In Wien-Hietzing starb im Jänner eine Frau, nachdem sie bei einem Polizeieinsatz angeschossen worden war.

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Gegen Mittag des 29. August starb ein Mann in Dornbirn, nachdem ein Polizist auf ihn geschossen hatte. Laut Polizei war der 39-Jährige mit einem Messer auf zwei Beamte losgegangen, woraufhin zwei Schüsse auf ihn abgegeben wurden. Der Mann starb an Ort und Stelle, die Reanimationsversuche blieben erfolglos. Die Beamten waren ursprünglich wegen Lärmbelästigung gerufen worden.

Bis heute sind über den Vorfall kaum Details bekannt – und die Behörden geben sich diesbezüglich zugeknöpft. Fest steht: Beamte des Landeskriminalamts Tirol machten sich noch am Sonntag auf den Weg nach Vorarlberg, um den Vorfall zu untersuchen. Sie ermitteln im Auftrag der Staatsanwaltschaft Feldkirch. Die Landespolizeidirektion Tirol verweist bei Medienanfragen also auf die Staatsanwaltschaft. Diese wiederum will jedoch auf STANDARD-Anfrage keine Details verraten, nicht einmal, wegen welchen Delikts ermittelt wird.

Zweiter Fall in diesem Jahr

Dieser Fall ist heuer schon der zweite, bei dem ein Mensch durch einen Schuss aus der Waffe eines Polizeibeamten getötet wurde: Im Jänner erschoss ein Polizist eine 67-jährige psychisch kranke Frau in Wien-Hietzing, die laut Behörden mit einem Messer auf die Beamten losgegangen war. Gegen die beiden Beamten wird nach wie vor wegen Mordes bzw. Körperverletzung ermittelt, wie die Staatsanwaltschaft Wien dem STANDARD bestätigt. Der Akt liegt derzeit beim Oberlandesgericht Wien. Ein Angehöriger der getöteten Frau hat sich als Privatbeteiligter angeschlossen. Das Gericht muss nun klären, ob er auch Beweiseinträge einbringen darf.

In den vergangenen zwölf Jahren starben laut Innenministerium 15 Menschen bei Einsätzen durch den Waffengebrauch eines Polizeibeamten. Am häufigsten, dreimal, geschah das im Jahr 2009: In zwei Fällen wurde damals auf Beamte gezielt, bevor diese selbst schossen. In einem töteten sie einen 14-Jährigen, der in einen Supermarkt eingebrochen war. Ein Jahr später wurde der betreffende Beamte zu acht Monaten Haft verurteilt.

Polizei adaptierte die Ausbildung

Dazu kommen noch Fälle, bei denen ein Mensch während eines Polizeieinsatz starb, ohne dass geschossen wurde. Dazu zählt etwa jener bekannte Fall im Stadtpark aus dem Jahr 2003, bei dem ein Man starb, nachdem er minutenlang gefesselt auf dem Boden liegend fixiert worden war. Laut Innenministerium kam es seither zu "keinen weiteren ähnlichen Vorfällen". Seit dem Vorfall im Stadtpark werde der "lagebedingte Erstickungstod" im Einsatztraining "ständig und eingehend" geschult.

Drei Jahre später führte man das sogenannte Waffengebrauchsanalyseverfahren ein, auch das soll die Risiken minimieren. Seit 2010 habe man außerdem im Einsatztraining die Ausbildung "in Bezug auf lebensgefährliche Einsatzlagen" intensiviert – beispielhaft nennt das Innenministerium Amok- oder Terrorsituationen sowie Schusswaffen-, Messer- und Sprengstoffbedrohungen.

Vom Justizministerium wollte der STANDARD wissen, wie viele Ermittlungsverfahren aufgrund von Polizeieinsätzen mit Todesfolge in den vergangenen Jahrzehnten geführt wurden. Grundsätzlich gilt: Die Staatsanwaltschaft ermittelt immer, wenn bei einem Todesfall die Ursache unklar ist oder der Anfangsverdacht einer strafbaren Handlung besteht. Bei einem Todesfall im Zuge eines Polizeieinsatzes sei "davon wohl im Zweifel auszugehen", heißt es aus dem Justizministerium. Eine Übersicht über die Verfahrensausgänge der vergangenen Jahrzehnte gebe es aber nicht.

Experte fordert unabhängige Kommission

Zurück nach Vorarlberg und zur aktuellen Causa. Dass dort nun die Tiroler Kollegen ermitteln, hat einen Grund: Bei Polizeieinsätzen mit Todesfolge sowie in Fällen, in denen es um Misshandlungsvorwürfe geht, ermittelt in der Regel eine Polizeidienststelle aus einem anderen Bundesland, in Wien existiert zudem das interne "Referat für besondere Ermittlungen". So soll Befangenheit bzw. deren Anschein vermieden werden. In manchen Fällen wird auch eine bundesländerexterne Staatsanwaltschaft als Herrin des Ermittlungsverfahrens beauftragt. Das ist in diesem Fall nicht geschehen, laut der Landespolizeidirektion hat es aus dem Justizministerium keine derartige Anordnung gegeben.

Dass Fälle wie dieser von den Behörden automatisch untersucht werden, geschieht zwar meist durch Kollegen anderer Bundesländer, jedoch nicht durch eine unabhängige Untersuchungsstelle. Eine solche steht im Regierungsprogramm, wurde bisher aber nicht umgesetzt. Der vorliegende Fall wäre für eine derartige Untersuchung prädestiniert, sagt der Menschenrechtsexperte Walter Suntinger. Sobald die Artikel 2 und 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention berührt werden – das Recht auf Leben und das Verbot von Folter –, sei eine Untersuchung durch eine unabhängige Stelle geboten. Suntinger, der auch Polizeitraininigs abhält, weist darauf hin, dass die Art, wie die Ermittlungen derzeit in Österreich durchgeführt werden, nach wie vor nicht internationalen Standards entspreche. (Vanessa Gaigg, Gabriele Scherndl, 4.9.2021)