Das Bild vollkommenen Eheunglücks am Lido: Kristen Stewart als Lady Di in dem Film "Spencer".

Foto: Filmfestival Venedig

Der Kalender meinte es vergangenes Jahr gut mit Venedig. Als einziges großes Filmfestival erwischte es im September ein Fenster und konnte mit einem rigiden Covid-19-Sicherheitsplan ungestört über die Bühne gehen. 2021 sieht es trotz der grassierenden Delta-Variante sogar noch besser aus. Einerseits hat man nun Erfahrung in der Abwicklung eines Großevents gesammelt, andererseits kann man heuer tatsächlich wieder mit einem besonders Star-trächtigen Programm aufwarten.

Fast scheint es so, als ob Venedig seine Rolle als Fanal für den Kinoherbst und die startende "Award-Season" wieder einnehmen könnte. Das liegt einerseits am großen Aufgebot an US-Filmen, die die heute startende 78. Ausgabe nach einem Jahr Zurückhaltung als Startrampe nutzen. Mit Denis Villeneuves Neuverfilmung von Dune ist sogar ein gewichtiger Science-Fiction-Blockbuster mit dabei. Schauspielerin Maggie Gyllenhaal präsentiert ihr Regiedebüt The Lost Daughter, eine mit Olivia Colman hochkarätig besetzte Elena-Ferrante-Verfilmung. Auch Paul Schrader und Ana Lily Amirpour haben Filme im Wettbewerb. Jamie Lee Curtis bekommt einen Ehren-Löwen und hat neuen Halloween-Grusel im Gepäck.

Überraschende Hollywood-Präsenz

Die US-Präsenz kam durchaus überraschend, denn Hollywood schickt momentan meist nur kleinere Teams auf entfernte Promotionstouren. Venedig hat damit auch Cannes überflügelt, obwohl man an der Croisette im Juli mit einem übervollen Programm aus allen Rohren feuerte. Für die Amerikaner war der Herbsttermin freilich immer attraktiv. Dass sie nun zurückkommen, zeigt, dass sie nach der langen Krise keine weiteren Meter verlieren wollen. Die Produktionen müssen hinaus in die Welt. Es hat aber auch mit dem hartnäckigen Lobbying von Festivaldirektor Alberto Barbera zu tun, dessen Vertrag nach der Corona-Ausgabe bis 2024 verlängert wurde. Der Langzeitchef hat das Festival auf einen geschmeidigen Kurs aus Star-Glamour und prononciertem Autorenkino eingestellt, mehrere Oscar-prämierte Filme feierten in den letzten Jahren am Lido ihre Weltpremiere.

Auch mit Netflix verfährt man in Italien generöser als in Frankreich, wo die Kinodistribution mehr Druck ausübt: So finden sich mit Jane Campions im Montana der 1920er-Jahre situiertem Brüderdrama The Power of the Dog und Paolo Sorrentinos É stato la mano di Dio (Die Hand Gottes) gleich zwei Prestigeproduktionen des Streamers im Wettbewerbsaufgebot. Barbera hat allerdings betont, dass Netflix einen zumindest kürzeren Kinostart zugesichert habe. Man wird es ja sehen.

Kürzere Zyklen

Die vom Parasite-Regisseur Bong Joon-ho angeführte Jury wird mit vielen weiteren ungeduldig erwarteten Titeln konfrontiert sein: Pablo Larraín (Jackie) kommt mit Spencer an den Lido, in dem man Kristen Stewart als Lady Diana im Eheunglück zu sehen bekommt. Gleich zur Eröffnung wird Pedro Almodóvar Madres paralelas präsentieren, in dem es um zwei Frauen geht, die sich schwanger ein Krankenhauszimmer teilen. Eine der Darstellerinnen ist Penélope Cruz, die auch in der Film-im-Film-Komödie Competencia oficial von Gastón Duprat und Mariano Cohn neben Antonio Banderas zu sehen ist. Gleich fünf Filme aus Italien sind dabei, darunter Filme von Mario Martone und Michelangelo Frammartino. Österreichisches Kino ist nicht vertreten.

So wie in den Kinos herrscht auch auf den Festivals derzeit hoher Konkurrenzdruck. Wer ein Gatekeeper bleiben will, muss seine Kompetenz bestätigen. In einem übervollen Markt, in dem sich die Abstände zwischen den Verwertungszyklen der Filme verkürzen, wird man Festivals daran messen, wie gut sie noch ihrer Rolle als Kompass nachkommen. Barbera setzt auf Pluralität. Ursprünglich hat er darauf gehofft, auch die Kinos wieder voll zu belegen; davon ist man aufgrund der steigenden Corona-Zahlen jedoch wieder abgerückt. Der dritte Teil seiner Losung "Mehr Künstler, mehr Teilnehmer, mehr Zuschauer" wird sich wohl nicht erfüllen. (Dominik Kamalzadeh aus Venedig, 1.9.2021)