sattgesehen. Jetzt stehen in den Wohnungen gläserne Skulpturen, Kerzenständer oder feine Schüsselchen, die weder als Aschenbecher noch als Müslischale herhalten müssen, stramm. Die einzigen Aufgaben der zerbrechlichen Stücke: das Sonnenlicht reflektieren, Stimmung machen und auf Instagram Likes einsammeln. Ihre Strahlkraft entfaltet sich insbesondere im digitalen Raum.

Wer kennt sie noch, die Bonbons aus Muranoglas? Neuerdings wird mit den süßen Dingern wieder dekoriert.
Foto: Hersteller

Dänische Influencerinnen beherrschen die Kunst des Social-Media-tauglichen Dekorierens besonders gut. Ihre eklektischen Arrangements setzen sich großteils aus farbigen Glas-Accessoires zusammen: gedrehte Löffelchen, Strohhalme und Kerzenständer von Hay, langstielige Sektflöten aus den Nullerjahren von Ebay. Mutige streuen dazwischen Murmeln oder Bonbons aus Muranoglas – so was lag wahrscheinlich zuletzt in den Neunzigerjahren auf abenteuerlich drapierten Tischdecken. Wer dem noch eins draufsetzen will, arrangiert die schimmernden Staubfänger spielerisch auf Glastischen, die neue Transparenz feiert fröhliche Urständ.

Warum Kleinkram aus Buntglas momentan so populär ist? Im Gegensatz zu farblosem Glas geht es auf Instagram nicht unter, wirkt aber gleichzeitig ganz leicht. Oder anders gesagt: Farbiges Glas wird in der App als dekorative Stimmungsaufheller eingesetzt: Machen Glasteller in Rosa oder Gläser, die aussehen, als wäre in den Achtzigern ein Bananenspliteis mit Schlagobers serviert worden, nicht um Längen bessere Laune als ihre irdenen, undurchsichtigen Kollegen aus Keramik?

Die Kopenhagenerin Helle Mardahl, die als Modedesignerin begann und jetzt organische, mundgeblasene Objekte aus bonbonfarbenem Glas verkauft, ist eine, die von der aktuellen Stimmung profitiert.

Diese Geschichte erschien in einer RONDO-Ausgabe rund um das Thema Glas

Sichtbarkeit

Ihr folgen auf der Social-Media-Plattform mittlerweile nicht nur 134.000 Menschen, sie hat auch Wohnungen von Prominenten wie Claudia Schiffer erobert. Kein Wunder, Mardahls mehrere Hundert Euro teuren Stücke werden neben Designermode im Luxusonlineshop Net-a-porter verkauft. Ähnlich ansehnlich: die dekorativen, transparenten Birnen, Bananen und Zitronen aus pastellfarbenem Glas, die die neuseeländische Designerin Devyn Ormsby seit 2019 für ihr Label Devonmadeglass fertigt. Oder die Vasen der Spanierin Valeria Vasi, deren Formen an die Designs der Memphis-Gruppe erinnern. Noch stehen sie nicht wie Designs aus Muranoglas von Ercole Barovier und Yoichi Ohira im Museum. Die Objekte der beiden waren bis vor kurzem im Grassimuseum für angewandte Kunst in Leipzig zu sehen.

Aber wer weiß: So mancher Instagramtaugliche Staubfänger dürfte durchaus Potenzial haben. Erst einmal aber müssen die Stücke ihre Qualitäten im echten Leben unter Beweis stellen. (Anne Feldkamp, RONDO, 6.9.2021)