Carlo Maghakian ist eigentlich Designer, hat jetzt aber aus purer Leidenschaft auf Gelataio umgesattelt. Gut für uns!

Foto: Gerhard Wasserbauer

Die Stanitzel von Carlo Gelato am stillen Hamerlingplatz sind mit Olivenöl gebacken und in der Hauptsache knusprig, der Geschmack explizit zurückhaltend. Dennoch empfiehlt es sich, das Eis hier aus dem Becher zu löffeln, zumindest beim ersten Mal. Die Konsistenz der Eiscreme von Carlo Maghakian, eine hinreißende Kombination aus sanft forderndem Biss und satter Cremigkeit, nimmt den Platz zwischen Zunge und Gaumen so mit dem erwünschten Nachdruck ein. Die Aromen finden ideale Bedingungen vor, um sich mit wollüstigem Nachdruck zu entfalten.

Das ist Gefrorenes von einem anderen Stern, selbst für eine vom Eis so verwöhnte Stadt wie Wien. Carlo Maghakian ist ein Besessener, der bei der Güte der Zutaten und Maschinen (Cattabriga) extreme Wege geht. Der Quereinsteiger ist eigentlich Designer und Produzent von Werbemitteln für die Getränkeindustrie, hat in Hongkong, Beirut und Spanien gelebt. Mütterlicherseits stammt er aus St. Valentin im Mostviertel, väterlicherseits aus der armenischen Gemeinde Aleppos in Syrien. Die Sache mit dem Eis holte ihn in der sagenumwobenen Sorbetteria Castiglione von Marina und Giacomo Schiavon ein, die Bologna in den vergangenen 25 Jahren zur Welthauptstadt des Gelato werden ließ. "Gefrorenes von dieser Dimension", so Carlo, wollte er auch Wien verfügbar machen.

Also schrieb er immer wieder an Schiavon, bei dem sich auch Säulenheilige des feinen Essens wie Alain Ducasse um Rat anstellen – und bat um ein Praktikum. Irgendwann zeigte die Beharrlichkeit Wirkung, und er wurde für sechs Monate in die Geheimnisse des höheren Frierens eingeführt. Seit Anfang des Sommers hält er in Wien seinen Salon geöffnet.

Das ist Gefrorenes von einem anderen Stern, selbst für eine vom Eis so verwöhnte Stadt wie Wien.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Was also ordert man am Hamerlingplatz? Zitrone natürlich, aus sizilianischen Zitronen – fantastisch vielschichtige Frucht, unglaubliche Konsistenz, aber gleichzeitig auch Leichtigkeit. Bergamotte, die pure, intensiv exotische Frucht, ein Agrumi-Erlebnis für Fortgeschrittene, parfümiertes Wonnebad der Sinne. Himbeere, "ausschließlich aus serbischer Ware", wie Maghakian mit verschwörerischem Augenaufschlag erklärt, haut einen um vor satter, süßsaurer Fruchtigkeit. Die Kerne werden rauspassiert, stattdessen kommen gefriergetrocknete, geradezu knusprige Partikel obendrauf gestreut – die geben einem dann den Rest.

Der Ribisel-Komplex

Cassis ist überhaupt der Irrsinn, Fruchteis von solch schillernder Tiefe und Komplexität kennt man bisher nicht. In der Kombination mit Valrhona-Schoko – hat Carlo dunkel und (ausnahmsweise noch besser) hell im Programm – ist das Eisgenuss, der höchste Patisserie in den Schatten stellt. Indische Mango muss man sowieso haben, philippinische Kokosnuss mit Limette (kaum süß, wahnsinnig gut) ebenso. Sizilianische Pistazie ist geradezu obszön gut, extra luxuriös im Schmelz, pur, berauschend dicht und im Nachhall ein bisserl salzig.

Solch ein Eis will man natürlich auch zu Hause schlecken, noch dazu wo Carlo das ganze Jahr über offen hält. Die Konsistenz der im Salon – je nach Witterung – auf -12 °C oder -14 °C gefrorenen Creme leidet naturgemäß unter zu langem Aufenthalt im Haushaltsfreezer, kurzfristige Anfahrt lohnt also unbedingt.

Auch die eigens entwickelte Verpackung ist eine Klasse für sich. Weil Carlo es als kultivierter Genießer nicht verträgt, dass in Wiener Salons auch zahllose Sorten zusammen in einen Container gepappt werden, hat er die Auswahl auf vier Sorten pro Liter beschränkt – die werden dafür doppelstöckig, zum Auseinandernehmen, in jeweils sortenrein befüllten Abteilen fertig gemacht. Das sieht nicht nur verdammt elegant und smart aus, sondern erlaubt es, sich den Kreationen in gebührender Hingabe – und Menge – zu widmen. (Severin Corti, RONDO 3.9.2021)

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