Spricht man über Digitalisierung, kann man einerseits die Technologie in den Fokus nehmen – die Arbeit an datengetriebenen Systemen, neuartiger Vernetzung, smarten Algorithmen oder künstlichen Intelligenzen. Auf der anderen Seite kann man aber auch danach fragen, was diese neuen technologischen Errungenschaften für die Gemeinschaft der Menschen, für ihre Arbeitsweisen, ihren Alltag, ihre Art sich auszutauschen und sich selbst zu definieren bedeuten.

Bild nicht mehr verfügbar.

Die digitale Revolution ist voll im Gang. Die langfristigen Auswirkungen auf die Gesellschaft sind hinter all den Nullen und Einsen aber noch schwer zu erkennen.
Foto: Reuters/Stephen Lam

Diese beiden Seiten blieben bei der Diskussion über die "Digitale Zukunft der Europäischen Gesellschaft", veranstaltet von der Forschungsgesellschaft Joanneum Research, im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach vergangene Woche, doch recht separiert. Wirtschaftliche Aspekte und Geschäftsprozesse, die – mehr oder weniger – von der Digitalisierung geprägt sind, konnten nur da und dort mit der Frage verknüpft werden, wie sich die großen technologiegetriebenen gesellschaftlichen Trends fortschreiben könnten.

Die Arbeit an künstlichen Intelligenzen, Cloud-Systemen und IT-Sicherheit für Betriebe und öffentliche Einrichtungen mit deren hohen Anforderungen unterscheide sich grundsätzlich von jenem für Konsumenten, ließ etwa Patricia Neumann von IBM Österreich – wo Unternehmen natürlich die Zielgruppe bilden – wissen. Gleichzeitig würden aber gerade in den Unternehmen und Institutionen die großen Datenschätze liegen. Der Großteil der Daten ist für die Öffentlichkeit gar nicht zugänglich.

Sinnvolle Nutzung

Auch bei Automobil- und Luftfahrtzulieferer Pankl Racing dreht sich alles um die sinnvolle Nutzbarmachung im Betriebskontext. Der hohe Automatisierungsgrad erlaube es, Produktionsstandorte in Österreich zu belassen, sagt Technologiechef Stefan Seidel. Doch sollte man vorsichtig sein, um Digitalisierung nicht um ihrer selbst willen zu betreiben. Förderungen seien jedenfalls wichtig, um neue Technologien wie Augmented Reality nutzbar zu machen.

Pragmatisch gab sich auch Wolfgang Felber vom Institute for Integrated Circuits bei IIS Fraunhofer. Nicht jede betriebliche Modernisierung braucht eine ultramoderne oder eigens entwickelte Technologie, so sein Gedanke. Oft reiche es, eine bestehende Technologie leicht zu adaptieren, um einen schnellen Mehrwert zu generieren – damit sei dann auch ein Nukleus im Unternehmen geschaffen, der ein weiteres Hineinwachsen in die Digitalisierung ermöglicht.

Lexikon der sozialen Zustände

Für den gesellschaftlichen Kontext waren eher die Vertreter der Universitäten zuständig, wie sich im Laufe der von Heinz Mayer von Joanneum Research moderierten Debatte zeigte: Der Soziologe Manfred Prisching von der Uni Graz präsentierte etwa eine Art Lexikon der von der Digitalisierung hervorgerufenen sozialen Zustände: Die kaum eingeschränkte Sichtbarkeit aller Vorgänge in der Welt durch ihre digitale Vermittlung lasse den Begriff der Transparenz beispielsweise nicht mehr uneingeschränkt positiv erscheinen, sondern eher als Drohung, die eine Forderung nach einem "Recht auf Nichtwissen" auslöst.

Die "Ressentiment-Gesellschaft", die im Internet ihren neuen Pranger gefunden hat, lässt plötzlich Vorwürfe laut werden, wonach Facebook und Co nicht genug Zensur ausüben würden. Für Prisching, der Dadaismus und Verwirrung in der digitalen Welt verortet, ist das eine "umgekippte Diskussion".

Die gesellschaftliche Relevanz ihres Fachgebiets hob auch Johanna Pirker hervor, die sich am Institute of Interactive Systems and Data Science der TU Graz mit digitalen Spielen und virtuellen Realitäten befasst. Zweifellos werden diese Welten in Zukunft eine enorme Bedeutung gewinnen. Bereits in der Pandemie hätten sie ihre Relevanz als Räume sozialer Zusammenkünfte gezeigt, in denen man, vermittelt durch einen Avatar, Hochzeiten oder sogar Begräbnisse besucht hat. Für Pirker sind diese Welten, die viele neue Erfahrungen zulassen, regelrechte "Empathiemaschinen", gleichzeitig aber auch nutzbar in Industrie oder Bildung.

Versäumnisse

Dieses Potenzial der virtuellen Welten werde in Wirtschaft und Gesellschaft aber heute kaum wahrgenommen. Spiele werden verurteilt oder belächelt. Eltern haben Angst vor Spielsucht, kommen aber nicht auf die Idee, sich gemeinsam mit ihrem Nachwuchs mit einem Spiel zu befassen, bemängelt Pirker. Sie sieht ein gesellschaftliches Versäumnis und plädiert gleichzeitig für die Vermittlung von Informatik und Medienkompetenz in den Schulen. Sogar in E-Learning-Kooperationen mit KMUs erkenne sie, dass selbst hier noch Grundlagen fehlen.

Auch in anderer Hinsicht kann die Gesellschaft nicht mit der Entwicklung der Technik Schritt halten – nämlich in der Formulierung entsprechender Gesetze, die zum Beispiel Datenschutz oder Manipulation durch zielgerichtete Werbung betreffen. "Regularien sind langsam, doch Algorithmen sind schnell", fasst diesen Gedanken Marc Hilbert zusammen, der als AI-Experte des Volkswagen-Konzerns an der Debatte teilnahm.

Er berichtete – ähnlich wie Neumann – auch von der rasanten Entwicklung im Bereich der Quantencomputer. Beispielsweise arbeite man bereits daran, bisher extrem aufwendige Routing-Optimierungen für eine große Anzahl an Verkehrsteilnehmern zu berechnen.

Hoher Reifegrad

Im Gegensatz zu der neuen Computergeneration, die gerade erst den Sprung in die Anwendung macht, hat künstliche Intelligenz bereits einen hohen Reifegrad, sagt Neumann von IBM. Doch auch hier ist der Gesetzgeber gefragt. "Mir fehlt bei der KI ein Regelwerk, das Unternehmen zwingt, transparent zu sein. Wo sind die Quellen für eine Entscheidung oder eine Empfehlung? Das fehlt mir in der Konsumentenwelt komplett."

Schon bei KI sind Experten in Unternehmen rar, betont Hilbert – im Bereich der Quantencomputer wird dieser Engpass wohl noch viel schlimmer. "Es wird spannend, wie die KMUs mit dem Thema umgehen werden." (Alois Pumhösel, 5.9.2021)